# taz.de -- Lohndumping im Schlachtbetrieb: Rumänien wollte sie vergessen | |
> 2008 kam Geanina Scrimiciuc nach Bayern um dort zu arbeiten. Doch die | |
> Firma machte Pleite. Ihren Job hätte sie behalten können – zu rumänischen | |
> Konditionen. | |
Bild: Anfangs war Geanina Scrimiciuc eine von sechs Frauen im Schlachthof, mitt… | |
WALDKRAIBURG taz | Die Uhr im Flur tickt laut und durchdringend. Sie | |
übertönt selbst den Fernseher im Wohnzimmer der kleinen Zweizimmerwohnung, | |
der hier seit kurzem in Dauerschleife läuft. Das Geräusch muss Geanina | |
Scrimiciuc erbarmungslos vorkommen, denn das geschäftige Leben der jungen | |
Frau ist von einem Tag auf den anderen sehr still geworden, viel zu still | |
für die alleinerziehende Mutter, die stets gerne gearbeitet hat – und nun | |
wohl auch ein wenig einsam ist. | |
Im Oktober 2008 kam Geanina Scrimiciuc aus Certeju de Sus, einem Dorf in | |
Rumänien, nach Waldkraiburg im oberbayerischen Landkreis Mühldorf am Inn. | |
Ein Freund der Familie hatte ihr erzählt, dass es dort Arbeit in einem | |
Schlachtbetrieb gibt. Diese sei zwar hart, aber gut bezahlt. | |
Zwischen 1.300 und 1.600 Euro zahlte der Schlachthof im Industriegebiet der | |
24.000-Einwohner-Stadt monatlich, abhängig von Arbeitsaufkommen, | |
Überstunden und Nachtschichten. Verglichen mit den Löhnen in ihrem | |
Heimatland ist das viel Geld. „In Rumänien arbeitest du für umgerechnet 150 | |
Euro im Monat“, sagt Geanina Scrimiciuc, „wenn du Glück hast. Viele finden | |
nix.“ | |
Die 37-Jährige mit dem kurzen Haar und den Lachfältchen um die Augen sitzt | |
auf einer riesigen Eckcouch in einem sehr ordentlichen Wohnzimmer, hält | |
einen Ordner auf dem Schoß und lässt die letzten Jahre Revue passieren. Sie | |
sieht verloren aus, fast ein bisschen kindlich, in ihrem rotweiß | |
gemusterten T-Shirt und den Adiletten an den winzigen Füßen, nicht nur weil | |
das Sofa so groß ist. | |
## Willkur, Armut, Filz | |
Sondern auch weil sie die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren ist, kaum | |
fassen kann. Scrimiciuc wollte Rumänien hinter sich lassen, die Willkür, | |
den Filz, die Armut, die Bräsigkeit und Schwatzhaftigkeit des Nichtstuns, | |
wie sie sagt, schlicht: den Mangel an Perspektiven. Also ließ sie ihren | |
damals sechsjährigen Sohn Daniel bei der Großmutter zurück und zog nach | |
Waldkraiburg. | |
Einen Vater, der sich um die Familie hätte kümmern können, gab es nie. | |
„Kompliziert“, sagt Scrimiciuc. „Der hatte seine eigene Familie.“ Etwa | |
2.000 Euro hatte sie in Rumänien gespart, noch mal 600 Euro gab ihr die | |
Mutter dazu. „Das hab ich hier in den ersten drei Monaten kaputt gemacht“, | |
sagt Scrimiciuc und lacht verlegen. | |
So lange hat sie warten müssen, bis sie, die Rumänin, eine EU-Bürgerin, für | |
die die europäische Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht gilt, eine | |
befristete Arbeitserlaubnis bekam. „Ich habe nicht geglaubt, dass sich der | |
Chef im Schlachthof noch an mich erinnert“, berichtet sie. Als er es doch | |
tat und ihr die Stelle gab, fiel sie ihm vor Freude um den Hals. | |
Anfangs war sie eine von sechs Frauen im Schlachthof, mittlerweile arbeiten | |
dort noch drei. Der Betrieb gehört Vion, einem niederländischen Konzern mit | |
