# taz.de -- Diebstähle in Friedland: "Wir finden es bedrohlich" | |
> In Friedland bei Göttingen sorgen Ladendiebstähle für Empörung: die Täter | |
> sollen Georgier aus dem Flüchtlingslager sein. Die Polizei verstärkt ihre | |
> Präsenz, die Landesregierung sagt Unterstützung zu. | |
Bild: Anlaufstelle für Georgier, die in Deutschland Asyl suchen: das Grenzdurc… | |
FRIEDLAND taz | Vor dem Imbiss „Boxenstop“ beugen sich breite Schultern in | |
dunklen Anzügen über Teller mit Pommes Frites – Ketchup und Mayonnaise. | |
Angestellte einer Security-Firma. Auch Beschützer müssen essen. Die Männer | |
patrouillieren seit ein paar Tagen rund um die Heimkehrerstraße in | |
Friedland. Bürgermeister Andreas Friedrichs (SPD) hat sie engagiert, „um | |
das Sicherheitsgefühl zu stärken“. | |
Auch Anwohner Andreas Raub ist an diesem Nachmittag vor den Boxenstop | |
gekommen. Er trägt Brille und eine Sweatjacke mit Bayern-München-Aufnäher. | |
Mit verschränkten Armen lehnt er in einem Plastikstuhl. Die Geduld in der | |
Gemeinde sei am Ende, meint Raub. Die Inhaberin vom Boxenstop verlässt | |
ihren Posten hinter der Theke und setzt sich dazu. „Wir finden es | |
bedrohlich, was hier passiert“, sagt sie. | |
Das Grenzdurchgangslager in Friedland, das „Tor zur Freiheit“, ist seit Mai | |
die erste Anlaufstelle für Georgier, die in Deutschland Asyl suchen. | |
Insgesamt hat Friedland seither 128 Menschen aus Georgien aufgenommen. Die | |
Polizei ermittelt gegen 70 von ihnen, 17 hat sie vorläufig festgenommen. | |
Die 70 sind in Friedland zu „den Georgiern“ geworden. Niedersachsenweit | |
sollen sie 170 Straftaten begangen haben, erklärt die Sprecherin der | |
Göttinger Polizei, Jasmin Kaatz. Von organisierter Kriminalität geht sie | |
nicht aus. Vielfach würden Dinge wie Schuhe für den Eigenbedarf gestohlen. | |
„Nee, ich hab’ keine Lust, das alles schon wieder zu erzählen.“ Karlheinz | |
Gonschior sitzt in der „Nachtannahme“ seines Supermarktes. Es ist ein | |
kleiner Lagerraum. Wenn alles schläft in Friedland, stellen hier | |
Lieferanten frisches Obst, Backwaren und Zeitungen rein. Der Platz dient | |
auch als Raucherecke, was ein mäßig gefüllter Aschenbecher anzeigt. | |
Gonschior hat graues Haar und einen ebensolchen Bart, sein rundes Gesicht | |
wirkt jugendlich. | |
Sein Markt ist Mittelpunkt der Geschichte mit den Georgiern. Und eigentlich | |
will Gonschior sie doch schon wieder erzählen. Denn was vor sich geht, | |
macht ihn wütend. Laut eigener Aussage kämpft er fast täglich mit | |
Ladendiebstählen. Und die würden ausschließlich von Georgiern begangen. | |
„Erst gestern wollte einer ’ne Flasche Wein klauen.“ Alkohol, Zigaretten, | |
Wurst sind die bevorzugten Ziele. Aber auch in sein Büro wurde schon | |
eingebrochen. Die Polizei bringt den Vorfall mit georgischen Staatsbürgern | |
zusammen. „Wir sind mit allen klar gekommen, aber das ist eine | |
Katastrophe!“ | |
Die meisten Diebstähle hat die Polizei in Göttingen registriert. 83 | |
Anzeigen, die sich vermutlich gegen die Georgier richten, gab es dort | |
insgesamt seit Mai, 76 davon wegen Diebstahls. In Friedland sind es 31. | |
Doch in Göttingen hat niemand Angst. In Friedland dagegen ist das was | |
Neues. „Die Leute sind es nicht gewohnt“, sagt Bürgermeister Friedrichs. | |
Außerdem verteilen sich die Diebstähle nicht auf mehrere Geschäfte: Es gibt | |
nur den einen Supermarkt, den von Gonschior. Die Stimmung ist entsprechend | |
