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# taz.de -- Parteienforscher über die SPD: „Immer weniger begabte Leute“
> Die Sozialdemokraten schwächeln. Sie können nur Erfolg haben, wenn sie
> wieder glaubwürdig werden, sagt Parteienforscher Matthias Micus.
Bild: Fühlen sie sich noch von der SPD vertreten? Werftarbeiter in Bremerhaven.
taz: Herr Micus, am Wochenende veranstaltet die SPD ihren Zukunftskongress.
Motto: „So wollen wir morgen leben“. Was denken Sie - wie groß wird nach
der Bundestagswahl 2013 der Einfluss der Sozialdemokraten auf unser Leben
sein?
Matthias Micus: Es meint wohl kaum noch jemand, dass sein Leben elementar
von Entscheidungen im Willy-Brandt-Haus abhängt. Dieses Problem, dass
Volksparteien kaum noch eine Rolle spielen, haben aber alle Parteien.
Was müsste denn die SPD anders machen, um wieder wichtig zu werden? Derzeit
dümpelt sie bei 27 Prozent herum.
In den schlechten Werten der SPD spiegelt sich die Gespaltenheit des linken
Lagers wider. Die Gesamtstärke des linken Lagers aus SPD, Grünen,
Linkspartei und neuerdings den Piraten ist zwar insgesamt gewachsen. Das
Problem der SPD aber ist, dass sie als stärkste Partei dieses Lagers
zumeist nicht mal mehr an die 30 Prozentmarke herankommt.
Der Partei wird allenfalls noch die Rolle als kleiner Partner in einer
großen Koalition zugetraut. Warum ist das so?
Die Sozialdemokraten sind momentan nicht in der Lage, zu zeigen, was sie
noch elementar von ihren bürgerlichen Pendants unterscheidet. Ideologie,
Programmatik, Grundsätze sind abhanden gekommen. Deshalb fehlt vielen
Wählern die Überzeugungssicherheit, dass sie dieser Partei wirklich ihre
Stimme geben sollten. SPD-Anhängern ging es nie nur um Machtteilhabe. Noch
heute schwingt der Anspruch mit, eine bessere Welt zu erschaffen.
Wen wunderts? Gegen Merkels Euro-Politik wettern, aber im Parlament dem
Rettungsschirm zustimmen - sowas schrottet doch die Glaubwürdigkeit jeder
Partei.
Sicher. Aber selbst wenn sich die Fraktion in dieser Sache stringent
verhalten würde, würde das Vertrauen nicht wachsen. Es überwiegt beim
Wähler ein schwer widerlegbares, generelles Gefühl, dass Politik die
Grundsatzfragen nicht mehr lösen kann.
Unterschätzen Sie da nicht den Wähler?
Wenn in Umfragen politisches Wissen abgefragt wird, kommt da eher wenig.
Was den Leuten fehlt, ist eine perspektivische Klarheit darüber, wohin die
Sozialdemokratie eigentlich will. Es gibt keine überwölbende Ideologie
mehr, die eine Handlungsanleitung für das politische Tagesgeschäft böte.
Mitte 2013 wird gewählt. Welche Themen sollte die SPD schleunigst besetzen,
um kanzlerfähig zu werden?
Gerechtigkeitsthemen sind extrem wichtig, zum Beispiel das Rententhema -
aber da hat die SPD erst lange keine eigene Position gefunden und dann am
letzten Wochenende hektisch irgendetwas aus dem Hut gezaubert. Bildung wird
natürlich eine Rolle spielen - da hat die Union die Unterschiede fast
nivelliert. Und Europa - doch auch hier ist die Frage offen, was die
Sozialdemokratie wirklich will. Das Problem ist: Erfolgreich kann die SPD
diese Themen nur dann besetzen, wenn sie die Deutungshoheit über die
zentralen Begriffe von den Konservativen zurückerobert. Also: Gerechtigkeit
heißt, die Wohlstandskluft zwischen den Reichen und den Armen zu
verringern. Mehr Bildung bedeutet, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen,
dass auch der Nachwuchs aus bildungsfernen Schichten an der
Bildungsexpansion teilhat. Und die Europäische Union ist kein soziales
Deregulierungsprojekt, sondern die Voraussetzung für den Erhalt des
europäischen Wohlfahrtsstaates.
Wer von den drei Ks sollte gegen Merkel antreten?
Im Moment scheint es auf Steinmeier hinauszulaufen. Doch ich warne davor,
sich von Umfragewerten leiten zu lassen. Willy Brandt hatte 1961
phänomenale Beliebtheitswerte. Aber Brandts Umfragepopularität zeichnete
ein Trugbild, denn als Regierender Bürgermeister von Berlin, des
Brückenkopfes der westlichen Freiheit im Kalten Krieg, mochten ihn auch
viele Anhänger von FDP und Union. Gewählt haben sie ihn dann natürlich
letztlich dennoch nicht. So ähnlich ist das jetzt bei Steinmeier: der hat
eine ruhige Art, der hat Regierungserfahrung, und er konnte gut mit Merkel.
