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# taz.de -- Die Folgen des Ehec-Skandals: Die Triebe der Sprossen
> Zwei Betriebe im Norden gerieten 2011 in den Verdacht, die Quelle des
> Ehec-Erregers zu sein. Während der eine alles verloren hat, profitierte
> der andere von der Aufregung.
Bild: Wurden von Ehec und dem Hype darum hart getroffen: die Bienenbüttler Bio…
HAMBURG taz | Es ist sein Geburtstag, als der Wirt Joachim Berger erfährt,
dass sein Essen eine Frau getötet hat. Am 31. Mai 2011 steht er im
Supermarkt, mit dem Handy in der Hand. Am anderen Ende der Leitung ist sein
Sohn Christian. Pro Sieben habe im Restaurant nachgefragt. Berger hat genau
eine halbe Stunde Bedenkzeit. Dann werden die Journalisten wieder anrufen.
Knapp eineinhalb Jahre nach diesem Telefonat ist in Joachim Bergers
Restaurant „Kartoffelkeller“ alles in bester Ordnung. Ehec? Ist eine
Ewigkeit vorbei. Juniorchef Christian Berger hat Abendschicht und muss sich
noch umziehen. Er läuft durch die langen Gasträume des Lübecker
Traditionsrestaurants, vorbei an Massivholztischen und Vitrinenschränken
bis hinten zur Küche. Später, wenn es voll ist, trägt der kräftige Mann
eine schwarze Weste aus feinem Stoff und dunkle Hosen.
Früher ist Berger zur See gefahren, heute ist er Gastronom. Unternehmer.
Die Ehec-Krise seines Restaurants haben er und sein Vater gelöst, als seien
sie PR-Berater.
Als das Wirtshaus Anfang Juni 2011 in den Verdacht gerät, die Quelle des
Keims zu sein, ist bereits bei rund 1.500 Menschen in Deutschland eine
Ehec-Infektion nachgewiesen worden. 18 Patienten sind verstorben, viele
schweben in Lebensgefahr.
Seit einem Monat schon suchen die Behörden nach dem Ursprung der Epidemie,
die besonders Norddeutschland traf und vor allem junge Frauen. Eine
erkrankte Reisegruppe erinnert sich an ein Abendessen in Bergers Haus. An
Steak und Salat. Es dauert nicht lange, bis Kameraleute aus aller Welt auf
dem kupfernen Schoß von Emanuel Geibel hocken – von seinem Denkmal
gegenüber filmen sie die weiße Frakturschrift vor rotem Gemäuer:
Kartoffelkeller.
## Journalisten in der Küche
„Wir haben alle Türen aufgemacht“, sagt Christian Berger heute. „Das war
unsere einzige Chance.“ So kamen die Journalisten herein und liefen bis in
die Küche. Sein Vater trat gleich am selben Nachmittag vor die Kameras.
Gäste kamen nicht mehr, auch nicht in den Tagen danach.
Dafür warfen Leute dem Wirt auf dem Weg zur Arbeit Tomaten nach. Er legt
zwei Finger an seine Schläfe: Eine traf ihn am Kopf. „Wie lange ging das
so?“, fragt Berger seinen Oberkellner Thomas Heidmann. „Vier Wochen etwa“,
sagt Heidmann. „Ich habe die am Telefon gehabt: ’Mörder, wir kriegen
dich.‘“
Heidmann arbeitet seit über zwanzig Jahren in diesem Gewölbe voller
hölzerner Wanduhren und bemaltem Porzellan. Um seinen runden Bauch hat er
eine dunkle, lange Schürze gebunden. „Ich habe den Tisch bedient von der
Frau, die gestorben ist“, sagt er leise. „Das hat mich mitgenommen.“
Heidmann war in diesen Tagen im Juni 2011 nicht mehr im Restaurant, habe
eine Auszeit genommen, schreibt die Presse. Als die ersten Besucher nach
einer Woche die Treppe herunterkamen, um Fotos vom „Ehec-Keller“ zu
knipsen, war Berger da. Er sagte: „Wer fotografieren kann, kann auch
essen.“
Vom [1][Gärtnerhof Bienenbüttel] bei Lüneburg gibt es aus der ersten Zeit
der Ehec-Welle keine Innenaufnahmen. Aber immer wieder dieselben
Fernsehbilder: Die grünen Stahlstreben des Hoftors, die blauen Uniformen
der Polizisten und das kleine Schild über dem Briefkasten: „Warnung vor dem
Hunde!“
## Die heißeste Spur
Wenige Tage nach dem „Kartoffelkeller“ nennt der niedersächsische
Landwirtschaftsminister Gert Lindenmann (CDU) die Sprossen, die die
Biobauern in dem kleinen Ort bei Uelzen ziehen, „die heißeste bisherige
Spur überhaupt.“ Die Hamburger Morgenpost druckt ein ganzseitiges Foto des
Hofbetreibers Klaus Verbeck auf ihre Titelseite: „Kommt der Tod von seinem
Biohof?“ Danach stehen Journalisten aus aller Welt vor seinem Tor oder
sitzen am Küchentisch der Nachbarn und berichten von der Seuche, die aus
Verbecks Gewächshäusern wuchern soll.
