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# taz.de -- Korruption in Indien: „Ungeheure Enttäuschung“
> Soziologe Yogendra Yadav über die politische Dynamik des Kampfes gegen
> die Korruption. Eine Antikorruptionspartei soll die urbanen und
> ländlichen Bewegungen einen.
Bild: Antikorruptionsaktivist bei einem Protest gegen Preiserhöhungen für Koc…
taz: Herr Yadav, in Indien hagelt es Korruptionsvorwürfe gegen die
etablierten politischen Kräfte und Sie gründen unter dem Motto „Indien
gegen die Korruption“ eine neue Partei. Steckt die indische Demokratie in
einer Repräsentationskrise?
Yogendra Yadav: Ich würde es eine Legitimationskrise des politischen
Establishments nennen. Wobei zum Establishment nicht nur Staat und
Regierungspartei zählen, sondern alle politischen Parteien, die in den
letzten zehn Jahren auf nationaler oder regionaler Ebene
Regierungsgeschäfte geführt haben. Das sind bei uns über 25 Parteien.
Zusammen bilden sie den politischen Mainstream, der in den Augen der
meisten Inder seine Glaubwürdigkeit verloren hat.
Die meisten Indier sind arm und haben von den fetten Jahren des Wachstums
nichts abbekommen. Liegt hier der tiefere Grund der Unzufriedenheit?
Ich wünschte es wäre so und die Leute wären auf der Suche nach mehr
Gerechtigkeit. Aber ich fürchte die Unzufriedenheit hat banalere Gründe:
Meist geht es um Politiker, die allzu offensichtlich durch Korruption ihr
Ansehen verspielt und deshalb in den Augen ihrer Wähler das Recht verwirkt
haben, in ihrem Namen zu sprechen. Es geht also nicht um eine fundamentale
Legitimationskrise der Demokratie à la Habermas, sondern um sehr elementare
Fragen der Regelwahrung in unserer Politik. Viele Inder fühlen sich
schutzlos einer Politik ausgeliefert, die sich nicht an die eigenen Gesetze
hält.
In Indiens Öffentlichkeit steht die Korruption im Zentrum aller Kritik. Wie
berührt sie das einfache Volk?
Egal auf was die Leute schimpfen, sie machen dafür die Korruption
verantwortlich. Insofern ist diese Kritik ein billiger Allgemeinplatz
geworden. Doch dahinter steckt die ungeheure Enttäuschung der Menschen über
das, was sie von ihrem Staat erwarten und dem, was sie bekommen. Sie
verlangen eine Straße für ihr Dorf oder mehr als drei Stunden Strom am Tag.
Doch es geschieht nichts. Und bei jeden Gang aufs Amt wird man schikaniert.
Bei einer Talkshow befand kürzlich die Mehrheit der Zuschauer, Indien sei
reif für eine Revolution. Ist der Frust wirklich so groß?
Die Geschichte, dass die Armen und Diskriminierten wütend sind und sich
gegen das System auflehnen, höre ich in Indien schon seit 30 Jahren. Die
Idee ist attraktiv und stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts aus Europa. Es
waren schon damals Fantasien, die mit unserer Realität heute nichts zu tun
haben. Das Establishment wirft heute schnell seinen Gegnern Untreue zum
demokratischen System vor, um den eigenen Kragen zu retten. Dabei beweist
die heutige Kritik an der Politik, dass Indiens demokratisches Experiment
funktioniert. Denn auch die Ärmsten gehen zur Wahl und erwarten etwas von
ihren Politikern. Selbst die sozial am weitesten ausgegrenzten Schichten
sind sich sehr bewusst, dass sie eine Regierung abwählen können. Damit ist
Indien eine positive Ausnahme unter den postkolonialen Gesellschaften. Die
Demokratie ist bei uns überall akzeptiert.
Deshalb gründen Sie im November eine Partei gegen Korruption?
Ich beteilige mich seit 30 Jahren als Aktivist und Soziologe an Indiens
Volksbewegungen. Sie haben wenig mit der Zivilgesellschaft zu tun, so wie
man sie im Westen versteht, denn sie sind sehr kämpferisch. Oft sind es
Dorfbewegungen, die sich mit allen Mitteln gegen große Landnahmen, einen
Staudamm oder ein Atomkraftwerk in ihrer Gegend wehren. Ich habe dabei
immer nach Wegen gesucht, diesen Bewegungen eine politische Stimme zu
geben. Doch meist erfolglos. Doch heute haben diese Kräfte mit dem
Antikorruptionskampf erstmals ein gemeinsames Thema.
Diese Anti-Korruptionsbewegung ist vor allem ein Phänomen der neuen
Mittelschichten
Völlig richtig. Meine spezifische Rolle aber ist es, Anknüpfungspunkte
zwischen den neuen urbanen und den alten ländlichen Bewegungen zu schaffen.
Sie können sich ergänzen.
Ihr größter Erfolg als angehende Partei war bisher, die dubiosen
Immobiliendeals des Schwiegersohnes von Sonia Gandhi, der Chefin der
regierenden Kongresspartei, aufzudecken.
Die ungeschriebene Regel war bisher, dass sich die führenden Familien der
großen Parteien gegenseitig nicht bloßstellen. Wir haben dieses Tabu
gebrochen und gezeigt, dass es in Indien keine heiligen Kühe mehr gibt.
Dazu gehörten bisher auch einige Großunternehmen wie der Reliance-Konzern
der Ambanis.
30 Oct 2012
## AUTOREN
Georg Blume
## TAGS
Indien
Schwerpunkt Korruption
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Armut
Indien
Indien
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