# taz.de -- Pro und Contra zu antimuslimischem Film: Soll man diesen Film zeige… | |
> Die ARD zeigt Ausschnitte aus einem Anti-Muslim-Video, das für heftige | |
> Proteste sorgt. Das ZDF lehnt das ab. Ein Pro und Contra über die Grenzen | |
> der Öffentlichkeit. | |
Bild: Lieber nicht zeigen? | |
CONTRA: Auf keinen Fall. Hetze gegen Bevölkerungsgruppen lebt davon, dass | |
sie angesehen, dass sie verlinkt, dass sie massenhaft verbreitet wird. Ein | |
hetzerisches antimuslimisches Video mit 3.000 Klicks ist kein Aufreger und | |
damit auch keine Gefahr, eines mit 400.000 schon. „Innocent of Muslims“ | |
(Unschuld der Muslime) bringt es bei Youtube auf über 600.000 Klicks. | |
Tendenz steigend. | |
Hätte keiner den Trailer geklickt, wäre er nicht im ägyptischen Fernsehen | |
gelaufen, das lausige Filmchen wäre elendiglich im Netz krepiert. Das mal | |
kindlich, mal obszön, mal einfach nur absolut wirr einen Mann mit | |
nachlässig angeklebten Wallebart als Propheten ausgebende Schnipselwerk, es | |
wäre einfach übersehen worden. Mission gescheitert. | |
Erst die Masse der Zuschauer verwandelt die krause Geschichte vom Propheten | |
als irre kichernden Stecher in eine Waffe. Erst die öffentliche, zumal von | |
Salafisten geschürte und kanalisierte Wut über die beabsichtigt | |
erniedrigende Darstellung Mohammeds als Vaterlosen, Wilden, Sklaven, | |
Frauenhelden und als Vollidioten, der sich seine Weisheiten aus dem | |
IA-Geschrei von Eseln zusammenreimt, verwandelt peinliches Gestümpere in | |
ein tödliches Instrument. Propaganda verträgt keine Einsamkeit. Genau | |
deswegen haben Medien mit ihr ein ethisches Problem. | |
Sind Hetzprodukte einmal in der Welt, müssen JournalistInnen über die | |
Verantwortlichen berichten und plausibel machen, warum das Machwerk | |
volksverhetzend ist. Sie müssen also erklären, worin die rassistische | |
Ikonografie besteht, anders lässt sich die Wirkmacht von Propaganda nicht | |
eindämmen. Damit aber machen sie unfreiwillig Werbung für Menschen und | |
Produkte, die anderen das Recht auf Gleichberechtigung oder gar auf die | |
Existenz absprechen. Das ist ein Dilemma. Doch leider gibt es keine saubere | |
Lösung. Wer gegen Rassismus, Antisemitismus oder die kollektive | |
Herabwürdigung von Muslimen aufklären will, arbeitet mit Dreck und macht | |
sich die Hände schmutzig. Das ist einfach so. | |
Sollten die Medien dann als Serviceleistung nicht besser gleich auf den | |
Gegenstand ihrer kritischen Berichterstattung verweisen? Nach dem Motto: | |
Verlinkt auf Naziseiten genauso wie auf Muslimenhetze, zeigt Kinderpornos, | |
zeigt alles. Damit sich die LeserInnen erschrecken, damit sie sehen, wie | |
brutal dumm die Ausfälle sind wie im vorliegenden Fall, damit sie sich | |
selbst ein Bild machen können? Natürlich sollen sie das. | |
Deshalb bedeutet das Plädoyer für das Nichtverbreiten ja auch keinen Aufruf | |
zum Löschen der Propaganda. Letzteres wäre Zensur und die hat noch nie zur | |
Aufklärung beigetragen. Zudem funktioniert sie in Zeiten des Internets | |
ohnehin nicht mehr. | |
Doch der Auftrag, aufzuklären, legitimiert nicht, sich hemdsärmelig über | |
die Gefahr der Verrohung und der Normalisierung von Hassreden | |
hinwegzusetzen. Jeder einzelne Journalist muss jedes Mal aufs Neue um eine | |
Balance ringen. | |
Aber finden die Leute den Bilderstoff ja nicht ohnehin irgendwo im Netz? | |
Exakt. Zumal Youtube ja noch nicht einmal „irgendwo“ ist – fast jeder ken… | |
dieses Portal. Wer will, findet „Innocent of Muslims“ also problemlos. | |
Genau deshalb sollten die taz oder andere Medien sich davor hüten, dem | |
giftigen Unsinn nicht auch noch ein Gütesiegel aufzudrücken und es auf | |
ihren Onlineseiten zu reproduzieren. | |
Wir berichten, wir kritisieren, aber wir erklären uns auch mit den | |
Beleidigten und Verletzten solidarisch, indem wir uns nicht aktiv an der | |
Verteilung von rassistischem, antisemitischem oder antimuslimischen Trash | |
beteiligen. Indem wir eine Grenze ziehen. Es lässt sich nicht verhindern, | |
dass das Mohammed-Video jetzt massenweise angeschaut wird. Trotzdem ist | |
jeder Klick einer zu viel. INES KAPPERT | |
