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# taz.de -- Momentaufnahmen aus der Apartheid: Politisierung der visuellen Kult…
> In New York ist die Schau „Rise and Fall of Apartheid" zu sehen. Sie
> zeigt neben tradierten Konfliktmustern auch neue gesellschaftliche
> Bruchlinien.
Bild: Apartheid-Fans in Südafrika, 1991.
Im Jahr 1993 fotografierte David Goldblatt eine Hecke im südafrikanischen
Cape Town. Die entlang eines Kiesweges eng verwachsenen Sträucher waren zum
Zeitpunkt der Aufnahme bereits Teil eines botanischen Gartens. Zugleich
sind sie aber bis heute Zeugen einer Zeit, in der ihre Aufgabe darin
bestand, den Raum zu separieren und dabei den Eindruck beiläufiger
Naturwüchsigkeit zu erwecken.
Zu sehen ist diese Fotografie in der kürzlich eröffneten Ausstellung „Rise
and Fall of Apartheid: Photography and the Bureaucracy of Everyday Life“,
die Okwui Enwezor gemeinsam mit dem Historiker Rory Bester für das
International Center for Photography (ICP) in New York kuratiert hat.
Dass diese Hecke nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine historische
Funktion hat, erfährt man durch eine Texttafel: Gepflanzt wurde die Hecke
1660, um das Territorium einer niederländischen Siedlung von ihrer Umwelt
zu trennen.
Hinter dem Anschein natürlicher Grenzziehung, die vermeintlich ohne
Wachposten wirksam ist, verbarg sich de facto eine gegen die legitimen
Besitzansprüche der indigenen Bevölkerung gerichtete Kolonialstrategie. Im
südafrikanischen Apartheidregime des 20. Jahrhunderts sprechen
segregationistische Propagandisten wie der „Eingeborenenminister“ Hendrik
F. Verwoerd entlang dieser Traditionslinie euphemistisch von einer Politik
„guter Nachbarschaft“.
Die Goldblatt-Fotografie ist nur ein Beispiel für die historischen
Tiefenperspektiven dieser hervorragenden Ausstellung, die die Geschichte
Südafrikas nach dem Wahlsieg der Nationalen Partei am 26. Mai 1948 im
Medium der Dokumentarfotografie rekonstruiert.
## Aktivistische Verwendung
Neben ikonischen, global rezipierten Aufnahmen einschneidender Ereignisse
wie dem von Sam Nzima und Peter Magubane fotografisch festgehaltenen
Sharpville-Massaker von 1960, bei dem 60 schwarze Demonstranten dem
Maschinengewehrfeuer brutaler Polizeieinheiten zum Opfer fielen,
konzentriert sich die Ausstellung auf das Aufbegehren gegen einen, auf
allen Ebenen des öffentlichen Lebens institutionalisierten, Rassismus.
In den Aufnahmen zeigt sich ein verwalteter Alltag aus getrennten
Gebäudeeingängen und legalistisch kodierter Segregation; aber auch, wie
sich Protestformen entwickeln und eskalieren: von Demonstranten, die
Schrifttafeln in die Kamera halten, bis zum bewaffneten Kampf des ANC in
der Folge des „Schüleraufstands“ von Soweto im Jahr 1976.
Die Scharnierstellen der großen Politikhistorie (die Wahl D. F. Malans,
eines der Begründer des Apartheidsystems, die Freilassung Nelson Mandelas)
und viele individuelle Neben- und Subkulturgeschichten verweben sich hier
zu einer dichten Erzählung, die zugleich die Rolle des fotografischen
Mediums als „soziales Instrument“ (Enwezor) hervortreten lässt.
Die aus über 500 Fotografien bestehende Ausstellung versteht sich auf einer
weiteren Ebene als historiografisches Projekt, das den ästhetischen Wert
der Bilder aus ihrer referenziellen Reichweite ableitet. Die Kuratoren
deuten die Geschichte der südafrikanischen Dokumentarfotografie als
Geschichte einer Politisierung der visuellen Kultur.
In Reaktion auf das Apartheidregime kommt es nach einer Phase der Lähmung
zu einer Neugeburt der Fotografie. Das anthropologische Erbe des Mediums
wird durch aktivistische Verwendung ersetzt; die schwarze Bevölkerung
wandelt sich vom Bildobjekt zum Blicksubjekt der Fotografie. Letztere wird
zum technologischen Vehikel der Selbstverständigung und Ermächtigung, zum
Ausgangspunkt einer inklusiven Gegenöffentlichkeit.
Enwezor und Bester würdigen nicht nur in den 1930er und 1940er Jahren
geborene Fotografen wie Peter Magubane, Alf Khumalo, Ernest Cole, George
Hallet und Omar Badsha als Protagonisten eines kollektiven Kampfes gegen
die gesellschaftlichen Realitäten und Repräsentationszwänge ihrer Zeit.
Zugleich machen sie auch die dazugehörigen Produktions- und
Publikationskontexte sichtbar. Dazu zählt etwa das Drum Magazine der 1950er
Jahre, in dem schwarze Urbanität und Popkultur auf harte Fotoreportagen der
Township-Realitäten traf; oder das 1982 gegründete Afrapix Collective, das
über eine eigenständige Fotoagentur das Versprechen einer alternativen
Medienpraxis infrastrukturell absicherte.
## Globalkapitalistisch integrierte Formen der Ausbeutung
Zu den jüngeren Fotoarbeiten der chronologisch organisierten Ausstellungen
gehören Aufnahmen der aus Kevin Carter, Ken Oosterbroek, João Silva und
Greg Marinovich bestehenden Gruppierung „Bang Bang Club“. Nach dem
offiziellen Ende des Apartheidregimes 1994 sehen sie sich einer
Gesellschaft gegenüber, in der tradierte Konfliktmuster auf neue
gesellschaftliche Friktionen und globalkapitalistisch integrierte Formen
der Ausbeutung treffen.
Die damit einhergehenden Verwerfungen manifestieren sich gelegentlich
eruptiv, wie zuletzt bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
streikenden Arbeitern und Polizeikräften in der Platinmine Marikana. Um den
langen Vorgeschichten dieser Konflikte auf die Spur zu kommen, muss das
Gegenwartsmedium Fotografie manchmal von der Aktualität Abstand nehmen und
etwa eine Hecke in den Blick nehmen, die Wurzeln im 17. Jahrhundert hat.
23 Nov 2012
## AUTOREN
Simon Rothöler
## TAGS
Fotografie
ANC
Südafrika
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