# taz.de -- Ali Güngörmüs über Gourmet-Küche: "Männer kochen eben nicht" | |
> Ali Güngörmüs ist weltweit der einzige Sternekoch mit türkischen Wurzeln. | |
> Seit 2005 betreibt er in Hamburg, an der Elbe, das Restaurant "Le Canard | |
> Nouveau". | |
Bild: "Wenn du ein guter Koch bist, kannst du nicht für Fertigprodukte werben"… | |
taz: Herr Güngörmüs, schon der Weg zu Ihrem Restaurant ist toll: als würde | |
man über eine Schiffsplanke laufen – und dazu der Blick auf den Hafen. | |
Ali Güngörmüs: Waren Sie noch nicht hier? | |
Nein. | |
Sie arbeiten um die Ecke und waren noch nie hier? So teuer sind wir nicht! | |
Zu zweit kann man bei uns mittags für 100 Euro essen. Was geben Sie denn | |
woanders aus? Bestimmt 20 Euro. | |
Äh … | |
10 Euro. | |
Eigentlich noch weniger, aber dann bekomme ich auch keine Wachtel. Die | |
steht bei Ihnen gerade auf der Mittagskarte. Angefangen haben Sie ja mit | |
bodenständiger Küche, Hendl in Cornflakes-Panade und so. | |
Ich habe in einem ganz einfachen Wirtshaus in München gelernt, da hatten | |
wir keine Edelprodukte. Nur einmal gab es Hummer und Flusskrebse, als der | |
FC Bayern bei uns sein Jahresessen hatte. Wir sind nach der Berufsschule | |
extra noch mal ins Lokal gekommen, um uns die Produkte anzusehen, das war | |
für uns was ganz Besonderes. | |
Wann haben Sie mit dem Kochen begonnen? | |
1991 habe ich meine Lehre angefangen, mit 14. | |
Haben Sie vorher schon gekocht? | |
Nee. Also zu Hause ein bisschen, aber das kann man ja mit professionellem | |
Kochen nicht vergleichen. Bei uns hat meine Mutter immer frisch gekocht. | |
Ich bin in Ostanatolien, in Tunceli, geboren und wir hatten einen kleinen | |
Bauernhof, mit Obstplantage und Viehzucht und haben uns selbst versorgt. Da | |
hast du natürlich schon einen Bezug zu Lebensmitteln, das war toll. | |
Deswegen bin ich auch so froh, dass ich Koch geworden bin. | |
War das geplant? | |
Überhaupt gar nicht! Wir hatten eine Boyband. Kennen Sie MC Hammer noch? | |
Klar! „U Can’t Touch This“! | |
Genau! Es gab einen echten MC-Hammer-Hype und wir haben versucht, was in | |
der Musikschiene zu machen. | |
Mit Auftritten und so? | |
Ja, wir haben das richtig gut gemacht! Wir haben davon gelebt! Naja, gelebt | |
haben wir zu Hause, sagen wir, es war unser Taschengeld. Aber so kannst du | |
nicht immer dein Geld verdienen. Ein Freund von mir hat damals Koch gelernt | |
und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, vorbeizuschauen und eine | |
Schnupperlehre zu machen. Ich bin direkt hin und habe angefangen. | |
Klingt unkompliziert. | |
Damals war es überhaupt kein Problem, eine Lehrstelle zu finden. Ich habe | |
ja nur einen Hauptschulabschluss und selbst damit konntest du was finden. | |
Aber heute? Mit Hauptschulabschluss? Da musste froh sein, wenn dich einer | |
nimmt. | |
Haben Sie Deutsch gesprochen, bevor Sie herkamen? | |
Überhaupt nicht! So jung beherrscht du deine Muttersprache ja noch nicht | |
mal perfekt, dann lernst du Deutsch, in der Schule kam noch Englisch dazu | |
und in der Berufsschule Französisch. Nur Sprachen! Das war ein wenig | |
