# taz.de -- Merkels Besuch in Griechenland: Hoffnung im Ausnahmezustand | |
> Höflich, aber nicht herzlich, verläuft Angela Merkels Besuch in Athen. | |
> Tausende Griechen gehen derweil auf die Straße, um die deutsche | |
> Regierungschefin zu „begrüßen“. | |
Bild: Distanziert: Angela Merkel und Antonis Samaras in Athen. | |
ATHEN taz | Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras sparte nicht | |
mit starken Worten: „Der Besuch der Bundeskanzlerin beendet die | |
internationale Isolation unseres Landes“ erklärte der konservative | |
Politiker am Ende seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel an | |
Dienstagnachmittag. | |
Eigentlich war niemand in Griechenland davor ausgegangen, dass das Land | |
einem diplomatischen Embargo unterliege, welches mit dem Besuch der | |
Kanzlerin beendet würde. Aber vielleicht war Samaras halt vom Ehrgeiz | |
getrieben, seine Beratungen mit der Bundeskanzlerin als ein besonderes | |
Ereignis zu präsentieren. | |
Anlass dazu hatte er kaum: Anders als viele erwartet haben, vermied Angela | |
Merkel jede Aussage in der Richtung, dass Griechenland die nächste Tranche | |
des laufenden Rettungspakets zügig bekommt und unter allen Umständen in der | |
Eurozone bleibt. Sie würde sich den Verbleib des Landes in der Eurozone | |
„wünschen und auch hoffen“, erklärte die Kanzlerin nach ihrem Treffen mit | |
Samaras, gab aber auch in aller Deutlichkeit zu bedenken, dass der | |
Schlüssel hierfür in Athen liege. | |
## Blutendes Griechenland | |
Zudem verwies Merkel mindestens drei mal während der Pressekonferenz auf | |
den bevorstehenden Prüfungsbericht der aus EU, IWF und EZB bestehenden | |
Troika, der als Entscheidungsgrundlage dienen würde. | |
Geschickt nutzte der griechische Ministerpräsident die Bühne der | |
Weltöffentlichkeit, um auf die Leiden des griechischen Volkes nach den | |
wiederholten Sparrunden der letzten Jahren hinzuweisen: Die Griechen würden | |
„bluten“ erklärte Antonis Samaras. Sie würden nicht um zusätzliches Geld | |
bitten, sondern nur um die Chance, wieder auf eigene Beine stehen zu | |
können. | |
Angela Merkel verwies auf bisher Bekanntes: Griechenland und Deutschland | |
würden verstärkt auf bilateraler Basis kooperieren, etwa im | |
Gesundheitsbereich oder auch auf Kommunalebene, EU-Gelder würden verstärkt | |
nach Griechenland fließen um neue Investitionen auf den Weg zu bringen, | |
zudem würde man Finanzierungsmöglichkeiten über die Mittelstandsbank KfW | |
prüfen lassen. Also alles Routine? | |
## Streckung gegen Strukturreform | |
Griechische Analysten bestehen darauf, dass beide Seiten auch über | |
"schwierige" Themen verhandelt haben, etwa über die schnellstmögliche | |
Auszahlung der nächsten Kredittranche und vor allem über die heiß ersehnte | |
Streckung für die Auszahlung der griechischen Schulden, die sich | |
Ministerpräsident Samaras wie sonst kein anderer auf die Fahne geschrieben | |
hat. | |
Eine Lösung sei noch nicht unter Dach und Fach, aber man würde mit | |
Hochdruck daran arbeiten und das Ganze früher oder später als "Do ut | |
des"-Lösung der Öffentlichkeit präsentieren: Griechenland würde die | |
Streckung bekommen, dafür aber auch mehr Gas geben mit den allzu oft | |
versprochenen Strukturreformen, von denen langfristig auch viele deutsche | |
Firmen profitieren könnten. | |
## Hermetisch abgeriegelte Innenstadt | |
Nur sechs Stunden blieb Bundeskanzlerin Angela Merkel in Athen – doch diese | |
sechs Stunden hatten es in sich: Über 6.000 Polizisten und Mitglieder der | |
Sicherheitskräfte waren im Dauereinsatz, um Ausschreitungen zu verhindern. | |
Die Hälfte der Athener Innenstadt war hermetisch abgeriegelt, alle | |
