# taz.de -- Kommentar Reichtumsverteilung: Klassenkampf von oben | |
> In den USA gilt laut Mitt Romney: Wer arm ist, hat selbst schuld. Auch in | |
> Deutschland könnte mittelfristig ein Klassenkampf von oben einsetzen. | |
Bild: Die zwei Gesichter des Mitt Romney: ein reiches und ein reiches. | |
Mitt Romney wirkt auf Europäer ziemlich bizarr. Der republikanische | |
Kandidat tappt in stets neue Fettnäpfchen. Jetzt hat er sich unmöglich | |
gemacht, indem er 47 Prozent der US-Wähler als Schmarotzer diffamierte. Ein | |
solches Verhalten scheint in Deutschland undenkbar, wo sämtliche Politiker | |
um die „Mitte“ werben und inhaltliche Unterschiede von der CDU bis Grün | |
kaum zu erkennen sind. | |
Doch so einfach ist es nicht. Auch der republikanische Präsident Ronald | |
Reagan wurde in Deutschland lange nicht ernst genommen – und hat sich | |
dennoch als Trendsetter für Europa erwiesen. In seine Amtszeit fiel die | |
erste Deregulierung der Finanzmärkte, und mit ihm begannen die Reichen | |
immer reicher zu werden. Weltweit. | |
Daher könnte es sein, dass auch Mitt Romney für einen Trend steht, selbst | |
wenn er diese US-Wahl wohl eher nicht gewinnt und schon bald vergessen sein | |
könnte. Denn bleiben wird die gnadenlose Polarisierung, die die | |
amerikanische Politik prägt – und die die ebenso gnadenlose Ungerechtigkeit | |
bei den Einkommen und Vermögen spiegelt. | |
Romney war ganz ehrlich. Der Multimillionär hat den Klassenkampf von oben | |
erklärt. Wer arm ist, sei selbst schuld. Woraus für Romney automatisch | |
folgt, dass es gerecht ist, dass das reichste Hundertstel der US-Bürger | |
bereits 37,1 Prozent des gesamten Volksvermögens besitzt. Tendenz weiter | |
steigend. | |
Noch also kommt uns Romneys Deutung der Gesellschaft typisch amerikanisch | |
vor. Sie könnte aber zukunftweisend sein. Denn in Deutschland klafft eine | |
riesige Lücke zwischen politischer Inszenierung und sozialer Realität. | |
Während sich alle Parteien in der „Mitte“ drängeln, erodiert die | |
Mittelschicht. Wie in den USA konzentriert sich das deutsche Volksvermögen | |
auf wenige Familien, wie der neueste Armuts- und Reichtumsbericht ausweist. | |
Gleichzeitig hat die untere Hälfte der Bevölkerung gar keinen Besitz, | |
sondern höchstens Schulden. Auch Deutschland ist eine Klassengesellschaft. | |
Es könnte daher sein, dass mittelfristig ebenfalls ein Klassenkampf von | |
oben einsetzt. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ist zwar mit seiner | |
„römischen Dekadenz“ gescheitert, die er den Arbeitslosen andichten wollte. | |
Aber SPD-Populist Thilo Sarrazin war mit einem ähnlichen Anliegen überaus | |
erfolgreich. Sein Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ vertrat im Kern | |
zwei krude Thesen, die Rassismus und Eugenik eigenwillig mischten. Erstens: | |
Muslime werden durch ihre Religion zur Dummheit verdammt. Zweitens: Die | |
deutsche Unterschicht ist genetisch bedingt minderbemittelt. Aus beidem | |
folgt für Sarrazin, dass die Reichen deswegen reich sind, weil sie die | |
Intelligenten sind. | |
An diesen erstaunlichen Unsinn müsste man nicht erinnern, wenn nicht 60 | |
Prozent der Deutschen in Umfragen angegeben hätten, dass Sarrazin „wichtige | |
Dinge“ aussprechen würde. Insofern ist es denkbar, dass auch in Deutschland | |
das politische Motto irgendwann schnörkellos lautet: „Eure Armut kotzt mich | |
an.“ | |
19 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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