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# taz.de -- Das Montagsinterview: "Nie ein Außenseiter"
> Nie hätte der 31-jährige Nermin Sali als Schüler gewagt, von einem
> akademischen Beruf zu träumen. Für den Angehörigen einer mazedonischen
> Gastarbeiterfamilie war klar, später auch unten ins Räderwerk zu treten.
Bild: Bekam gesagt, dass er als Student mit Migrationshintergrund mehr leisten …
taz: Herr Sali, woher stammt Ihre Familie?
Nermin Sali: Mein Vater war vor 35 Jahren in Berlin einer der ersten
Arbeitsemigranten vom Balkan. Wir stammen aus Mazedonien im ehemaligen
Jugoslawien, wo drei verschiedene Volksgruppen zusammenleben. Von der
Kultur her bin ich eher Roma, von der Sprache aber albanisch geprägt. Die
Sprache, die ich am besten kann, ist mazedonisch. Nach Bremen bin ich mit
acht Jahren gekommen.
Wie ist Ihre Erinnerung an Ihre ersten Lebensjahre?
Nicht so toll, weil meine Familie die typischen Merkmale einer
Arbeitsmigrantenfamilie aufwies. Meine Mutter hat relativ lange nicht gut
deutsch gesprochen und nicht gearbeitet. Mein Vater hat umso mehr
gearbeitet, sodass ich mich nicht an eine ausgewogene Kindheit im Hinblick
auf Integration erinnern kann. Als wir nach Bremen gekommen sind, hat die
Mehrheitssprache in Kindergarten und Schule eine größere Rolle gespielt.
Inzwischen spricht auch meine Mutter sehr, sehr gut Deutsch.
Wissen Sie noch, was Ihr erster Berufswunsch war?
Nein. Das liegt, glaube ich, mit an meinem Migrationshintergrund. Man
bekommt relativ spät ein Bild davon, was man überhaupt machen kann. Bis zur
zehnten Klasse habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. In der
Schulzeit kann ich mich an eine einzige Bewerbung erinnern, die ich
geschrieben habe: als Graveur. Aber auch nur, weil ich den Namen so schön
fand.
Was für ein Schüler waren Sie?
Bis zur neunten Klasse war ich eher ein Schüler, der schwänzte, wo es nur
ging und die Zeit lieber mit Freunden verbrachte. In der neunten Klasse bin
ich dann sitzen geblieben. Durch diesen Umstand bin ich dann langsam mit
der Schule warm geworden.
Welche Rolle hat in der Schulzeit Ihr Migrationshintergrund gespielt?
Bis zur zehnten Klasse kann ich mich nicht erinnern, dass der irgendeine
Rolle gespielt hat. Selbst viele Lehrer wussten nicht, wo ich herkomme. Bei
mir kam hinzu, dass es komplex war, da hörten die Lehrer schnell auf
mitzudenken. Sie haben das nie hinterfragt und haben sich recht wenig Zeit
genommen, um den Schüler als Menschen richtig vor Augen zu haben. Und wenn
man nicht das Gefühl hat, als Mensch interessant zu sein, dann demotiviert
das.
Wann kam denn der Kick, mehr in die Schule zu investieren?
Gar nicht. Als ich nach der neunten Klasse sah, dass der Notendurchschnitt
auf meinem Zeugnis ausreichen könnte, um eine höhere Schule zu besuchen,
war das für mich einfach die Möglichkeit, weiter zur Schule zu gehen und
mich nicht mit Arbeit und Ausbildung befassen zu müssen. Selbst in der
Oberstufe wusste ich nicht, was ich machen will. Es hat mich auch niemand
in die Bredouille gebracht, darüber nachzudenken. Die Oberstufe konnte ich
nur mit sehr vielen Hürden meistern. Nicht, weil ich blöd bin, sondern weil
mir die Mittel fehlten. Ich hatte kaum Training, ich hatte nicht die
gleichen Vorkenntnisse wie die deutschen Schüler, das musste ich mir dann
selbst hart aneignen.
Spielte denn der Migrationshintergrund für Ihr Selbstbild eine Rolle?
Als Exot mit drei verschiedenen Volksgruppen in mir war ich immer ein sehr
stolzer Mensch. Ich habe Gott sei Dank gesehen, dass es etwas Positives
ist, wenn man Verschiedenes in sich trägt und das hat mich unbewusst
gelenkt.
Wann hatten Sie denn das erste Mal die Idee, Lehrer zu werden?
Es gab ein Schlüsselerlebnis bei meinem schriftlichen Abitur. Unsere
Lehrerin hatte etwas Benommenes, Mitleidendes. Ich fragte mich: Warum nimmt
sie das so mit, dass wir hier jetzt fünf Stunden lang eine Klausur
schreiben müssen? Da wurde mir das Menschliche klar, das ein Lehrer ja in
sich tragen muss, die Fähigkeit zur Empathie. Das war das erste Mal, dass
ich überhaupt daran dachte, Lehrer werden zu können. Vorher hätte ich jeden
ausgelacht, der mir gesagt hätte, dass das möglich ist. Selbst Kindern und
Jugendlichen, die hier geboren sind und sich als Deutsche fühlen, weil sie
perfekt Deutsch sprechen und die Kultur kennen, fehlt oft der Mut, sich
hinzustellen und zu sagen: Ich kann so etwas erreichen wie einen
akademischen Grad und einen verantwortungsvollen Beruf, ich muss nicht am
Fließband stehen.
