# taz.de -- Das Leben der Künstler: „Einkommen hängt von Verträgen ab“ | |
> Der Jurist Martin Kretschmer über seine Studien zur Situation von | |
> Künstlern, Kulturmärkte und die Folgen der Befristung von Urheberrechten. | |
Bild: Digital ist besser? Wer Schallplatten kauft, stellt in der Regel sicher, … | |
taz: Herr Kretschmer, Sie sind an der Uni Bournemouth Professor für | |
Information jurisprudence. Gibt es vergleichbare Fachbereiche in | |
Deutschland? | |
Martin Kretschmer: Juristen, die auch empirisch tätig sind, wird man an | |
deutschen Unis kaum finden. In meine Arbeit fließen auch | |
kulturwissenschaftliche und ökonomische Aspekte ein. Interdisziplinäres | |
Arbeiten ist im angelsächsischen Raum weiter verbreitet als in Deutschland, | |
wo die Grenzen zwischen den Disziplinen strikt sind. Lehrstühle wie meinen | |
gibt es in Großbritannien einige. | |
Vor urheberrechtlichen und kulturökonomische Studien kann man sich kaum | |
retten. Wie ist die wissenschaftliche Substanz? | |
Dazu gibt es im Englischen einen Witz: Statt das Ziel zu verfolgen, eine | |
Praxis auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen („evidence based | |
policy“), verfolgt man das Ziel, die wissenschaftlichen Ergebnisse der | |
Praxis anzupassen („policy based evidence“). Das ist aber nicht typisch für | |
die Debatte um das Urheberrecht und die damit verwandten Diskussionen, das | |
gilt genauso für Klimaschutz oder Kernenergie. Immer wenn man | |
Fragestellungen hat, bei denen die Datenlage schwierig ist und die | |
Interessen fast religiöse Züge angenommen haben, kommt man in eine Lage, in | |
der die Diskussion fast rückwärts läuft. | |
Wer hat Ihre Studien finanziert? | |
Etwa der Arts Council, der mit der Akademie der Künste vergleichbar ist, | |
und die Verwertungsgesellschaft ALCS, die britische Entsprechung zur VG | |
Wort, und natürlich durch die britischen Research Councils ESRC und AHRC. | |
Unsere Unabhängigkeit ist in die Forschungsaufträge eingebaut. Das ist | |
enorm wichtig. | |
Was sind Ihre wichtigsten Ergebnisse? | |
Dass das Einkommen der Künstler von den Verträgen mit den Verwertern | |
abhängt – und nicht vom Urheberrecht. | |
Sie verwenden für Label und Verlage, die klassischen Mittelsmänner, den | |
Begriff „Verwerter“. Der ist hierzulande inzwischen gezielt abgewertet | |
worden. | |
Wenn ich den Begriff Verwerter benutze, dann in einem juristischen Sinne. | |
Die marxistische Konnotation ist aber durchaus interessant. | |
Sie sagen, der zentrale Punkt seien Verträge zwischen Künstlern und | |
Verwertern. Kann man das verallgemeinern? Es gibt aber doch viele | |
unterschiedliche Arten, Verträge auszugestalten. | |
Unsere Studien haben gezeigt, dass die Kulturmärkte als | |
Winner-take-all-Märkte strukturiert sind. Wir sind beeinflusst davon, was | |
unsere Freunde kaufen und nutzen. Da bilden sich Feedback-Loops. So | |
entstehen die Charakteristika der Superstar-Systeme – dazu gibt es ja | |
allerlei Literatur in der Kulturökonomie. Und in den Verträgen spiegelt | |
sich diese Dynamik wider. Mit dem Urheberrecht hat das nichts zu tun. | |
Wird das Urheberrecht überbewertet? | |
Obwohl das deutsche Urheberrecht auf dem Papier urheberrechtsfreundlicher | |
ist als in Großbritannien, ist die Einkommenslage der deutschen Künstler | |
keinen Deut besser. | |
Und wie ließe sich die Einnahmesituation von Künstlern denn dann | |
verbessern? | |
Zum Beispiel, in dem man Rechte immer nur für eine bestimmte Zeit | |
übertragen kann und diese nach einer gewissen Zeit dann an den Urheber | |
zurückfallen. | |
Die Piratenpolitikerin Julia Schramm hat für ihr kürzlich erschienenes Buch | |
einen Vertrag ausgehandelt, der für zehn Jahre gilt. | |
