# taz.de -- Unternehmen verklagen Staaten: „Hilfe, ich werde enteignet“ | |
> Regierungen unterliegen vor Gericht regelmäßig Großkonzernen. Ein | |
> Desaster für Sozial- und Umweltstandards weltweit. | |
Bild: Das stillgelegte Atomkraftwerk Brunsbüttel: Vattenfall klagt auf 3,7 Mil… | |
BERLIN taz | Nur eine kleine, eng verdrahtete Gruppe von Elitejuristen | |
unterstützt Großkonzerne bei ihren Klagen gegen Staaten – mit oft | |
erschreckenden Interessenkonflikten. Das ist das Ergebnis einer Studie der | |
Brüsseler Lobbykritiker vom Corporate Europe Observatory. | |
Die Folge: Umwelt- und Sozialstandards ziehen regelmäßig gegenüber | |
Unternehmensinteressen den Kürzeren. Vor internationalen Schiedsgerichten | |
unterliegen Regierungen häufig. Der Schutz von Investitionen wird hier | |
häufig als schwerwiegender als gesellschaftliche Interessen gewertet. | |
„Die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist weder gerecht | |
noch unabhängig“, sagt Mitautorin Cecilia Olivet von der Amsterdamer | |
Forschungseinrichtung Transnational Institute. Eine Handvoll Kanzleien | |
würden Konzerne in der ganzen Welt dazu ermuntern, Regierungen zu | |
verklagen. Dies habe zu einem deutlichen Anstieg solcher Klagen in den | |
letzten Jahren geführt. | |
Allein die drei weltweit größten Kanzleien, Freshfields aus Großbritannien | |
sowie White & Case und King & Spalding aus den USA, hätten 2011 etwa 130 | |
von 450 bekannten Fällen betreut. Zudem sind laut Olivet mehr als die | |
Hälfte der bekannten Klagen im vergangenen Jahr von nur 15 Richtern | |
entschieden worden. Zwischen Kanzleien, Richtern, Konzernen und Politik sei | |
eine „munter schwingende Drehtür“ zu beobachten, die Interessenkonflikte | |
nahelege, sagt die Wissenschaftlerin. | |
## Vattenfall vs. Bundesregierung | |
Investitionen von Unternehmen im Ausland werden oft durch bilaterale oder | |
multilaterale Abkommen zwischen Staaten geschützt. 2011 gab es davon etwa | |
3.000 weltweit. Eigentlich soll dies Firmen vor korrupten Gerichten im | |
Ausland schützen. Sieht eine Firma ihre Investition unrechtmäßig bedroht, | |
kann sie vor einem internationalen Schiedsgericht wie dem an der Weltbank | |
ansässigen ICSID in Washington klagen. | |
Auch Deutschland kommt in der Studie vor: mit der aktuellen Klage des | |
Energieversorgers Vattenfall gegen die Bundesregierung. Im Mai hatte der | |
Konzern vor dem ICSID auf 3,7 Milliarden Euro Entschädigung geklagt. Es | |
ging um Verluste bei den Atommeilern Brunsbüttel und Krümmel, da sie im | |
Zuge der Energiewende stillgelegt werden. | |
In der Klage werden die Schweden von Mannheimer Swartling und Luther, zwei | |
spezialisierten Kanzleien, vertreten. Allerdings, so die Studie, fungieren | |
sechs der Anwälte von Mannheimer Swartling auch als Schiedsrichter bei | |
Investitionsschutzklagen. Auch ein Partneranwalt von Luther sei | |
Schiedsrichter. | |
In einer Broschüre namens „Hilfe, ich werde enteignet“ fordert er | |
Unternehmen auf, gegen Staaten zu klagen, die ihre Investitionen gefährden. | |
Die Publikation wurde von der Bundesregierung herausgegeben. „Hier sind | |
ganz klar Interessenkonflikte zu vermuten“, sagt die Ko-Autorin der Studie, | |
Pia Eberhardt. | |
## Berlin blockiert Besserung | |
Die beteiligten Kanzleien wollten sich nicht zu der Untersuchung äußern. | |
Die Kanzlei Luther gab an, sie wolle keinen Kommentar abgeben, solange sie | |
die Studie nicht kenne. Eine Vattenfall-Sprecherin sagte der taz, das | |
Unternehmen werde sich die Untersuchung „gründlich anschauen“. | |
Versuche, das System zu verbessern, gibt es. Die EU-Kommission legte dazu | |
einen Vorschlag vor, Berlin blockierte jedoch: „Deutschland ist der | |
Hardliner in den Verhandlungen“, sagt Eberhardt. Das Land verfüge | |
„international über die meisten solcher Abkommen“. | |
27 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Cédric Koch | |
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