U-Bahn-Stationen im Stadtzentrum blieben gesperrt, und auch manche | |
Grundschulen und Gymnasien mussten für einen Tag schließen, weil Schüler | |
und Lehrer keinen Zugang zum Schulgebäude hatten. | |
Dabei gibt es in Griechenland eigentlich kein Bannmeilengesetz. | |
Demonstrationen sind fast überall zugelassen oder zumindest toleriert – | |
selbst direkt vor dem Parlamentsgebäude am geschichtsträchtigen | |
Verfassungsplatz im Herzen der griechischen Hauptstadt. | |
Trotzdem hatte der Polizeipräsident der Region Attika erstmals seit 2003 | |
aufgrund eines längst vergessen geglaubten „Präsidialdekrets“ aus der Zeit | |
der Militärdiktatur (1967–1974) alle Versammlungen in bestimmten | |
Stadtteilen kurzerhand verboten – aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell | |
hieß. Deshalb musste auch eine für Dienstagabend geplante | |
Protestversammlung der rechtspopulistischen Partei „Unabhängige Griechen“ | |
vor der deutschen Botschaft im Prominentenviertel Kolonaki abgesagt werden. | |
## Wie überall auf der Welt | |
Der Minister für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, kann in dem | |
vorübergehenden Demonstrationsteilverbot kein Problem sehen: „Derartige | |
Maßnahmen werden überall auf der Welt getroffen, wenn sich ein wichtiger | |
Gast ankündigt“, so der konservative Politiker. | |
Das beurteilt die linke Opposition ganz anders: „Die Berufung auf ein | |
Dekret der Militärdiktatur zeigt, dass die Regierung vor den Reaktionen des | |
Volkes zittert“, erklärte die „Radikale Linke“, die aus der jüngsten Wa… | |
als zweitstärkste Partei hervorgegangen war, und fügte hinzu: „Unsere | |
friedliche Teilnahme an der Großversammlung am Athener Verfassungsplatz ist | |
eine Volksabstimmung gegen die Austeritätspolitik.“ | |
So kam es auch: Zehntausende Griechen nahmen an Kundgebungen der | |
Linksopposition und der Gewerkschaften am Dienstagnachmittag vor dem | |
Parlament teil. Eine weitere, separate Demo organisierte in gewohnter | |
Manier die Gewerkschaft PAME, die der orthodoxen kommunistischen Partei | |
Griechenlands (KKE) nahesteht. | |
## Eher friedliche Proteste | |
„Merkel kam nach Athen, um Griechenlands Merkelisten zu unterstützen“, | |
erklärte Oppositionschef Alexis Tsipras auf einer Kundgebung der | |
griechischen Linkspartei, an der auch der deutsche Linkspartei-Chef Bernd | |
Riexinger teilnahm. Der weilte eigentlich in der griechischen Hauptstadt, | |
um sich mit Oppositionspolitikern zu treffen und bei der Eröffnung eines | |
Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu sprechen. „Dass Bernd Riexinger heute | |
mit uns demonstriert, zeigt doch, dass es keine Feindschaft gibt zwischen | |
den Völkern“, erklärte Tsipras. | |
Am Dienstagnachmittag kam es zu Zusammenstößen am Athener Verfassungsplatz, | |
als ungefähr sechzig Vermummte die Polizei attackierten. Diese blieb | |
zunächst untätig, setzte aber im Laufe des Nachmittags auch Tränengas ein. | |
Ansonsten verliefen die Versammlungen eher friedlich. | |
Zu einem Zwischenfall wäre es beinahe nach dem Empfang der Kanzlerin | |
gekommen, als der Tross der schwarzen Staatskarossen Angela Merkel in | |
Richtung Innenstadt fuhr und das halbstaatliche „Eric Dynan“-Krankenhaus an | |
der zentralen Mesogeionstraße passierte. Zahlreiche Krankenhausangestellte, | |
die seit acht Monaten kein Gehalt bekommen haben und direkt vor dem | |
Hospital demonstrierten, skandierten Parolen gegen den hohen Gast und | |
bewarfen die schwarzen Limousinen mit Plastikflaschen. | |
9 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Jannis Papadimitriou | |
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