Man bräuchte je nach Produktkategorie unterschiedliche Fristen. Das könnten | |
fünf Jahre sein oder vierzehn. Danach kann ein Künstler die Rechte neu | |
verkaufen, oder wenn er es nicht mehr verwerten will, freigeben. Um solche | |
Veränderungen herbeizuführen, müsste man nicht einmal ein Gesetz ändern, | |
man könnte sie aber gesetzlich stützen. | |
In Ihrem „Musical Earnings“-Strategiepapier erwähnen Sie Zahlen der | |
Künstersozialkasse (KSK) von 1998. Demnach verdienten 90 Prozent der damals | |
bei der KSK gemeldeten 26.545 Musiker weniger als 30.000 Mark, also rund | |
15.000 Euro. Die Zahlen klingen aktuell. Ist ein wesentlicher Teil des | |
Problems, über das heute geredet wird – dass sich etwa Musiker aus dem | |
Mittelbau von ihrer Kunst kaum ihren Lebensunterhalt finanzieren können –, | |
letztlich älter als der Paradigmenwechsel durch die Digitalisierung? | |
Die Dynamik der Kulturmärkte, die es mit sich bringt, dass ein Großteil der | |
Künstler ein Portfolio aus verschiedenen Einnahmequellen haben muss, galt | |
in der analogen Zeit genauso wie jetzt. Wir haben uns 2011 anhand von | |
Interviews auch mit der Frage beschäftigt, wie sich die Situation von | |
Designern, Illustratoren, Fotografen und bildenden Künstlern im Laufe von | |
zehn Jahren verändert hat. Für Fotografen hat sie sich deutlich | |
verschlechtert, das ist ein nachvollziehbarer Effekt der Digitalisierung, | |
Während sich für die anderen Sparten keine Unterschiede feststellen lassen | |
oder sich die Lage sogar zu ihrem Vorteil verändert hat. Und diese Folgen | |
haben mit dem Urheberrecht nichts zu tun, da kann man wieder sehen, dass | |
sich die Fundamentalisten in der Debatte auf das falsche Thema stürzen. | |
Ist es nicht paradox, dass sich Nischenmusiker, die früher im niedrigen | |
fünfstelligen Bereich Tonträger verkauft haben und einen entsprechenden | |
Status hatten, damit einigermaßen über Wasser halten konnten, während sie | |
heute vielleicht bekannter sind als damals, dafür aber ärmer? | |
Ich kenne dazu keine zuverlässigen Zahlen. Das könnte für ein bestimmtes | |
Segment zutreffen, die Arbeitsbedingungen ändern sich ständig, und Musiker | |
sind davon nicht ausgeschlossen. | |
Als erfolgversprechendes Finanzierungsmodell für Kulturschaffende werden | |
nun verstärkt Crowdfunding-Plattformen angeführt. Sehen Sie das | |
optimistisch oder etablieren sich da nicht bloß neue Mittelsmänner, die | |
kritiklos akzeptiert werden? | |
In einigen Fällen hat es funktioniert, Projekte auf diese Weise zu | |
finanzieren. Und bei Nischenprodukten wird es vielleicht auch langfristig | |
klappen. Crowdfunding ist aber sicher kein Modell für die nächste | |
Generation von Videogames. | |
Ed Droste, Mitglied der erfolgreichen US-Indieband Grizzly Bear, hat darauf | |
hingewiesen, dass der digitale Download ihres neuen Albums, an dem seine | |
Band zwei Jahre gearbeitet hat, so viel koste wie eine Tüte Popcorn im | |
Kino, umgerechnet knapp sieben Euro. Künstler, die sich zu ihrer | |
finanziellen Situation äußern, riskieren einen Imageverlust. Woran liegt | |
das? | |
Künstler, die reflektiert über digitale Veränderungen reden, sind immer | |
noch die Ausnahme. In Deutschland gibt es die Besonderheit, dass Künstler | |
und Verwerter oft mit einer Stimme sprechen, obwohl ihre Interessen nicht | |
dieselben sind. Diese Entwicklung ist mit daran schuld, dass die digitale | |
Generation den Glauben an die Ideologie der Urheber zu verlieren scheint. | |
Wer hebt denn hier? Und was ist das „Ur“ aus dem gehoben wird? | |
13 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
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