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# taz.de -- Kein Mittel gegen Grippe: Geschäft mit Nebenwirkungen
> Die Krankenkassen haben den Pharmakonzern Novartis exklusiv damit
> beauftragt, Hamburg und Schleswig-Holstein Impfstoff zu liefern. Aus
> diesem Rabattvertrag kommen sie nicht mehr heraus
Bild: Begripal, Fluad oder Optaflu? Ein Arzt verabreicht eine Grippe-Schutzimpf…
HAMBURG/KIEL taz | Für die Krankenkassen in Schleswig-Holstein und Hamburg
ist es eine Katastrophe: Beim ersten Rabattvertrag mit einem Lieferanten
für Grippe-Impfstoff ist dort in diesem Jahr alles schief gegangen. Nicht
genug damit, dass der exklusiv beauftragte Pharmakonzern Novartis so lange
für die Lieferung der Impfdosen an Ärzte und Apotheken brauchte, dass die
Kassen dem öffentlichen Druck nachgeben und wieder Medikamente aller
Anbieter zulassen mussten.
Nein, dazu riefen vergangene Woche auch noch die zuständigen
Arzneimittelprüfer des Paul-Ehrlich-Instituts bereits gelieferte
Novartis-Produkte zurück – wegen des Verdachts, der Impfstoff führe
möglicherweise zu allergischen Reaktionen und Kreislaufbeschwerden.
Nun fehlen in den beiden Bundesländern für zwei von drei potenziell zu
Impfenden die entsprechenden Medikamente. 500.000 Impfdosen ist Novartis im
Rückstand – und andere Hersteller hätten solche Mengen mittlerweile auch
nicht mehr auf Lager, sagt Thomas Friedrich, Geschäftsführer des
schleswig-holsteinischen Apothekerverbands. Die Schuld tragen in seinen
Augen die Kassen: Sie hätten zu lange an Novartis festgehalten.
Bereits im September hatten sich bei dem Pharmahersteller Probleme
angekündigt. Der günstige Impfstoff Begripal, für den Novartis den Zuschlag
als Exklusiv-Lieferant der beiden Bundesländer erhalten hatte, kam nicht
bei den Apotheken an. Bei einer ersten Krisensitzung ließen sich die
Krankenkassen damals darauf ein, mit Novartis eine Ergänzungsvereinbarung
zu schließen: Der Konzen durfte nun statt Begripal seine Präparate Fluad
und Optaflu liefern, obwohl letzteres zunächst als krebserregend in die
Kritik geraten war. Vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut ist der Impfstoff
allerdings für den deutschen Markt zugelassen, mit dem Hinweis, dass
Optaflu "keine Gefährdung für den Menschen" darstelle.
## Vertrag auf Eis
Diese Entscheidung sei im Sinne einer „schnellen Versorgung der Patienten“
getroffen worden, sagt Jens Kuschel, Sprecher der AOK Nordwest. Diese ist
seit Oktober 2010 auch für Schleswig-Holstein zuständig.
Der Rabattvertrag mit Novartis liegt auf Eis, seit die Kassen vor knapp
drei Wochen den norddeutschen Ärzten wieder erlaubten, auch Impfstoffe
anderer Hersteller zu verwenden. In Hamburg begrüßten Kassenärztliche
Vereinigung und Apothekerverein diesen Schritt. Gekündigt aber ist die
Vereinbarung nicht – und nach taz-Informationen bleibt das auch so: Die
Kassen seien an Novartis gebunden, auch bei Lieferverzögerungen, sagt ein
Insider.
AOK-Sprecher Kuschel kommentiert das nicht. Zu Vertragsinhalten dürfe er
sich nicht äußern. Journalisten sollten bei dem Pharmakonzern selbst
nachfragen, „wann und in welchen Mengen sie liefern“. Doch Novartis
antwortet nicht auf taz-Anfragen – und wohl auch nicht auf die der Kassen.
Der Konzern kommuniziere derzeit nicht, so ist zu hören.
„Die Situation zeigt, dass man in eine Abhängigkeit kommt“, sagt Friedrich
vom Apothekerverband: „Wir halten Rabattverträge generell für
problematisch.“ Schließlich ende bei einer Ausschreibung der
Wettbewerbsdruck für einen Hersteller mit seinem Zuschlag. Anders gelöst
ist dies in Niedersachsen: Dort haben die Kassen in diesem Jahr zwar auch
einen Exklusivvertrag für Grippe-Impfstoff abgeschlossen, allerdings mit
zwei verschiedenen, konkurrierenden Pharmakonzernen.
Dass Novartis doch noch rechtzeitig vor Anbruch der Grippesaison Ende
Dezember seine Lieferversprechen einlöst, davon geht Friedrich nicht aus:
„Sonst wären jetzt schon Chargen zur Prüfung da.“ Der Weltkonzern habe die
Krisensituation zu lange verschleiert.
28 Oct 2012
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
## TAGS
Pharmakonzerne
Gabriele Goettle
Malaria
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