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# taz.de -- Monumentaler Roman aus Kroatien: Schiff der abgeblätterten Träume
> An Deck mit Sonnencreme Lichtschutzfaktor 60: Zoran Feric lässt
> kroatischer Rentner die Abi-Abschlussfahrt auf der Adria wiederholen.
> Eine ironisch-nostalgische Reise.
Bild: Sternstunden an der kroatischen Adria: Bei einer Zweierbeziehung ist imme…
Das Alter kommt an einem einzigen Tag und wird von einem unhöflichen
Kellner in einer Tasse schalen Kaffees serviert. In Zoran Ferics neuem
Roman kommt es sogar noch präziser: am 23. Mai gegen 11 Uhr. Der
Protagonist Tihomir, ein 70-jähriger pensionierter Gynäkologe aus Zagreb,
reagiert darauf mit Ironie und spielt sowohl dem Kellner als auch dem Alter
ein Schnippchen.
Der Kellner, der ihn als lästigen Gast behandelt hat, muss einsehen, dass
der Alte immer noch mehr Esprit besitzt, als er selbst je haben wird. Und
das Alter wird von Tihomir mit der Idee konfrontiert, die fünfzig Jahre
zurückliegende Abi-Abschlussfahrt mit den noch lebenden Klassenkameraden zu
wiederholen. Denn anders als mit dem Tod kann man mit dem Alter ins
Gespräch kommen.
Mit Sonnencreme Lichtschutzfaktor 60 und einem ganzen Leben voller
Geschichten im Gepäck, findet sich dann tatsächlich die Gruppe heute
70-jähriger Mitschüler wieder: Auf der altersschwachen Barkasse
„Tramuntana“ mit dem grummelnden Kapitän Barba Zvir, der so ächzt wie die
morschen Planken seines Schiffs, werden die Rentner vom mondänen Kurort
Opatija aus erneut über die Adria geschippert. Nach und nach lassen die
Alten ihre Medikamente in den Schachteln, knallen sich in die Mittagshitze,
essen fettigen Fisch und trinken selbstgebrannten Feigenschnaps.
## Die Adria: harmlos und eingegrenzt
Es gibt natürlich keinen melancholischeren Schauplatz als die Adria. Denn
trotz ihrer vergleichsweisen Harmlosigkeit und Eingegrenztheit – oder
vielleicht gerade deswegen – spült sie immer, wenn man ihr begegnet, den
Gedanken an die Belanglosigkeit und Begrenztheit des eigenen Lebens hoch.
Und so wirkt auch Tihomirs Biografie, die im Zentrum dieses Romans steht,
nur wie eine von diesen Hunderten unbewohnten Minifelseninseln in der
kroatischen Adria, die keiner braucht und nur touristisch pittoresk sind.
Das ganze Setting von Ferics drittem Roman erinnert an Fellinis Film
„Schiff der Träume“ und lässt deshalb – und auch wegen seiner über 500
Seiten – auf eine große Oper mit dramatischem Finale schließen. Große
Unterhaltung liefert Ferics Roman „Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr“
auf jeden Fall, ein kleines dramatisches Finale gibt es auch.
Aber Feric erzählt keine Operetten, sondern arrangiert seine Erzählungen
so, dass sich Ironie und Nostalgie die Balance halten. Statt für große
Tragödien – immerhin haben die Protagonisten ein ganzes Leben, den
Sozialismus, einen Staat und einen blutigen Bürgerkrieg hinter sich – wird
das Schiffsdeck zur Bühne für die vielen kleinen Tragödien: gescheiterte
Ehen, missratene Kinder, Krankheit, Tod und Selbstmord von Ehegatten,
Freunden und Verwandten, Leidenschaft, Hass, Verleumdung und Fehltritte,
die Karrieren beendeten oder auf unlautere Weise beförderten, Altersarmut
und Einsamkeit.
Währenddessen liefert die Fahrt der „Tramuntana“ das Panorama: die
paradiesische Stille des blauen Meers, Fischschwärme in allen Farben, die
Schönheit antiker Städte, unterbrochen von der Baumlosigkeit der
Gefängnisinsel Goli Otok, zubetonierten Küstenorten, verkitschten
Neubausiedlungen, Kriegsverbrecherplakaten und billigen Sexpartys.
Feric, einer der meistgelesenen Autoren Kroatiens, gehört noch lange nicht
zu den 70-Jährigen, die man einfach so übersieht, und doch zählt er
inzwischen zu den Alten. Er gehört zu der Generation Schriftsteller, die
Jugoslawien und den Krieg erlebt und die die Gesellschaft des „jungen“,
unabhängigen Kroatiens thematisiert und kritisiert haben. Mit diesem,
seinem dritten Roman scheint es, als wolle er der gerade in Kroatien
populären Verklärung der Vergangenheit entgegenschreiben. Denn nicht nur
jene, die den Nationalismus der 90er Jahre nicht ertrugen, sondern auch in
der größeren Öffentlichkeit des heutigen Kroatiens wird es zunehmend
populärer, nostalgisch auf die Tito-Zeit zu schauen.
Feric wählt dafür aber keinen vordergründig politischen Rahmen, sondern die
ganz persönlichen sexuellen und sozialen Erfahrungen. Alle Erinnerungen
Tihomirs kreisen um die unglückliche Liebe zu seiner Klassenkameradin
Senka. Feric schildert diese immer wieder scheiternde Beziehung der beiden
so detailliert, dass man beim Lesen ganz schlimme Liebesschmerzen kriegt.
## Die erste Porno-Generation
Er erzählt aber gleichzeitig auch die Geschichte eines Teils der
Generation, die ohne die „befreite Sexualität“ zu propagieren deren
Protagonisten wurden. Sexfantasien, die heute in jedem Swinger-Club
ausgelebt werden, führen auch in bildungsbürgerlichen Kreisen des
sozialistischen Zagreb der 70er Jahre in einen Kulturkampf mit den eigenen
Vorstellungen einer romantischen Liebesbeziehung: Tihomir kriegt nur eine
Erektion, wenn er beim Sex mit Senka an Prostituierte denkt, mit denen er
jahrelange Beziehungen hatte.
Und Senka macht ihm das lebenslänglich zum Vorwurf. Dass Liebe aber eine
„selbstsüchtige Hure“ ist, dass auch in Senkas Kopf andere Männer als
Tihomir ihren Orgasmus befördern und dass sich einer der Männer, den sie
liebte, trotz aller Kabala und Liebe am Ende nicht wegen einer Frau,
sondern wegen eines Hauses aufgehängt hat, erfährt Tihomir erst am Ende der
Abi-Reise.
Der schreckliche Gedanke, dass man alt ist, weil man nichts Neues mehr
erlebt, und dass früher alles besser war, wird mit diesem Ende des Romans
einfach, aber schön erlöst: Eine bessere Vergangenheit existiert nicht.
Jeder hat eben eine Leiche im Koffer – sogar die 90-jährige
Klassenlehrerin.
26 Nov 2012
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Kroatien
Literatur
Adria
Rentner
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