# taz.de -- Kommentar zu Alice Schwarzer: Das Problem mit der Ikone | |
> Zur sexuellen Befreiung hat Alice Schwarzer Wichtiges gesagt. Aber bei | |
> den Debatten um Chancengleichheit ist sie nie Wortführerin gewesen. Die | |
> Ikone gehört eingemottet! | |
Bild: Sollte als Ikone eingemottet werden: Alice Schwarzer. | |
Der Medienbetrieb zeigt Manieren und gratuliert der ehemals verhassten | |
Alice Schwarzer mit Ausnahme der FAZ und der FAS artig zum 70. Geburtstag. | |
Prima. Trotzdem fällt ein kollektiver Fehler bei den guten Wünschen auf: | |
Anders, als gemeinhin behauptet, ist Alice Schwarzer längst kein „Gesicht“ | |
mehr „der Frauenbewegung hierzulande“ (Süddeutsche Zeitung). Wenn | |
überhaupt, war sie das vor 40 Jahren. Danach haben die Medien sie in ihrer | |
Fixierung auf Promis nur dazu erklärt. | |
Aktuell ist Schwarzer eine Publizistin mit feministischen Anliegen. Für | |
emanzipative Impulse, gar Bewegungen, die im Moment relevant sind, ist sie | |
dabei so wenig Aushängeschild wie der Fernsehliebling Peter Scholl-Latour | |
für die Auslandsberichterstattung noch Vorreiter oder auch nur Stimme der | |
Vernunft ist – auch wenn er natürlich in den Talkshows sitzt. | |
Was nun in der ewigen Feier von Alice Schwarzer als „Ikone“ (Bild) der | |
deutschen Emanzipation hinten runterfällt, ist folgendes: Dem Kampf um die | |
sexuelle Befreiung hat sich inzwischen der um die ökonomische | |
Gleichstellung nicht nur hinzugesellt. Die Forderung nach finanzieller | |
Chancengleichheit hat die nach sexueller Befreiung in den Schatten | |
gestellt. Und das schon seit der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. | |
Viviane Reding, die für die Quote kämpfende EU-Kommissarin, oder die | |
CDU-Politikerin Ursula von der Leyen mit der Einführung der entlohnten | |
Erziehungszeit auch für Väter, oder der ehemalige Telekom-Chef René | |
Obermann, der „seinem“ Unternehmen eine 30-Prozent-Quote verpasste: sie | |
alle sind heute weit prominenter und auch wirkmächtiger für die | |
gesellschaftliche Emanzipation als die Kölner Autorin. Und vergessen wir | |
Karlsruhe nicht. Das Verfassungsgericht arbeitet kontinuierlich der | |
Gleichstellung von Vätern entgegen. Emanzipation als Frauenbewegung ist | |
längst Geschichte. Das Streben nach Geschlechtergerechtigkeit ist keine | |
alleinige Frauenangelegenheit mehr. | |
Warum also hält der publizistische Mainstream an Schwarzer als der Emanze | |
schlechthin fest? Einmal natürlich, weil er nach wie vor beseelt ist von | |
der Idee, alles anhand nur einer Person erzählen zu wollen. Ansonsten würde | |
es für „den“ Leser zu kompliziert, heißt es in den Redaktionen | |
gebetsmühlenartig. Und da nun mal jede(r) MedienkonsumentIn den Namen Alice | |
Schwarzer kennt, ist seine Wiederholung erfreulich wenig arbeitsintensiv. | |
JournalistInnen sind ja meist pragmatische Leute. | |
Strukturen werden aber nicht von einer Person geändert. Singuläre | |
Subjektivität wird total überschätzt. Veränderungen brauchen eine breite | |
Basis, die sich der Problemlage mehr oder weniger bewusst ist – eine | |
Binsenweisheit. In Sachen ökonomischer Ungerechtigkeit ist das heute der | |
Fall. Die Angst vor dem überalterten Deutschland ist allgegenwärtig. | |
Daher stellen sich Unternehmen allmählich darauf ein, mehr deutsche Frauen | |
und MigrantInnen zu beschäftigen und zu befördern. | |
Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz – Gendermainstreaming – ist | |
inzwischen keine Frage mehr, die nur Frauen spannend finden. | |
Gendermainstreaming hat sich, dem Graus vieler Manager zum Trotz, zum | |
Unternehmensthema gemausert. Die Chancen, dass die Hindernisse für | |
gestaltungsfreudige Arbeitnehmerinnen reduziert werden, stehen daher | |
leidlich gut. | |
Und weil sich im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit auch neue Akteure | |
tummeln, wie etwas das Verfassungsgericht oder Topmanager wie René | |
Obermann, greift der Begriff „Frauenbewegung“ nicht mehr bei der | |
Beschreibung von Gegenwart. Die bereits erwähnten, meist von Männern | |
geleiteten Unternehmen und Etagen geraten ja nicht nur wegen ihrer | |
gläsernen Decken unter Druck, sie suchen auch händeringend nach tauglichen | |
Auszubildenden und können auf Mädchen ebenso wie auf MigrantInnen nicht | |
mehr pauschal verzichten. | |
Alice Schwarzer hat zur sexuellen Befreiung von Frauen Wichtiges gesagt und | |
geschrieben. Die aktuell sozial relevanten und umstrittenen Bewegungen und | |
Debatten drehen sich aber um Chancengleichheit in der Berufswelt und die | |
rechtliche Gleichstellung von Vätern. Hier war Alice Schwarzer nie | |
Wortführerin, sondern ist eine unter vielen ProtagonistInnen. Zeit, den | |
Wunsch nach dem einen repräsentativen Gesicht und der einen AnführerIn | |
einzumotten. | |
3 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Barbie | |
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Alice Schwarzer | |
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