PRO: Eindeutig ja, denn Medien haben die Aufgabe, ihr Publikum umfänglich | |
zu informieren und über solche Dinge aufzuklären. Es ist deshalb richtig, | |
dass sie zumindest Auszüge des Anti-Islam-Films, der jetzt in der | |
arabischen Welt für blutige Proteste sorgt, dokumentieren oder auf ihn | |
verlinken, damit sich jeder selbst ein Bild davon machen kann – auch wenn | |
es wehtut. | |
Wer den Streifen des Anstoßes sieht, der mit Laiendarstellern als eine Art | |
antiislamisches Krippenspiel eingespielt wurde, dem kann nicht entgehen, | |
dass es sich dabei um ein dilettantisches Machwerk handelt, das nur darauf | |
zielt, alle Angehörigen einer Weltreligion zu diffamieren. In knapp 14 | |
Minuten werden alle jahrhundertealten westlichen Klischees über Muslime – | |
grausam, lüstern, verrückt – abgearbeitet und auf den Religionsgründer | |
Mohammed projiziert. Wenn dieser Film nicht muslimenfeindlich ist, dann | |
waren NS-Propagandafilme wie „Jud Süß“ oder „Der ewige Jude“ auch nie… | |
antisemitisch. | |
Womit wir beim Problem sind. Denn natürlich ist in Deutschland nicht alles | |
erlaubt. Gerade hierzulande weiß man ja aufgrund der Nazivergangenheit und | |
des Völkermords an den Juden, was rassistische Hetze und Hassfilme alles | |
anrichten können. Den Holocaust zu leugnen ist in Deutschland deshalb | |
strafbar, und bei antisemitischer Propaganda stößt die Meinungsfreiheit aus | |
guten Gründen rasch an ihre Grenzen. | |
Und nicht nur in Deutschland: Die antisemitischen Holocaust-Karikaturen aus | |
dem Cartoon-Wettbewerb, mit denen der Iran einst auf die | |
Mohammed-Karikaturen reagierte, hat in westlichen Ländern kein einziges | |
seriöses Blatt nachgedruckt. Und als al-Manar, der TV-Sender der | |
libanesischen Hisbollah, vor einigen Jahren eine antisemitische | |
Fernsehserie ausstrahlte, die auf den „Protokollen der Weisen von Zion“ | |
basierte, wurde der Sender in mehreren Ländern Europas verboten, verlor | |
seine Satellitenfrequenz und landete auf der Terrorliste der USA. Auch im | |
ach so freien Westen ist die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos. | |
Doch diese Tabuisierung steht oft einer echten Aufklärung im Wege. Dass | |
antisemitische Hetzfilme aus der NS-Zeit oder Hitlers Hass-Pamphlet „Mein | |
Kampf“ in Deutschland bis heute verboten sind oder nur in kommentierter | |
Version vertrieben werden dürfen, wirkt überholt – als gehe davon noch eine | |
Gefahr aus. Vielleicht liegt es auch gerade an dieser Tabuisierung, dass es | |
vielen Deutschen so schwerfällt, die offensichtlichen Parallelen zwischen | |
der NS-Rassenideologie von damals und der antimuslimischen Propaganda von | |
heute zu erkennen. | |
Diese fürsorgliche deutsche Zensur wirkt aber auch deshalb antiquiert, weil | |
die unterschiedlichsten Formen der Hasspropaganda heute im Internet ohnehin | |
einträchtig nebeneinander bestehen, nur einen Klick voneinander entfernt. | |
Nach den blutigen Protesten im Nahen Osten hat es der Google-Konzern zwar | |
erschwert, von dort aus auf den umstrittenen Anti-Islam-Film zuzugreifen. | |
Grundsätzlich will sein Videoportal Youtube den 14-minütigen Clip bislang | |
aber nicht aus dem Netz entfernen, weil er nicht gegen dessen Richtlinien | |
verstoße, die vor allem die Verbreitung von pornografischen Inhalten und | |
drastischen Gewaltszenen verhindern sollen. Auf Youtube, muss man dazu | |
sagen, finden aber auch notorische Holocaustleugner wie der Bischof Richard | |
Williamson und andere Hetzer ein warmes Plätzchen. | |
Weil diese Hasspropaganda nun mal in der Welt ist, müssen sich deutsche | |
Medien offensiv damit auseinandersetzen und deutlich machen, worin genau | |
dabei das Problem liegt. Doch vielen Journalisten in Deutschland scheinen | |
die klaren Maßstäbe dafür zu fehlen, wo bloße Religionskritik und Satire | |
aufhören – und wo Rassismus und gefährliche Hetze beginnen. Aus | |
Bequemlichkeit weichen sie dieser Frage aus, statt sich mit den Vorurteilen | |
zu beschäftigen, die möglicherweise in den eigenen Köpfen herumspuken. | |
DANIEL BAX | |
13 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
D. Bax | |
I. Kappert | |
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