anstrengend, aber ich habe zwei Jahre lang Nachhilfe genommen – und mit | |
einer 1 abgeschlossen. | |
Türke, Hauptschulabschluss, Lehre im Wirtshaus: Das läuft eigentlich nicht | |
auf eine Karriere als Sternekoch hinaus. | |
Ja, ein Moslem, der auch noch Schweinsbraten verkauft! | |
Sind Sie Moslem? Ich habe Sie Schweinefleisch essen sehen. | |
Ich bin Alevit. Also schon Moslem, aber die Aleviten sind eine Abspaltung | |
der Schiiten, unser Prophet ist nicht Mohammed, sondern Ali. Aber bei uns | |
in der Familie ist Religion nicht so wichtig, unsere Eltern haben nie | |
gesagt, ihr müsst daran fest glauben und gewisse Rituale machen. Ich selbst | |
glaube an Gott, aber ich gehe dafür nicht in die Moschee beziehungsweise | |
ins Cem-Haus, wie es bei uns heißt. Ich mache das mit mir aus. | |
Ihren Karriereplan haben Sie auch mit sich ausgemacht? | |
Ich habe mir Ziele gesetzt und gesagt, bis 17 lernst du, bis 25 arbeitest | |
du in guten Restaurants, mit 25 bist du Küchenchef und mit 30 wollte ich | |
mein eigenes Restaurant haben. | |
Das hatten Sie mit 27. | |
Den Arschtritt hat mir mein ehemaliger Chef aus dem Münchner „Lenbach“ | |
gegeben. Ich hatte mal zwei Tage hintereinander frei, da kommt der zu mir | |
und sagt: Du, eigentlich hast du ein super Leben bei mir. Super Leben? Wir | |
haben fünf Tage die Woche 14, 15 Stunden für den gearbeitet, das war | |
Wahnsinn. Da hab ich gedacht, weißt du was? | |
Mach deinen Scheiß allein. | |
Ich bin nach Hause geradelt und habe gedacht, ich möchte nicht mehr für wen | |
anders arbeiten. Und dann bin ich nach Hamburg und 2005 sind wir hier | |
gestartet. | |
Woran liegt es, dass Sie weltweit der einzige Sternekoch mit türkischen | |
Wurzeln sind? | |
Weil Kochen bei uns immer Frauensache ist. Der Mann arbeitet und sorgt | |
dafür, dass Geld reinkommt und die Frau ist zu Hause, hält die Familie | |
zusammen und hütet die Kinder. Ich sehe zwar schon mehr türkische Köche in | |
der Spitzengastronomie, aber die meisten wollen schöne Berufe machen. | |
Schöne Berufe? | |
Sich nicht schmutzig machen! Immobilienmakler, Bankkaufmann, Studium. Sowas | |
eben. Und ich glaube schon, dass man zu Hause sieht, ach Mama kocht. Männer | |
kochen eben nicht. | |
Das hat Sie nicht gestört? | |
Überhaupt gar nicht! Also es gab schon mal blöde Kommentare vom Onkel oder | |
vom Bruder. Aber wir sind sehr liberal aufgezogen worden. Unser Vater hat | |
immer gesagt: Die Hauptsache ist, ihr habt was. Das ist ihm doch lieber, | |
als wenn wir irgendwo rumhängen. | |
Ihr Vater kam 1964 als einer der ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach | |
München. | |
Ich bin eigentlich ohne Vater aufgewachsen. Wir haben den schon sehr | |
vermisst und uns immer sehr gefreut, wenn er einmal im Jahr kam. Er hat | |
immer so vier bis sechs Wochen Jahresurlaub genommen und uns schöne | |
Geschenke mitgebracht. Ich weiß noch, Milka-Schokoldade! Aber für meine | |
Mutter war das alles nicht einfach. | |
Mussten Sie mit anpacken? | |
Wir hatten kein fließend Wasser und mussten immer zum Brunnen laufen. Das | |
war nicht weit, vielleicht so ein Kilometer, aber ich war noch klein – und | |
