# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Kleine Fußballgötter | |
> Fußball-Bundesliga? I wo. Wenn 12-Jährige im Berliner Stadtteil Friedenau | |
> kicken, dann wird es doch erst richtig interessant. Oder? | |
Bild: Das Leben ist so viel besser ohne den Mattscheibenfußball. | |
Die Ausgangslage war schwierig: Einerseits hatte ich am Freitag | |
taz-Weihnachtsfeier gehabt – und da weiß man nie, wo sie endet. Weil aber | |
Trainerkollege A. und ich den Spielern mündlich und per Mail das Ausgehen – | |
sprich die bei Zwölfjährigen gerade sehr angesagten Übernachtungspartys – | |
verboten hatten, zog auch ich um 1 Uhr im Sanderstübel in Neukölln die | |
Reißleine und verabschiedete mich: Eine so tolle 3. D-Jugend wie unsere vom | |
SC Berliner Amateure hat Anspruch auf einen Coach ohne Restalkohol. | |
Als ich dann Punkt 11 Uhr in der Körtestraße stand, sah ich schon an den | |
ausgeschlafenen Gesichtern, dass heute viel drin war. Auch ein freundlicher | |
Vater hatte sich eingefunden, der, obwohl er gleich noch mit dem kleinen | |
Sohn zu einem anderen Spiel musste, einen Teil der coolen Gang nach | |
Friedenau kutschierte. Ein Hoch auf ihn! | |
Aber dann fehlte plötzlich S., unsere hängende Spitze, die bisher in jeder | |
Partie mindestens einen Treffer erzielt hatte. Also fuhren die Autos schon | |
mal los, und ich wartete, bis ein atemloser S., die klackenden | |
Kunstrasenschuhe an den Füßen, angerannt kam. Wir joggten weiter zum | |
Südstern, um in die U7 zu steigen, da sahen wir das Schreckenswort aller | |
Berliner: Schienenersatzverkehr! | |
Aber wir bleiben ruhig, und um 12.15 Uhr stand S. dann mit den anderen in | |
unseren schönen weißen Dressen auf dem Platz in der Wiesbadener Straße. Die | |
erste Hälfte der ersten Hälfte ging vom Spielerischen klar an den Gegner, | |
den vorbildlich gastfreundlichen Friedenauer TSC. | |
Aber Kollege A. hatte vorgesorgt. Wir spielten mit verstärkt defensivem | |
Mittelfeld – call it Doppelsechs – und dann kam natürlich auch noch das | |
Quäntchen Glück hinzu. Und so stand es eben doch plötzlich zur Pause 3:0 | |
für uns! Die genaue Torfolge habe ich gar nicht mehr in Erinnerung, denn | |
wenn man gleichzeitig Trainer, Linienrichter und Fußballvater ist, dann | |
kommt man schon mal durcheinander. Hatte also der Sohn mit seinem Sololauf | |
den Bann gebrochen? Oder war es der über die Mauer genau in den linken | |
Winkel gezirkelte Freistoß von O. gewesen? Oder doch eher das hart | |
erkämpfte Tor unseres Mittelstürmers H.? | |
Nach der Pause das gleiche Bild: Friedenau spielt feinen Fußball, drückt, | |
macht aber nur ein Tor und wir zwei. Doch was passiert jetzt? Alle | |
Verteidiger wollen nach vorne, Mittelfeld und Sturm stellt die Arbeit nach | |
hinten ein. 5:2. Dann 5:3. Ich fange an rumzuschreien. Aber ich habe kein | |
Déjà-vu. Denn ich habe in dieser Saison noch kein sogenanntes Profispiel | |
geguckt, also auch nicht das berühmte Schweden-Unentschieden: Das Leben ist | |
so viel besser ohne den Mattscheibenfußball. Und dann schießen wir noch ein | |
Tor. Und der Schiri pfeift ab. Er ist 12 und souverän. | |
25 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
Ambros Waibel | |
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