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# taz.de -- 50 Jahre Gropiusstadt: Der Kiez lernt Schule
> Stolz statt Scham: Zwölf Schulen polieren im Bildungsverbund Gropiusstadt
> ihr Image auf – und das der Großsiedlung.
Bild: Zuversicht statt Depression: Die Gropiusstadt.
Fast ein wenig hochnäsig reckt die Neuköllner Lise-Meitner-Schule ihre
braungraue Betonrückseite in Richtung Gropiusstadt. Hohe Zäune und ein
fußballplatzgroßes verwildertes Wiesengrundstück trennen das
Oberstufenzentrum (OSZ) mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung von der
dichten Hochhaussiedlung.
Noch. Denn die Brache soll Verbindung werden: Hier soll das Prunkstück des
Bildungsverbunds Gropiusstadt entstehen. „Campus Efeuweg“ heißt das Projekt
in Anlehnung an den Campus Rütli, der weiter nördlich in Neukölln um die
ehemalige Rütli-Hauptschule aus Kitas, Grundschulen und anderen
Bildungseinrichtungen zusammenwächst.
Am Efeuweg sind die Pläne noch ambitionierter: Hier wird von Studierenden
und ProfessorInnen der TU Berlin und der Bauhausuniversität Weimar eine
Anlage geplant, die weit über einen Schulneubau hinausgeht. Als „Campus für
Bildung, Sport und Freizeit“ für alle Generationen solle die Anlage
„Leuchtturmfunktion einnehmen“, heißt es in einer Projektbeschreibung. Mit
dem Campus ist die Gropiusstadt sogar Bestandteil des Ideenpools der
Internationalen Bauausstellung IBA 2020.
Noch ist das aber Zukunftsmusik. In der Hermann-von-Helmholtz-Schule ein
paar Straßen weiter bröckelt Farbe von Wänden und Heizungsrohren. Wo sie es
nicht tut, haben Lehrkräfte und SchülerInnen selbst Hand angelegt.
Eigentlich ist es schön, das weitläufig angelegte, flache Schulgebäude, dem
man ebenso wie der nahen Walter-Gropius-Schule ansieht, dass bei der
Planung viel Platz zur Verfügung stand. Heute könnte den Schulen mehr Farbe
guttun, den Grünanlagen, in die sie eingebettet sind, mehr Pflege.
## Schüler von außerhalb
Doch auch ohne aufpolierte Gebäude gelingt es dem Leiter der
Helmholtz-Sekundarschule, Roland Hägler, SchülerInnen aus anderen Bezirken
zu gewinnen. „Hier gibt es kein Mobbing und keine Prügeleien auf dem
Schulhof“, sagt eine, die aus Tempelhof kommt. „Hier gelten Regeln“, sagt
Hägler, der seine Schüler jeden Morgen persönlich begrüßt und ein stabiles
Silberkreuz um den Hals trägt. Disziplinarmaßnahmen bei Regelverstößen?
„Ich rede dann mit den Schülern“, sagt Hägler. Das reicht? „Ja, das
reicht.“
Dabei hilft die enge Zusammenarbeit mit den Familien. Die Schule bietet
freiwillige Elternseminare zu pädagogischen Themen an. Zweimal jährlich
besprechen LehrerInnen, Eltern und Schüler individuelle Förderpläne.
Erscheinen die Eltern zu den Gesprächen nicht, ruft der Schulleiter
persönlich an. „Wir versuchen, das Interesse der Eltern an der Bildung
ihrer Kinder zu entwickeln“, sagt Hägler.
Und auch das Interesse der Schüler an ihrer Zukunft: Mit zehn Firmen
arbeitet die Schule zusammen, um die Chancen auf Ausbildungsplätze zu
erhöhen. Zwei Praktika sind an der Sekundarschule Pflicht, Trainings
ergänzen die Praxiserfahrung.
Das alles geht nur mit Kooperationen: 12 Schulen haben sich im
Bildungsverbund Gropiusstadt zusammengeschlossen, um Herausforderungen
gemeinsam anzugehen. Die sechs Grund- und fünf Oberschulen sowie das
Lise-Meitner-Oberstufenzentrum tauschen Lehrkräfte und Erfahrungen aus,
machen gemeinsame Projekte und werben auch gemeinsam für die Schulen in der
Gropiusstadt. Mit unterschiedlichen pädagogischen Schwerpunkten können sie
viele Angebote machen.
Etwa 5.500 Kinder und Jugendliche besuchen die Schulen der Gropiusstadt.
Längst nicht alle, sagt Eduard Heußen, der den Bildungsverbund organisiert,
wohnten auch dort: Vor allem SchülerInnen mit Migrationshintergrund kämen
vom Neuköllner Norden her, andere, die in der Gropiusstadt wohnten, zögen
dagegen an die Gymnasien weiter südlich im Bezirk – in der Großsiedlung
gibt es keins. Ein interessanter Ort, ein „Mittelding“, sei die
Gropiusstadt, sagt Heußen, der Bildungsverbünde auch im Wedding
organisiert: „Für manche ist sie das Ende der Kette des sozialen Abstiegs,
für andere der Anfang eines Aufstiegs.“ Der Bildungsverbund solle Kindern
„eine Heimat bieten, Bindungsangebote an ihre Umwelt, an die Gesellschaft
machen“, so Heußen.
Anstoß und Anschubfinanzierung kamen wie auch im Wedding von der
Wohnungsgesellschaft Degewo. Mittlerweile bekommt Heußen die jährlich
30.000 Euro für den Bildungsverbund vom Quartiersmanagement. Einzelne
Projekte werden aus anderen Töpfen, von europäischem Strukturfonds bis zu
Sponsorengeldern, finanziert.
Hört man Eduard Heußen zu, wird schnell klar, dass der Erfolg eines
Bildungsverbunds auch darauf beruht, eine Begeisterung zu wecken, die im
pädagogischen Alltag leicht verloren geht. Motivation sei wichtiger als
Geld, sagt er. Es gehe darum, alle Beteiligten zusammenzubringen und
Verantwortung zu übernehmen.
Stolz statt Scham, Zuversicht statt Depression: Wenn 2.000 SchülerInnen aus
der Gropiusstadt zur Eröffnung der Berliner Lesewoche auf dem Bebelplatz
Gedichte rezitieren, wenn 700 Kinder gemeinsam Kacheln herstellen, die dann
Hausfassaden in ihrer Wohnumwelt schmücken, schafft das Erfolgs- und
Identifikationserlebnisse – nicht nur für sie, sondern auch für Eltern und
Lehrer.
15 Sep 2012
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Wedding
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