Haben Sie denn nach dem Abitur gleich ein Lehramtsstudium begonnen?
Ja, aber ich hatte weiter Selbstzweifel, das schaffen zu können. Und wenn
man dann mit Diskriminierung seitens der Professoren und Dozenten
konfrontiert wird, rückt der Traum immer mehr in die Ferne. Dann denkt man
sich, dass sich anschließend sowieso keine Tür mehr öffnen wird.
Welche Form von Diskriminierung haben Sie an der Uni erlebt?
Man merkt das schon, wenn Intoleranz da ist, wenn keine Wertschätzung da
ist, wenn Professoren sagen, dass man als Student mit Migrationshintergrund
mehr leisten muss, um zu zeigen, dass man sich das verdient hat. Das habe
ich so gehört. Das hatte ich bis zum Abschluss.
Sie haben während des Studiums eine Familie gegründet und mussten Geld
verdienen. Wie haben Sie das vereinbart?
Ich hatte das Glück, dass ich bei meinen Jobs auf die Bildungsschiene
gekommen bin. Ich habe beim Internationalen Bund als Dozent begonnen und
zum Schluss als stellvertretender Projektleiter gearbeitet. Das war mein
Ding, da habe ich die Wertschätzung bekommen, die man als arbeitender
Mensch braucht.
Hat sich das im Referendariat fortgesetzt?
Der Rollenwechsel war schwierig. Von der selbstbewussten Rolle an der Tafel
zum Lernenden. Leider war es so, dass im Referendariat das Thema meiner
Migration hier und da in ein Licht gerückt wurde, das mich traurig gemacht
hat. Das war zwar keine offene Diskriminierung mehr, aber es war mit
einigen Seminarleitern schwierig. Es gab auch Seminarleiter, die mir ein
Übermaß an Respekt entgegengebracht haben und die mich dazu gebracht haben,
darüber nachzudenken, was es identitätstechnisch für mich bedeutet, ein
Vorbild für Kinder zu sein. Das hatte ich mich vorher nicht gefragt. Da kam
der Stein ins Rollen. Da habe ich dann auch gemerkt, dass ich für viele
meiner Schüler tatsächlich eine Vorbildrolle habe. In der Schule habe ich
mich vom ersten Tag an als vollwertiger Lehrer gefühlt. Da war ich nie ein
Außenseiter.
Hatten Sie Schwierigkeiten, nach dem zweiten Staatsexamen eine Stelle zu
bekommen?
Nein, ich wurde an meiner Schule sofort übernommen. Da haben sich einige
Leute für mich eingesetzt. Das war eine Wertschätzung ohnegleichen.
Viele, die hier geboren sind, sind ja eher genervt, nach all den Jahren
immer noch auf ihren Migrationshintergrund angesprochen zu werden. Sie
thematisieren das offensiv. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?
Ich hatte mir erst nicht so viele Gedanken gemacht, was ich denn
identitätstechnisch bin – Deutscher oder Migrant. Während des
Referendariats habe ich von einigen Leuten den Rat bekommen, mich nicht in
diese Migranten-Schublade stecken zu lassen, weil das oft mit Nachteilen
verbunden sei. Aber dann wurde mir klar, dass Lehrer zu dem stehen, was sie
sind. Ich habe erlebt, dass Kinder sich gut gefühlt haben, wenn ich ihnen
gesagt habe, wer ich bin. Dieses Gefühl, vor den Kindern offen über mich zu
sprechen, hat mich dazu gebracht, diesen Weg zu gehen. Mir ist klar
geworden, dass es mir gut tut, dass ich offensiv mit meiner Herkunft
umgehe.
Was wiegt schwerer als Bürde: Auf dem Arbeitsmarkt seinen Platz zu finden,
die eigenen Zweifel und Unterlegenheitsgefühle oder die Diskriminierungen
der Außenwelt?
Es ist eine Mischung verschiedener Ebenen. Die Gesellschaft transportiert
ein Bild, dass Menschen mit Migrationshintergrund etwas Besonderes leisten
müssen, um anerkannt zu werden. Diese Message kommt bei Kindern an, die
bildungsfern aufwachsen. Wenn man das im Elternhaus hört und von den Medien
transportiert bekommt und dann in der Schule noch mit offener oder
verdeckter Diskriminierung konfrontiert ist, ist für eine Kinderseele
programmiert, dass die Selbsteinschätzung nicht hinhaut. Ich glaube, dass
es auch viele gute Lehrer ohne Zuwanderungsgeschichte gibt, die versuchen,
darauf einzugehen.
4 Nov 2012
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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