| # taz.de -- Die Wahrheit: Wie ich einmal beinahe … | |
| > … prokrastiniert hätte, das aber dann auf morgen verschob. | |
| Bild: Hüftgoldkrieger sehen dich an: Gummibären und ein Schokobär. | |
| Die Sprachwissenschaft fragt sich ja im Ernst, ob es Wörter gibt, die | |
| untrennbar und von Anfang an zum Gegenstand gehören, den sie bezeichen. | |
| Eines der dringenderen ungelösten Probleme der Menschheit ist meiner | |
| Meinung nach aber die Frage, ob es Wörter gibt, die per se, unabhängig von | |
| ihrer Bedeutung, eklig sind. Ich denke: ja, und sammle seitdem. | |
| Spitzenreiter ist natürlich „lecker“. Bedeutung angenehm, Wort widerlich. | |
| Steigerung des Schüttel-Effekts jederzeit möglich durch einen einfachen | |
| Grammatik-Trick, den Mangel an Beugung: ein lecker Bier. Hurrr! | |
| Auf dem zweiten Platz steht bei mir „Schlemmen“. Sich bis zum Anschlag mit | |
| lecker Leckereien vollfüllen – gute Sache eigentlich, aber nein, mir wird | |
| doch wieder übel. Dass es in Bahnhöfen Gebäckstücke zu kaufen gibt, die | |
| „Schlemmerzunge“ heißen, habe ich schon im vergangenen Jahrhundert | |
| öffentlich gegeißelt. Geißeln ist übrigens auch kein schönes Wort. Klingt | |
| erstens nach Ziegen-Geiselnahme, und hat zweitens das Manko aller Verben, | |
| die auf „eln“ enden und deshalb wie verkappte Diminutive aussehen. Also | |
| behaupte ich lieber mal, dass ich die Schlemmerzunge gegeißt habe. Nützt | |
| aber auch nichts, denn auf mich hört niemand. | |
| Verkleinerungen und Verniedlichungen überhaupt: voll ätzelnd. Darüber kann | |
| man schnell ein Konsenselchen erzielen, nicht wahr? Oder darf's bei Ihnen | |
| ein Pannacöttchen mehr sein? Warum sind ausgerechnet die Eßwaren so | |
| anfällig für eklige Bezeichnungen? Sind wir da besonders emfpindlich? Ich | |
| sage nur „Ed von Schleck“. Man traut sich ja kaum noch einzukaufen. Ich | |
| deute an der Kuchentheke zaghaft mit dem Finger und verlange flüsternd: | |
| „Eins von denen da vorn, bitte!“, und die Verkäuferin brüllt mich an: „… | |
| wollen den Schokoladen-Wuppi?“ Nein. Ich möchte lieber in Würde verhungern. | |
| Wammerln mag ich auch nicht, keinen Presssack, Speckstippe, niemals | |
| Kolatschen und auf gar keinen Fall Powidl. Also dürften es wohl die | |
| Assoziationen sein, die mir zu schaffen machen. Es leben Hanuta, Haribo, | |
| Hansano und alle weiteren keimfreien Akronyme der Lebensmittelindustrie. | |
| Leider ekle ich mich auch vor Wörtern und Wendungen, die andere ganz toll | |
| finden: „Verkrustete Strukturen aufbrechen“, zum Beispiel. Abgesehen davon, | |
| dass das eine Dumpfmeier-Metapher ist, und schon deshalb eklig und seit | |
| Ewigkeiten verboten, sehe ich dann immer Wundkrusten, die unter der | |
| Spannung des nachdrängenden Eiters zerplatzen. Überhaupt machen die Leute | |
| gern Dinge kaputt und reden deshalb dauernd davon, irgendwas | |
| herunterzubrechen, Konzepte vor allem. Ich glaube, die meisten Menschen | |
| haben viel mehr Freude an Gewalt, als man im allgemeinen annimmt. | |
| Was leider nicht mehr in die verkrustete Struktur dieser Kolumne, also in | |
| mein geliebtes Prokrustes-Bett in dieser Zeitung, passt, sind meine | |
| Gedanken über das Krustentier, den Kräuselkrepp und das Prokrastinieren. | |
| Die muss ich leider auf nächstes Mal verschieben. | |
| 14 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
| ## TAGS | |
| Alltag | |
| Schokolade | |
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