Sitz in Eindhoven. Scrimiciuc und die anderen Arbeiter waren jedoch nicht | |
direkt bei Vion beschäftigt, sondern wurden von einem Subunternehmer | |
eingestellt. | |
## 700 Schlachtungen pro Tag | |
Per Werkvertrag schlachtete und verarbeitete die Firma Global Rinder und | |
Schweine im Auftrag von Vion, rund 700 am Tag, schätzen ehemalige | |
Mitarbeiter. Die Tiere werden nachts angeliefert und mit Kohlendioxid | |
betäubt. Danach schneidet ihnen ein Arbeiter mit einem scharfen Messer die | |
Kehle durch und hängt sie zum Ausbluten an einen Haken. Am Fließband werden | |
sie dann zerteilt. | |
Die Arbeitsbedingungen am Band seien extrem, berichten Ehemalige: Jeder | |
Handgriff müsse schnell gehen, denn die ArbeiterInnen würden pro Stück | |
bezahlt. Laut sei es in der Halle, weil sich die Schreie der Tiere mit dem | |
Geräusch der Sägen vermischen. | |
Und feucht sei es vom Wasserdampf, weil die Tiere zum Häuten abgebrüht | |
würden, und vom Blut am Boden, das permanent per Hochdruckstrahl in den | |
Ablauf gespritzt werden müsse. Das alles nahm Geanina Scrimiciuc in Kauf – | |
für das gute Geld, das sie verdiente, und für die Sicherheit, die sie sich | |
vom deutschen Rechtssystem für sich und ihren Sohn versprach. | |
„Ich habe schnell gelernt, war fleißig und bin mit allen gut | |
zurechtgekommen“, sagt Scrimiciuc. Immer wieder habe sie freiwillig | |
Doppelschichten gemacht, wie sie sagt, manchmal wochenlang am Stück. „Ich | |
wollte vom Chef hören: Geanina, du bist die Beste.“ | |
## Insolvenz | |
Am 29. Juni 2012 meldete das Dienstleistungsunternehmen Global Insolvenz | |
an. Der Schlachtbetrieb stand trotzdem keine Sekunde still. Noch am selben | |
Tag traten zwei neue Subunternehmen auf den Plan. In einer Versammlung | |
wurden die Beschäftigten von der Insolvenz ihres Auftraggebers informiert. | |
Ihnen wurde ein Aufhebungsvertrag vorgelegt sowie ein neuer Arbeitsvertrag | |
der Nachfolgefirma CCF, den sie unterschreiben sollten. Einige bekamen | |
deutsche Arbeitsverträge, wie vorher auch. Geanina Scrimiciuc aber sollte, | |
wie alle rumänischen Angestellten, nun einen rumänischen Arbeitsvertrag bei | |
einem in Rumänien ansässigen Betrieb namens Salamandra unterzeichnen. | |
Den Großteil ihres Lohns – etwas weniger als zuvor, immer noch abhängig von | |
der Anzahl der geschlachteten Tiere – hätte sie dann bar auf die Hand | |
bekommen. Umgerechnet 173 Euro wären auf ein rumänisches Konto überwiesen | |
worden. So hoch ist der rumänische Mindestlohn, der garantieren soll, dass | |
sie in ihrem Heimatland zumindest auf dem Papier krankenversichert ist. | |
Für rumänische Arbeitnehmer in Deutschland bedeutet das de facto, dass sie | |
ohne deutsche Versicherungskarte in Deutschland gar nicht zum Arzt gehen – | |
aus Angst, am Ende doch auf den hohen Behandlungskosten sitzen zu bleiben. | |
Sie weigerte sich zu unterschreiben, verlangte einen deutschen | |
Arbeitsvertrag – und wurde zum 31. Juli gekündigt. | |
## „Rumänischer Arbeitsvertrag, oder es ist aus“ | |
„Der Chef hat zu mir gesagt: Geanina, mit rumänischem Arbeitsvertrag, oder | |
es ist aus.“ Sie war die einzige rumänische Arbeiterin, die nachfragte, und | |
nun ist sie die einzige, die nicht mehr im Schlachthof arbeitet. Außer ihr | |
wurden ansonsten noch um die 60 deutsche, polnische und ungarische | |
