# taz.de -- Honorarstreit: Ärzte protestieren trotz Einigung | |
> Krankenkassen und Ärzte haben sich geeinigt. Es gibt mehr Geld. Aber die | |
> Proteste werden fortgesetzt, Praxisschließungen drohen. | |
Bild: Ist ja auch teuer, so ein Stethoskop. | |
BERLIN dapd/dpa | Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) | |
und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einigten sich nach einem | |
achtstündigen Verhandlungsmarathon am Dienstagabend in Berlin: Die Honorare | |
für die rund 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten steigen | |
im kommenden Jahr um 1,15 bis 1,27 Milliarden Euro, sagte der Vorsitzende | |
des Erweiterten Bewertungsausschuss, Jürgen Wasem. | |
Noch am späten Dienstagabend entschieden sich die Ärzteverbände, die an den | |
Verhandlungen selbst nicht teilgenommen hatten, für eine Fortsetzung der | |
Protestaktionen. „Diese Einigung darf (...) nicht darüber hinwegtäuschen, | |
dass das grundsätzliche Problem von fehlenden festen Preisen und | |
unbezahlten Leistungen der Ärzte und Psychotherapeuten damit nicht gelöst | |
ist“, sagte der Sprecher der Allianz der Berufsverbände, Dirk Heinrich. | |
Heinrich kritisierte die einheitliche Bemessungsgrundlage für das | |
Ärztehonorar, den sogenannten Orientierungspunktwert. Er ist Teil des | |
komplizierten Verfahrens, nach dem Ärzte teils pauschal, teils abhängig von | |
den Behandlungen und Diagnosen bezahlt werden. Heinrich forderte, dass | |
stattdessen sämtliche medizinische Leistungen in der Praxis vergütet werden | |
sollten. Die Honorarregeln hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung | |
(KBV) selbst mitentwickelt. | |
Nun sollen nach Vorstellungen der Ärzte-Allianz am Mittwochvormittag und | |
-mittag bis zu 30.000 Ärzte und Angestellte bundesweit vor 35 | |
Krankenkassen-Filialen demonstrieren. Praxen sollen ganz oder teilweise | |
geschlossen bleiben. Vor allem spezialisierte Fachärzte sollen ganz dicht | |
machen, während Hausärzte den Ankündigungen gemäß allenfalls für einige | |
Stunden zumachen. Der Protesttag soll zunächst einmalig bleiben, weitere | |
Schritte werden bei den Organisatoren aber erwogen. | |
KBV-Chef Andreas Köhler und der stellvertretende GKV-Vorsitzende | |
Johann-Magnus von Stackelberg zeigten sich zufrieden mit dem Ergebnis. | |
Demnach soll die sogenannte Grundversorgung um 270 Millionen Euro steigen, | |
wie bereits in ersten Verhandlungen entschieden worden war. Ferner sollen | |
die Kosten für die Psychotherapie zukünftig aus dem Gesamtbudget | |
herausgelöst werden. | |
## Guter Kompromiss | |
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bezeichnete die Einigung von | |
Krankenkassen und Ärzten im Streit über die Honorare für das kommende Jahr | |
als „eine tragbare Grundlage für Ärzte, Patienten und Beitragszahler“. Auf | |
dieser Basis würden nun die Details geklärt. „Jetzt geht es darum, den | |
gefundenen Kompromiss so umzusetzen, dass die gute medizinische Versorgung | |
für die Menschen in Deutschland gewährleistet und weiter verbessert wird“, | |
sagte Bahr. | |
AOK-Chef Uwe Deh kritisierte die für diesen Mittwoch geplanten | |
Praxisschließungen scharf. Die freien Ärzteverbände schadeten damit vor | |
allem den Patienten, die auf eine reibungslose Versorgung angewiesen seien, | |
sagte Deh im Interview der Nachrichtenagentur dapd. „Jeder, der jetzt | |
meint, weiter auf Protest und Verunsicherung der Menschen setzen zu müssen, | |
ist auf dem falschen Weg.“ Wichtig sei umso mehr, „dass die, die am | |
Verhandlungstisch sitzen, zu einer Einigung gekommen sind“. | |
Die Zeit der Verunsicherung sei damit vorbei, sagte Deh. Krankenkassen und | |
Ärzte hätten wieder für „Stabilität und Sicherheit“ gesorgt. Der Kassen… | |
betonte, dass die über eine Milliarde Euro zusätzlichen Zuweisungen für die | |
Ärzte auch den Patienten zu Gute kämen. Das Paket, das jetzt geschnürt | |
worden sei, gebe „beispielsweise neue Impulse bei der Psychotherapie, bei | |
der Behandlung von chronisch kranken Menschen, bei der Versorgung im Alter | |
oder auch bei besonders schweren Krankheitsverläufen“. | |
Pro Monat verdienen Kassenärzte im Schnitt 5442 Euro netto - bei großen | |
Unterschieden. Für Ärzte-Honorare stiegen die Kassenausgaben 2011 um gut | |
zehn Prozent auf 33,7 Milliarden Euro. | |
10 Oct 2012 | |
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