| # taz.de -- Pariser Banlieue-Politiker: Bürgermeister hungert für Geld | |
| > Seine Gemeinde ist pleite, die Finanzhilfe wurde lange verweigert. Nun | |
| > tritt Banlieue-Chef Stéphane Gatignon in den Hungerstreik – und findet | |
| > reichlich Zuspruch. | |
| Bild: Im Hungerstreik: Stéphane Gatignon vor dem französischen Parlament. | |
| PARIS taz | Umringt von einer Gruppe von Sympathisanten, sitzt ein wenig | |
| fröstelnd unter dem kalten Novemberhimmel von Paris Stéphane Gatignon vor | |
| dem hellblauen Zelt, das er gleich neben der Nationalversammlung aufgebaut | |
| hat. Damit jeder sieht, dass er Bürgermeister ist, trägt er seine | |
| Trikolore-Schärpe als Kennzeichen seiner Amtswürde über der Brust. | |
| Gatignon hat am Freitag einen Hungerstreik begonnen. Die Kassen seiner | |
| Banlieue-Stadt Sevran nordöstlich der Hauptstadt sind leer, und wenn die | |
| dringend benötigte Finanzhilfe nicht schnell kommt, landet Sevran (51.000 | |
| Einwohner) am Schuldenpranger und kriegt keinen Kredit mehr. | |
| Darum hat sich der Stadtvater zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen | |
| entschlossen. Nach vier Tagen Hungerstreik, sagt der 43-jährige Gatignon, | |
| sei er zwar „müde, aber erst recht entschlossen“. Der Erfolg ist | |
| ermutigend: Er hat das Interesse der Öffentlichkeit auf sich und die | |
| Finanznöte der ärmsten Städte gelenkt. | |
| Gatignon, der Mitglied des Parti communiste français war, bevor er wegen | |
| Meinungsverschiedenheiten zu den Grünen wechselte, wurde bekannt wegen | |
| seines Medienappells zum Kampf gegen die Drogenkriminalität, die das Leben | |
| in den Quartieren seiner Vorstadt unerträglich machte. | |
| ## Nicht bloß Almosen vom Zentralstaat | |
| Mit seiner jetzigen Aktion möchte er nicht bloß Almosen vom Zentralstaat | |
| bekommen, sondern ein Signal setzen, damit es zwischen den reichsten und | |
| den ärmsten Gemeinden des Landes mehr Solidarität gibt. Am Dienstag wird im | |
| Rahmen der Beratungen über den Staatshaushalt über die „Dotation de | |
| Solidarité Urbaine“ (DSU) entschieden, die diesem kommunalen | |
| Finanzausgleich dient. | |
| Ein Teil der Einnahmen der wohlhabendsten Kommunen wird dabei an die | |
| lokalen Habenichtse weitergeleitet. Viel zu wenig, um wirklich den Namen | |
| „Solidarität“ zu verdienen, protestiert Gatignon, der sich als Wortführer | |
| der 100 ärmsten Städte Frankreichs betrachtet. | |
| Gatignon hat ein echtes Problem aufgedeckt. Das beweisen die vielen | |
| Sympathiebezeugungen. Innenminister Manuel Valls erschien gleich zu Beginn | |
| und sagte, er werde gern als Botschafter dienen. Jean-Christophe Fromentin, | |
| der UMP-Bürgermeister des reichsten Vororts, Neuilly-sur-Seine, kam zu | |
| einem kollegialen Besuch, weil „Gatignon ein guter Kerl“ sei. | |
| Der Parteichef der regierenden Sozialisten, Harlem Désir, schaute vorbei | |
| und versicherte ihm, die Kollegen der Linksmehrheit im Parlament hätten | |
| bestimmt ein offenes Ohr und Herz für sein Anliegen. Da Gatignon ihm | |
| antwortete, er werde zur Sicherheit mindestens bis zur Abstimmung am | |
| Dienstag weitermachen und notfalls auch länger, mahnte ihn Désir, er dürfe | |
| mit der Aktion nicht seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen . | |
| Nicht mit solchen „Methoden“ einverstanden ist Claude Bartolone, der | |
| sozialistische Vorsitzende der Nationalversammlung. Doch er versprach dem | |
| Hungerstreikenden, die Mittel würden voraussichtlich um 360 Millionen statt | |
| bloß um 120 Millionen Euro erhöht. | |
| Stadtminister François Lamy erklärte, Sevran werde unverzüglich die noch | |
| ausstehenden 5 Millionen bekommen, um das drohende Loch in der Kasse zu | |
| stopfen. Gatignons erfolgreiches Fasten für den guten Zweck dürfte darum | |
| bestimmt schnell eifrige Nachahmung finden. | |
| 12 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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