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# taz.de -- Theater in Bosnien-Herzegowina: Prijedor hat wieder was zu bieten
> Die von serbischen Nationalisten dominierte Region Republika Srpska ist
> tiefste kulturelle Provinz. Bis auf das Theater von Prijedor.
Bild: Wer ist Serbe? Wer Bosniak? Wer Kroate? Premiere im Theater von Prijedor.
PRIJEDOR taz | Die gelbe, neoklassizistische Fassade des Theaters Prijedor
bröckelt zwar etwas, doch das Café im Erdgeschoss ist renoviert und stets
voll besetzt. Seit Neuestem ist auch der Theatersaal wieder voll. Es hat
sich herumgesprochen, dass das Theater wieder etwas zu bieten hat. Jetzt
kommen Besucher aus ganz Bosnien. Prijedor mit seinen 65.000 Einwohnern
gehört zur Republika Srpska, der serbischen Teilrepublik
Bosnien-Herzegowinas, und wird von serbischen Nationalisten dominiert. Seit
dem Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 ist sie als kulturelle Provinz
verschrien.
„Unsere Schauspieler kommen aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien“, erzählt
Darko Cvijetic. Sie kommen aus Belgrad, Sarajevo, Tuzla und Zagreb, sind
Kroaten, Serben und Muslime. Der etwas gedrungene, vollbärtige Darko selbst
ist Dichter, Regisseur und Schauspieler in einer Person. Schon als Kind
spielte er hier vor 35 Jahren auf der Bühne. Er ist in der Stadt geblieben.
In der Kneipe, in der eine freundliche Wirtin über drei Tische gebietet,
kommt niemand auf die Idee, die Gäste zu fragen: Bist du Serbe? Bosnier?
Kroate? Ohnehin weiß das jeder über jeden. Die Szene ist überschaubar.
Wichtig ist, dass diese Zuordnungen bei den Debatten über Kunst und Theater
keine Rolle spielen. Obwohl die Geschichte des Ortes auf allen lastet. Denn
hier in Prijedor haben 1992 unvorstellbare Verbrechen stattgefunden.
Im Zuge der „ethnischen Säuberungen“ wurden von serbischen Nationalisten
Konzentrationslager aufgebaut. Über 3.200 Menschen aus der damals 80.000
Einwohner zählenden Gemeinde, vornehmlich Muslime und Katholiken, haben in
den Lagern Omarska, Trnopolje, in Keraterm oder in den umliegenden Dörfern
den Tod gefunden. Rund die Hälfte der Einwohner musste fliehen. Immerhin
kamen inzwischen einige Tausend Bewohner zurück.
Auch der Serbe Darko spricht nicht gern über die Verbrechen. Er handelt
lieber mit den Mitteln, die er hat – als Dichter und Schauspieler. Und wie
alle in der Kneipe weiß auch er, dass die Mehrheit der jetzt hier
dominierenden serbischen Bevölkerung jegliche Verantwortung ablehnt. Viele
leugnen die Taten. Die politische Führung in Gestalt des am 7. Oktober
wiedergewählten Bürgermeisters Marko Pavic von der Serbischen Volkspartei
hat auch nicht versessen, diese Geschichte hervorzuheben. Die bosnischen
Serben haben sich politisch und ideologisch eingeigelt.
## Jetzt auch mit internationalen Autoren
Viele serbische Intellektuelle sind während des Krieges und noch danach
nach Belgrad oder ins Ausland abgewandert. Der Fortgang ist bis heute nicht
gestoppt. Aber langsam tut sich etwas. Als Anfang dieses Jahres eine junge
Frau wagte, bei Facebook anzukündigen, dass der Film „In the Land of Blood
and Honey“ gezeigt werde, erregte dies großes Aufsehen. Der Film, für den
Angelina Jolie Regie führte, handelt von der Liebe zwischen einem
serbischen Soldaten und einem bosnischen Vergewaltigungsopfer während des
Bosnienkriegs. Er ist hier verboten.
Die Aktion warf ein Schlaglicht. Kein Kinobesitzer wagte es, ihr zu folgen.
Angesichts der Verbote und Tabus sei die serbische Teilrepublik in Bosnien
und Herzegowina in einer Art Volkstumsdiktatur gefangen, das kulturelle
Leben sei stark eingeschränkt, beklagen junge Leute anonym im Internet.