dann kriegst du zwei Kanister in die Hand und musst loslaufen. Wir haben | |
wirklich sehr einfach gelebt. Klar haben sie heute fließend Wasser und | |
Strom. Aber damals war das eben nicht so. | |
Ihr Vater hat erst nach über 20 Jahren seine Familie nachgeholt. | |
Das war 1986 und meine Mutter wollte einfach nicht mehr in Ostanatolien | |
leben. Das Leben war schwer und die PKK-Rebellen wurden in der Region immer | |
aktiver. Ich war damals zehn und meine beiden älteren Geschwister 15 und | |
13, jung und naiv. Unsere Mutter hat einfach Angst gehabt, dass wir | |
Blödsinn machen. Sie hat gesagt: Entweder gehen wir nach Istanbul oder nach | |
Deutschland, und da hat mein Vater dann gesagt: Ihr kommt nach Deutschland. | |
Leben Ihre Eltern immer noch in München? | |
Die leben acht Monate im Jahr in der Türkei, das Wetter ist so schön! Ich | |
habe am Wochenende mit meinem Vater telefoniert, die haben noch 24 Grad! Im | |
November kommen sie meist nach Deutschland, denn der Winter ist da unten | |
nicht schön, es gibt Schnee, es ist kalt und in der Wohnung gibt es nur | |
einen Holzofen. Aber im März, April geht es wieder zurück. Meine Mutter | |
schickt mir dann immer getrocknete Tomaten, Obst, hausgemachte Marmelade, | |
selbst gepflückte getrocknete Kräuter. | |
Kochen Sie in Hamburg eigentlich anders als in München? | |
Ich habe gerade eine Anfrage gekriegt: Ich soll Labskaus kochen! | |
Irgendwie lecker, aber hässlich. | |
Grausam! Aber ich habe das mal als Juror bei der „Küchenschlacht“ probiert, | |
da kann man ja nicht Nein sagen. Es hat gar nicht so schlecht geschmeckt. | |
Landet man heute als Sternekoch zwangsläufig in einer Kochshow? | |
Zwangsläufig nicht, aber es tut dem Geschäft schon gut. Aber du darfst | |
nicht unterschätzen, dass du draußen dann stärker erkannt wirst. | |
Sie werden auf der Straße angesprochen? | |
Neulich bin ich nach Paris geflogen, gehe durch die Sicherheitskontrolle | |
und da spricht mich einer an: Du bist doch der Ali von der | |
„Küchenschlacht“, können wir ein Foto machen? Aber das ist schon in | |
Ordnung. Nur wenn ich mit der Familie unterwegs bin und ständig beobachtet | |
werde, merke ich schon, das ich die Privatsphäre ein bisschen verloren | |
habe. Aber ich weiß ja selbst, wie das ist. Früher, als ich bei „Käfer“ … | |
München gearbeitet habe und Boris Becker oder Franz Beckenbauer kamen, habe | |
ich auch die ganze Zeit hingeschaut. Du willst nicht, aber deine Augen | |
wollen. | |
Einige Ihrer TV-Koch-Kollegen machen Werbung für Fertigsuppen oder | |
Instantbrühe. Wie weit würden Sie denn so gehen? | |
Wenn du ein Gourmet-Restaurant führst und dich für gesunde Ernährung | |
einsetzt, dann kannst du das nicht machen. Da machst du dich unglaubwürdig. | |
Und es gibt auch eine Ehre als Koch! Wenn du ein guter Koch bist, kannst du | |
nicht für Fertigprodukte werben oder die in deinem Restaurant einsetzen. | |
Aber manchmal ist der finanzielle Reiz stärker. | |
28 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträgr | |
## TAGS | |
Lebensmittel | |
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