Kurzum: Den finden auch Christdemokraten sympathisch, ohne ihn deswegen zu
wählen.
Was wäre denn ausschlaggebend für einen Kandidaten?
Dass er die eigenen Leute motivieren und begeistern kann – womit es auf
Gabriel hinausliefe. Aber letztlich sind alle drei hochproblematisch.
Steinmeier hat bei der letzten Bundestagswahl ein katastrophales Ergebnis
geholt. Gabriel ist immer noch viel zu sprunghaft. Und so einer wie
Steinbrück ist viel zu weit weg von der sozialdemokratischen Linie. Im
Übrigen sind auch Gabriel und Steinbrück aus Wahlen bisher nur als
Verlierer hervorgegangen.
Warum hat die SPD kein frisches Personal, das nach vorn drängt?
Jetzt muss ich die SPD mal in Schutz nehmen. Was Sie bei den anderen
Parteien erleben, ist doch mindestens genauso hermetisch. Bei den Grünen
balgen sich jetzt wieder nur die aus der Gründergeneration um die Führung.
Älter gehts nicht. Und bei der Linkspartei werden letztlich auch immer
zuerst Gysi und Lafontaine genannt. Das Problem ist eher, dass Parteien
generell nicht als wesentlich erscheinen für die Lösung der wichtigen
Zukunftsfragen. Deshalb gehen immer weniger begabte Leute in die Politik.
Auch in den Jugendverbänden hat man bei vielen den Eindruck: sie machen
das, weil sie was anderes nicht hinbekommen. Aber bei den Parteien werden
sie Funktionär, wenn sie dreimal zur Mitgliederversammlung gekommen sind.
Was ist mit den Mitgliedern?
Es gibt ja nun diese Mentoringprogramme für junge Genossen. Gute Idee. Aber
Politik lernt man beim Machen. Die richtigen Instinktpolitiker sind
gewachsen in Jahren der Intrigen, der Durchsetzung, der Bündnisbildung. Sie
mussten in Redeschlachten bestehen, Niederlagen einstecken, Erfolge
erkämpfen. Einem wie Schröder waren Inhalte im Prinzip egal. Der musste
lernen, sich durchzubeißen. Das bewirkt diese Schärfe, Chuzpe und
Bauernschläue, die die nachwachsenden Politiker nicht mehr haben. Dafür
können sie auch gar nichts, denn in den Parteien werden diese
Auseinandersetzungen mittlerweile nicht mehr geführt. Das wirkt sich auf
den Politikstil aus - und das spüren die Wähler.
Was halten Sie davon, die SPD-Mitglieder in einer Urwahl über den
Kanzlerkandidaten abstimmen zu lassen?
Das macht nur Sinn, wenn man die Wahl hat zwischen handfesten, auch
inhaltlichen Unterschieden. Steinmeier, Steinbrück und Gabriel sind alle
Vertreter der Schröder-Zeit, alle sind Apologeten der Agenda 2010. Wenn die
Kontroverse fehlt, macht die Urwahl keinen Sinn. Zudem führt sie nicht
selten zu innerparteilichem Dissens - und den will gerade in den
durchchoreografierten Wahlkampfzeiten niemand.
Halten Sie Rot-Grün 2013 noch für denkbar?
Denkbar ist in Zeiten abnehmender Parteibindung und stark schwankender
Umfragewerte vieles. Wenn FDP und Piraten nicht die Fünfprozenthürde
knacken, könnte es für Rot-Grün reichen. Wahrscheinlich ist das aber nicht.
Die Sozialdemokraten haben ja derzeit das Gefühl, dass sich ihre Lage seit
2009 verbessert hat. Das hängt mit den Erfolgen bei den Landtagswahlen
zusammen, genauer: mit den Regierungsbeteiligungen infolge von Wahlen. Aber
dass man Minister stellt, bedeutet nicht automatisch, dass man verlorene
Wählerstimmen zurückerobert hat. Auf der Wählerebene ist die SPD nach wie
vor schwach.
Die große Koalition bis 2009 hat die Sozis extrem geschwächt. Sehen Sie
eine kluge Möglichkeit, wie die SPD das diesmal verhindern könnte?
Für die Sozialdemokratie gilt seit Müntefering: Opposition ist Mist. Die
wollen in die Regierung, selbst um den Preis, hinterher noch schwächer
dazustehen. Als 2009 Schwarz-Rot verhandelt wurde, stand im
Koalitionsvertrag viel Sozialdemokratisches. Trotzdem kam es den
Sozialdemokraten in der Folgezeit überhaupt nicht zugute. Nein, man muss
Klarheit über die eigenen Grundsätze herstellen, muss überzeugend die
eigenen Leitlinien skizzieren und die Differenzen zum politischen Gegner
markieren. Die SPD muss den Wählern zeigen: Das ist sozialdemokratisch, das
sind unsere Ziele, und unsere Reformvorschläge sind Schritte auf dem Weg
dahin. Nur dadurch überzeugt man die eigenen Leute. Und dann geht man aus
so einer Koalition auch gestärkt hervor.
13 Sep 2012
## AUTOREN
Anja Maier
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