„Seit dem Krieg wurden hier nur Stücke von serbischen Autoren gespielt,
sieht man von internationalen Autoren mal ab. Wir wollen das jetzt ändern“,
erklärte Darko vor wenigen Monaten. An seinem Kneipentisch hier entstanden
schon viele Ideen, doch die meisten ließen sich nicht verwirklichen. Der
aus der Region stammende 27-jährige Regisseur Marko Misiraca, ein
aufgehender Stern am Theaterhimmel, versprach mitzumachen. Sie einigten
sich darauf, einem bosniakischen, also muslimischen Autor den Weg zu ebnen.
Natürlich wussten sie, dass sie an Tabus rühren. „Ohne Provokationen ändert
man nichts“, sagte Marko. Skender Kulenovic heißt der Autor und sein Stück
„Teilen statt Teilung“. Ein brisanter Titel – hatte doch kürzlich der
Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik Milorad Dodik wieder einmal
die Abspaltung der serbisch dominierten Gebiete von Bosnien und Herzegowina
gefordert. Seine Begründung: Serben könnten nicht mit Kroaten und Bosniaken
zusammenleben.
Die Kulturszene lächelt darüber. Um Zusammenleben ging es auch schon dem
Autor Kulenovic. Sein Stück spielt nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Dorf
und zeigt die Stimmung zwischen Serben, Kroaten und Muslimen beim Aufbau
des Sozialismus. Satirisch werden die Charaktere durch den Kakao gezogen,
etwa das Hin und Her bei der Gründung eines Komitees und bei den kleinen
Opportunismen und wenn Eigeninteressen mit Interessen der Gesamtheit
kollidieren. Schließlich führen die Konflikte in ein Fiasko.
Das Stück war schon bei der Erstaufführung umstritten und im
kommunistischen Tito-Regime zeitweise verboten. Dennoch war der 1910 in
Bosanski Petrovac geborene Kulenovic bis zu seinem Tod 1978 eine Größe im
kulturellen Leben Jugoslawiens. Marko, der junge Regisseur, hat das Stück
in die Zeit vor den Bosnienkrieg verlegt, der 1992 ausbrach, und will so
die Mechanismen aufzeigen, die in Bosnien zur Katastrophe geführt haben.
## Keine Provokation!
Um das serbische Publikum anzusprechen, beschlossen sie, Kulenovic’ Gedicht
„Stojanka Majka Knezopoljka“, das von einer serbische Mutter handelt, dem
Stück voranzustellen. Die Verse sprechen das Leiden der Serben während der
kroatischen Ustascha-Diktatur von 1941 bis 1945 an. Dem Terror der Ustascha
und der Deutschen fielen Zehntausende von Menschen in Westbosnien zum
Opfer. Jeder Serbe kennt dieses Gedicht.
Regisseur Marko Misiraca hatte aber die Idee, als Kontrapunkt ein Gedicht
des in Sarajevo lebenden Serben Marko Vesovic an das Ende des Stücks zu
stellen. Vesovic thematisiert das Leiden einer muslimischen Mutter im
Bosnienkrieg. Ein Bosniak über die serbische Mutter – ein Serbe über eine
muslimische Mutter. Das wäre bewegend. So schwärmte Misiraca im August.
Mitte September schlichen Darsteller und Regisseur bedrückt in die
Theaterkneipe. Die Theaterleitung forderte Korrekturen. Keine Provokation!,
hieß es. Das Theater wird schließlich von der Stadt finanziert. Es gab
Verhandlungen. Das Gedicht am Schluss, über die muslimische Mutter musste
entfallen. Sollte Marko Misiraca die ganze Inszenierung kippen? Das ging
nicht mehr.
Die Premiere ist ausverkauft, gespannt lauschen die vielen jungen Besucher
dem Gedicht über die serbische Mutter. Sie lachen danach über einen Imam
und einen Kroaten, dann wird es still, als ein Serbe sich dabei hervortut,
den gemeinsamen Besitz aufzuteilen. Schließlich beteiligen sich alle daran
– und dann kommt das Fiasko. Das Publikum applaudiert heftig. Die
Schauspieler kehren mehrmals auf die Bühne zurück.
Der Beifall zeuge davon, dass viele Menschen endlich aus der
eindimensionalen Interpretation der Geschichte herauskommen wollen, erklärt
kurz darauf ein Schlaumeier aus Belgrad. In Prijedor entwickle sich langsam
ein richtiges Theaterpublikum, freut sich dagegen Darko. „Daran müssen wir
weiter arbeiten.“ Die Schauspieler feiern in ihrer Kneipe. Gastspiele in
Serbien, in Sarajevo, Zenica und in Kroatien werden folgen. Vielleicht wird
sich Marko noch durchsetzen und bei den Gastspielen das Gedicht über die
muslimische Mutter ans Ende stellen.
15 Oct 2012
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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