ArbeiterInnen gekündigt. | |
Weil sie nichts mehr zu verlieren hatte, trat Geanina Scrimiciuc der | |
Gewerkschaft Nahrungsmittel Genuss Gaststätten (NGG) bei. Johannes Specht | |
von der NGG in Rosenheim hat sich des Falls angenommen. Er versuchte | |
Klarheit in das Wirrwarr der Vorgänge zu bringen und organisierte eine | |
Demonstration in Waldkraiburg. Viel wichtiger aber: Im Namen der geprellten | |
Belegschaft strengte er eine Sammelklage an. | |
„Den Angestellten einfach so einen Aufhebungsvertrag vorzulegen und sie | |
dann postwendend im selben Betrieb mit den gleichen Arbeitsmitteln mit | |
derselben Tätigkeit zu beschäftigen, geht nicht“, sagt Johannes Specht. | |
„Hier liegt eindeutig ein Betriebsübergang vor.“ Das aber bedeutet nach | |
deutschem Recht, dass die Beschäftigen automatisch ein Jahr lang zu | |
denselben Konditionen weiter beschäftigt werden müssen. | |
Genau das ist aber nicht der Fall. Zudem vermutet die NGG Sozialbetrug im | |
großen Stil, wenn die rumänischen ArbeiterInnen statt in Deutschland zum | |
vollen Lohn lediglich gemäß dem rumänischen Mindestlohn in ihrem Heimatland | |
versichert sind. | |
## Ein Vorgang mit Sytem | |
„Jedes Mal, wenn die Firma wechselt, geht die Bezahlung nach unten“, | |
erklärt der Gewerkschafter. Erst mache ein Dienstleistungsbetrieb pleite, | |
dann komme gleich ein neuer. Ein Vorgang, der nach Berichten von | |
Beschäftigten aus der Schlachtbranche System hat. Auch die Firma Global | |
existierte nur etwa ein Jahr. Zuvor hieß das Unternehmen Wiro. | |
„Vion, der Konzern, dem der Schlachthof gehört, profitiert von diesem | |
Werkvertragsdumping, weil er so die Arbeit, die verrichtet werden muss, | |
möglichst billig gemacht bekommt“, erklärt Specht. Einen Betriebsrat gibt | |
es nicht, weil die meisten ArbeitnehmerInnen ohnehin um ihre Stelle | |
fürchten. | |
Vion selbst bestreitet die erhobenen Vorwürfe. Diese entsprächen nicht den | |
Tatsachen und seien frei erfunden, heißt es in einer Pressemitteilung des | |
Konzerns. Auch habe man keinen Einfluss auf die Geschäftspraktiken der in | |
Waldkraiburg beschäftigten Dienstleister: „Die Übernahme von Mitarbeitern | |
aus dem insolventen Unternehmen durch einen neuen Dienstleister kann die | |
Vion Food Group nicht beeinflussen.“ Die Firma CCF war für eine | |
Stellungnahme nicht zu haben. | |
Geanina Scrimiciuc verfügt mittlerweile über eine unbefristete | |
Arbeitserlaubnis in Deutschland. Bis sie einen neuen Job findet – in der | |
Altenpflege, hofft sie – bekommt sie Arbeitslosengeld. Wenn sie sparsam | |
lebt, kommt sie über die Runden. Eine wie sie, die schon so viel geschafft | |
hat, lässt sich davon nicht unterkriegen. Was viel schwerer wiegt, ist der | |
Schock, den sie davongetragen hat – der hat ihren Glauben an die deutsche | |
Rechtstaatlichkeit nachhaltig erschüttert. | |
„Ich kapiere einfach nicht, wie so was passieren kann“, sagt sie immer | |
wieder und schüttelt den Kopf. „Ich lebe nicht wie eine Zigeunerin im | |
Wohnwagen oder was die Leute sonst von uns denken“, ereifert sie sich. „Ich | |
zahle sogar die Rundfunkgebühr“, sagt sie und wedelt mit einer | |
GEZ-Abrechnung. „Aber was die machen, ist nicht normal.“ | |
7 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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