# taz.de -- 40. Frankfurter Römerberggespräche: Der unmündige Manager | |
> Die 40. Frankfurter Römerberggespräche standen unter dem Motto | |
> „Überfordert Euch!“. Wie der Kapitalismus unsere Lebenswelt beeinflusst. | |
Bild: Krankheit oder Krise? Auf jeden Fall gibt es ein massenhaftes Auftreten v… | |
Zum 40. Mal fanden am Samstag die Frankfurter Römerberggespräche statt. Dem | |
Kuratorium gebührt ein längst überfälliges Lob. Es gelingt dem Gremium Jahr | |
für Jahr, aus der unübersichtlichen Masse von sozialen, politischen und | |
wirtschaftlichen Tagesfragen, von denen sich viele schnell als | |
popularphilosophische, Talkshow-kompatible Blasen erweisen, jene | |
herauszufiltern, die von Belang sind. | |
In diesem Jahr war das Thema „Überfordert Euch! Innenansichten einer | |
getriebenen Gesellschaft“. Darauf musste man kommen – gegen Fernsehen und | |
Boulevard, die dem Publikum täglich vorbeten, die Magaths, | |
Westerwelle-Sloterdijks, Ackermänner und Seehofers seien es, was es zu | |
interessieren hätte. | |
Mit dem Thema „Überfordert Euch!“ setzen die Römerberggespräche ohne | |
Konzessionen an den Boulevard ein Problem auf die Tagesordnung, dem | |
wirklich alle ausgesetzt sind, von den Grundschülern über die | |
aussichtslosen Studenten, Politiker, Medienleute, Arbeitslosen und | |
Aufstocker bis zu den Kleinrentnern. So wach das Kuratorium der | |
Römerberggespräche bei der Themenwahl war, so mutlos, opportunistisch und | |
kurzsichtig war es bei der Auswahl zumindest eines Teils der Referentinnen | |
und Referenten. | |
Die Tagung begann mit einem Vortrag von Ariane Brenssell, die in | |
Ludwigshafen Psychologie lehrt, über „Krankheit oder Krise? Stress als Teil | |
der politischen Ökonomie“. Sie machte anhand empirischer Studien die | |
wachsende soziale Ungleichheit für die Erosion der Gesellschaft | |
verantwortlich, vor allem aber für das massenhafte Auftreten von | |
Depressionen. Wenn Menschen angeblich für sich selbst allein verantwortlich | |
sind, aber zugleich an den Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten | |
müssen, so gut wie nichts ändern können, werden sie über kurz oder lang | |
krank, weil sie sich vom Leben wie von der Arbeit überfordert fühlen. Diese | |
Einsicht ist nicht neu, aber ihre Evidenz hat zugenommen. | |
Patrick Kury (Bern) beleuchtete das Thema aus historischer Perspektive. | |
1880 begann man, Nervenschwäche zu nennen, was in der Medizin heute | |
Neurasthenie heißt. Nervenschwäche war bis zum Ersten Weltkrieg eine | |
Massenkrankheit im gehobenen Bürgertum. Dieses erfuhr die Beschleunigung | |
der Gesellschaft und der Wirtschaft im Zeichen von Elektrizität, Eisenbahn | |
und Automobil als beängstigend. Viele Menschen reagierten darauf mit | |
psychischen Problemen und Krankheiten. | |
## Keine Konzessionen | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Terminus „Managerkrankheit“ für ähnlic… | |
Symptome auf, die jedoch von der Automatisierung und dem | |
Wirtschaftswachstum ausgelöst wurden. Um 1960 verschwand das Wort und | |
machte später den Begriffen „Stress“ und „Burn-out“ Platz. Im Untersch… | |
zu den beiden früheren Bezeichnungen – „Nervenschwäche“ und | |
„Managerkrankheit“ – blieben „Stress“ und „Burn-out“ nicht auf ei… | |
soziale Klasse beschränkt, sondern konnten jeden heimsuchen – vom Schüler | |
über die Anwaltsgehilfin bis zum Topmanager. | |
Allen Begriffen ist gemeinsam, dass sie recht vage blieben und die | |
Erschöpfung der Leistungsfähigkeit sowie eine resignative Grundhaltung | |
meinen. Die Ursachen dafür liegen in unserer kapitalistisch imprägnierten | |
Arbeits- und Lebenswelt. | |
Um darüber zu referieren, hätte man wohl kaum eine ungeeignetere Referentin | |
finden können als Kathrin Passig. Die Schriftstellerin beschäftigte sich | |
mit sich selbst und ihrer seltenen Krankheit. Diese zwinge sie, | |
herumzuliegen, zu schlafen, „das Internet durchzulesen“, statt, von außen | |
geleitet, zu arbeiten oder auch nur ein Formular für die Steuererklärung | |
auszufüllen, wie sie erklärte. Um sich in den Unruhezustand zu versetzen, | |
der sie erst arbeitsfähig und arbeitswillig macht, schluckt sie Ritalin – | |
die Tagesration zu 17 Cent. Arbeit hält sie für ein Produkt der | |
protestantischen Ethik, die Menschen mehr diszipliniere und verbiege als | |
das Mittel aus der Apotheke. | |
## Superhelden als Antwort | |
Der Journalist Andreas Platthaus (Frankfurt) widmete sich den Superhelden | |
aus amerikanischen Comics, in denen er Reflexe auf die reale Geschichte | |
vermutet. Was er als „keinem Zufall“ geschuldete Zusammenhänge deutete, | |
sind allerdings nur erschlichene Kausalketten, die von der Scheinlogik der | |
Suggestion leben wie Verschwörungstheorien vom Rundumverdacht. | |
Erfrischend war der Vortag des Schriftstellers Ingo Schulze. Anhand von | |
Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ deutete er die Zeit nach | |
1989/90 als eine des Einübens neuer sprachlicher Selbstverständlichkeiten, | |
die so falsch und verlogen sind wie des Kaisers angeblich neue Kleider. | |
„Marktkonforme Demokratie“ überfordert zwar jedes demokratische | |
Selbstverständnis, gilt aber fast schon als selbstverständlich. | |
30 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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