schlecht. Mittlerweile wollen einige Friedländer die Georgier schon in | |
ihren Gärten und auf den Balkonen der Nachbarn gesichtet haben. | |
Bürgermeister Friedrichs war in Hannover, um Innen und Justizminister um | |
Hilfe zu bitten. Die sicherten ihm schnellere Urteile und mehr Polizisten | |
zu. Und tatsächlich gibt es seit kurzem eine Ermittlungsgruppe, die sich | |
nur um Delikte kümmert, die von Friedlands Georgiern begangen werden. Vor | |
dem Boxenstop wird allerdings bemängelt, dass die Beamten zusammen mit | |
ihren Kollegen im drei Kilometer entfernten Groß Schneen sitzen. „Die | |
Polizeistation muss hier nach Friedland“, sagt Andreas Raub. | |
Dann erzählt er von einem rechtsradikalen Flyer. Zwei junge Männer steckten | |
ihm das unerwünschte Papier in den Briefkasten. Es zeigt den Umriss | |
Afrikas, umrahmt von Worten wie „Drogenhandel“ und „Aids“. Der Kontinent | |
droht auszulaufen, durch einen Trichter tropft es schwarz auf das Wort | |
„Friedland“. Es ist bereits zu einem Drittel in den dunklen Wogen | |
versunken. | |
In den kommenden drei Jahren werden in Friedland insgesamt 900 Flüchtlinge | |
aus Afrika erwartet, deswegen der Nazi-Flyer. Andreas Raub befürchtet, dass | |
es auch in dieser Sache mit den Georgiern so kommen wird: „Irgendwann | |
springen die Extremen drauf.“ Doch noch ist die örtliche NPD stark auf | |
Afrika fixiert. Auf ihrer Homepage heißt es ungelenk, dass die Diebstähle | |
dem „Umfeld der neuen Lagerbewohner“ aus Afrika zuzurechnen seien. | |
Die Chancen der georgischen Asylbewerber, in Deutschland zu bleiben, seien | |
gleich Null, sagt Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Trotzdem | |
ist da nicht alles in Ordnung, viele kommen aus Angst vor Verfolgung.“ Erst | |
im September ist ein Video aufgetaucht, dass mutmaßlich aus georgischen | |
Gefängnissen stammt. Zu sehen sind Schläge, Tritte, Vergewaltigungen. | |
Dennoch geht der deutsche Staat davon aus, dass in Georgien der Rechtsstaat | |
funktioniert und Menschenrechtsstandards existieren. Deswegen müssen die | |
meisten wieder zurück. Und deswegen sagt Gonschior: „Die Georgier | |
missbrauchen das Asylrecht.“ Er will, dass die Diebstähle aufhören. Den | |
Nazi-Flyer findet er aber nicht gut: „Das ist doch Schwachsinn, was die da | |
gemacht haben. Das geht nicht gegen die anderen Menschen im Lager, die | |
werden verfolgt und brauchen Schutz.“ | |
„Da, der kommt aus Georgien!“, ruft plötzlich einer vor dem Boxenstop und | |
blickt hinüber zum Supermarkt. Ilia Basilashvili ist gerade aus der Tür | |
getreten. „Aber der ist okay.“ Der 24-jährige Basilashvili wird freundlich | |
gegrüßt und erwidert ebenso. Er läuft die Straße hinunter, zurück zum | |
Lager. In der rechten Hand trägt er eine Plastiktüte, ein paar Saftflaschen | |
schauen heraus. Er hat eingekauft. | |
Seit vier Jahren ist Basilashvili in Deutschland. Er kam her, um zu | |
studieren und – weil er schwul ist. In Georgien wurde Homosexualität erst | |
im Jahr 2000 legalisiert, Diskriminierung und Übergriffe von Seiten | |
orthodoxer Christen kommen weiterhin vor und werden vom Staat toleriert. | |
Basilashvili überquert die Straße, hinüber zum Lager. Mittlerweile hat er | |
einen Asylantrag gestellt. Nächste Woche bekommt er den Bescheid, ob er | |
bleiben kann. | |
8 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Jakob Epler | |
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