Ein Jahr später ist nichts zu hören in Bienenbüttel, außer das leise
Rauschen der Bundesstraße. Das Tor steht offen. Der zottelige Hund hat
zwischen Fachwerkhütten und Tannen seinen Kopf auf den Rand eines
Weidenkorbs gelegt und die Augen geschlossen. Verbeck, das Haar zum Zopf
gebunden, die weite Hose in grüne Gummistiefel gesteckt, klettert auf einen
kleinen Trecker. Er habe genug Interviews gegeben, sagt er und fährt.
Seine Lebensgefährtin, Uta Kaltenbach, eine zierliche Frau mit grauem
Kurzhaarschnitt, steht zwischen grünen Plastikkisten voller Gemüse. Die
dämmrige Hütte mit Betonboden, die „Erdkeller“ heißt, weil sie ein wenig
abschüssig liegt, ist ihr Hofladen. Einmal in der Woche ist er geöffnet.
Sprossen gibt es hier nicht mehr.
Über die Tage des Ehec-Verdachts, die über ein Jahr zurückliegen, möchte
auch sie nicht sprechen. Warum? Kaltenbach zieht Luft durch die Nase, sie
blickt auf an die Steinwand, ihre feinen Gesichtszüge erstarren. Ein
feuchter Film legt sich über ihre Pupillen. „Was da noch für
Haftungsansprüche kommen können“, sagt sie dann. Ihr Anwalt habe ihr
geraten, nichts mehr zu sagen.
Verbeck und Kaltenbach beschäftigten 15 Mitarbeiter, bevor die Behörden
Ehec-Indizien auf ihrem Hof entdeckten. Den Darmkeim konnten sie in
Bienenbüttel nie nachweisen. Doch seine Sojasprossen wurde der kleine
Betrieb auch nicht mehr los, als feststand, dass das Saatgut verunreinigt
war – und nicht ihre Produktion.
Von den entlassenen Helfern konnte das Paar niemanden wieder einstellen.
Heute leben die beiden von dem, was sie in ihrem Hofladen verkaufen und und
mit ihrem Stand auf dem Lüneburger Wochenmarkt, immer mittwochs und
samstags. Kaltenbach hebt ihre Hand in Richtung Gurken und Auberginen:
„Reich wird man damit nicht.“
## Am Arsch
„Die Bienenbüttler sind am Arsch“, sagt Wirt Christian Berger im Lübecker
„Kartoffelkeller“. „Die haben alles verloren.“ Im vorderen Gastraum sind
die Tische nun besetzt. Kellnerinnen in weißen Blusen tragen Weinflaschen
zu großen Gruppen und älteren Paaren, aus den Lautsprechern ertönt leise
Swing.
Gleich werde sein Küchenchef Frank Michel dazukommen, sagt Berger. Der sei
ein guter Gesprächspartner für Medien, sei schließlich ganz nah dran
gewesen. Bevor Michel auftaucht, lässt Berger Kaffee bringen und eine
dicke, dampfende Kartoffel. Auf dem Salatbouquet liegt keine Garnitur. „Was
ich definitiv mein ganzes Leben nicht mehr anfassen werde, ist eine
Sprosse“, sagt dann Michel.
Als vor einem Jahr der Umsatz einbrach, gab es Solidaritätsessen für den
„Kartoffelkeller“. Der Seniorchef war in Talkshows, bei Lanz und Kerner,
gab sogar dem arabischen Sender al-Dschasira Interviews. Seine Gagen habe
er aber gespendet, sagt sein Sohn. An das Universitätsklinikum, für die
Ehec-Patienten.
So viel Aufmerksamkeit für die gutbürgerliche Küche – „das war Glück im
Unglück“, sagt Michel, „und sicherlich auch eine Werbung.“ Wer heute Lü…
besucht, kennt den Ehec-Keller aus dem Fernsehen – und geht hinein. „Die
Sensationstouristen“, sagt der Küchenchef. Sie retteten seinen
Arbeitsplatz. Heute hängt ein Schild am Eingang: „Wir suchen: eine tüchtige
Aushilfe für den Service im Kartoffelkeller!“
23 Nov 2012
## LINKS
[1] http://www.gaertnerhof.org/
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
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