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# taz.de -- Kunstprojekt mit Worten: „'heiterweiter' ist ein Lieblingswort“
> Das Wortfindungsamt von Sigrid Sandmann verkauft für 60 Euro plus Porto
> Lieblingswörter. Die Idee: das Private öffentlich machen.
Bild: Schön Gesagtes: Im Wortfindungsamt gibt's Lieblingswörter zum Ausdrucke…
taz: Frau Sandmann, Menschen kommen mit ihren Lieblingswörtern in Ihren
pinkfarbenen Bauwagen, Sie drucken die Wörter, und die Menschen platzieren
diese in dem Ort, in dem sie wohnen. Welches Anliegen hat das
Wortfindungsamt?
Sigrid Sandmann: Es geht um eine Irritation, eine kleinteilige Veränderung
im öffentlichen Raum. Wir sind ständig umgeben von Schrift und Text, die
mit uns nicht mehr viel zu tun haben. Und: Durch das Wortfindungsamt soll
das Private öffentlich gemacht werden.
Wie geschieht das?
Die Menschen kommen zu mir, weil sie ihr Wort, das verschlüsselt ihre ganz
eigene private Geschichte erzählt, in den öffentlichen Raum bringen wollen.
Welche Wörter bringen die Menschen?
Oft sind es Wörter, die sich mit Orten auseinandersetzen. Die
„Drosselklappe“ hing an einem Rathausbriefkasten in Altona, das Wort
„dingdangdonglutschbonbon“ wurde an einer Kirche platziert. Die Menschen
bringen auch politische Wörter, und manche werden erst durch ihre
Platzierung politisch, so wie die „Schuldbremse“, angebracht an der
Finanzberatung der Postbank.
Was für Menschen kommen zum Wortfindungsamt?
Kleine und große Kinder, Frauen und Männer, die 18, 25, 35 Jahre und älter
sind, Handwerker genauso wie Professoren.
Auf Ihrer Internetseite ist der Verbleib von ungefähr 200 Wörtern mit Fotos
dokumentiert. Da steht „champagnerfüralle“ am Jobcenter, Seelenbaumler“ …
einem Wohnungsfenster. Woher bekommen Sie die Fotos?
Mein künstlerisches Zutun endet an der Tür meines Bauwagens, danach sind
die Menschen selbst verantwortlich. Viele sind anfangs überrascht, dass sie
selbst die Wörter anbringen sollen. Aber es gibt keine Widerrede. So
funktioniert das Projekt. Das Hochladen auf meiner Internetseite
funktioniert ganz gut, aber ich bin darauf angewiesen, was mir die Leute
schicken, und ich habe auch lange nicht alle Wortorte. In ärmeren
Stadtteilen hat nicht jeder einen Fotoapparat oder Internet.
Viele Wörter lesen sich wie Reaktionen auf die Gesellschaft, in der wir
leben: „Durchführungsverordnungsopfer“, „Wachstumsbeschleunigungsgehetz�…
Die Menschen nehmen Bezug auf ein aktuelles politisches Geschehen.
„Illusionsvernichterin“ ist auch so ein schönes Wort. Das brachte mir eine
Frau, die immer nur „Nein, das geht nicht“ zu hören bekam.
Was hat den Anstoß zu dem Wortfindungsamt gegeben?
Ich arbeite seit Jahren fast ausschließlich mit Schrift und Wörtern. 2007
habe ich eine große Wortinstallation an einem der Grindelhochhäuser
gemacht, das ist ein denkmalgeschütztes Ensemble von zwölf Hochhäusern in
Hamburg-Eimsbüttel, wobei über eine ganze Fassade Sätze von Bewohnern des
Hauses gedruckt wurden.
Den genauen Anstoß für das Wortfindungsamt kann ich gar nicht wirklich
benennen. Ich lasse mich gern durch den urbanen Raum inspirieren. Bei dem
Wortfindungsamt reizten mich die „Unorte“, aber auch das nicht
Voraussehbare: dass ich nicht weiß, wo die Menschen ihre Wörter platzieren
werden.
Bekommt man die Wörter umsonst, oder müssen sie bezahlt werden?
Wenn das Wortfindungsamt in einem Stadtteil steht, bin ich eingeladen oder
gebucht. So wird das Projekt durch öffentliche Gelder oder private
Sponsoren finanziert, und die Schilder sind dann umsonst. Wenn sich Leute
bei mir melden, weil sie ein Interview mit mir gelesen oder mich im
Fernsehen gesehen haben, müssen sie ihre Wörter auf eigene Kosten erwerben.
Was kostet ein Wort?
60 Euro plus Porto.
Das ist nicht gerade wenig für ein Wort.
Die Wörter sind ja nicht einfach Wörter. Sie gehören zu einem Kunstprojekt,
hinter dem eine Idee steckt. Ursprünglich war ein Verkauf auch gar nicht
angedacht. Es geht nicht einfach darum, ein Lieblingswort günstig zu
bekommen. Das könnte sich jeder selbst drucken. Es geht um Kunst. Wenn die
Stadt Hamburg das Wortfindungsamt fest installieren wollte, würde ich das
ablehnen.
Warum?
Das Projekt ist schon meine Herzensangelegenheit, und zweimal im Jahr kann
ich es auch machen. Aber ich habe ja noch andere Projekte, um die ich mich
kümmern muss.
Was für Geschichten bekommen Sie zu den Wörtern zu hören?
Oh, jede Menge! Eine Frau wollte das Wort „schlappwaschen“ für ihre
Schwester zum 50. Geburtstag. Die konnte als Kind nicht Waschlappen sagen.
Solche Geschichten tauchen öfter auf. Oder das Wort einer Frau, die für
längere Zeit nach Kioto ging: „Neubeginnunwohlsein“. Dabei geht es um einen
Neubeginn und das Unwohlsein, das ein Neubeginn mit sich bringen kann. Ein
Iraner brachte mir sein erstes deutsches Wort:
Holzfußbodenschleifmaschinenverleih.
Gab es schon mal Schwierigkeiten, Wörter im öffentlichen Raum anzubringen?
Einmal musste ich 150 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen, weil ein
Hausbesitzer, an dessen Fassade ein Wort angebracht war, fingernagelgroße
Abblätterungen ausbessern musste.
Einmal regte sich eine Frau auf, dass es das Wort Wortfindungsamt nicht im
Duden gebe. Deshalb hat es mich umso mehr gefreut, als mir ein
stellvertretender Bürgermeister einmal einen Beamtenstatus gab, symbolisch
natürlich, für die Dauer, mit dem ich mit dem Wortfindungsamt vor Ort war.
Aber vielleicht schafft es das Wortfindungsamt ja tatsächlich in den Duden!
Das wäre eine tolle Erweiterung für das gesamte Projekt.
Sind zuerst die Wörter da oder manchmal auch die Orte?
Sowohl als auch. Es gibt Leute, bei denen zuerst der Ort da ist und die für
eine Straße oder ein leer stehendes Gebäude ein Wort suchen. Einer wollte
das Wort „Leerstand“ haben, damit der Leerstand an einer Stelle besonders
klar wird. Ein anderer wollte das Wort „Kopfgärtner“ für ein
Friseurgeschäft.
Entwickeln die Wörter im öffentlichen Raum ein Eigenleben?
Ja, es entstehen ganz neue Zusammenhänge. Eine Frau schickte mir einmal
eine Mail, weil auf ihrem Balkon plötzlich das Wort „Wildwuchs“ war. Sie
hatte lange vergeblich recherchiert, um herauszufinden, wie es auf ihren
Balkon gekommen war. Oder das Wort „Huhn“: Das hing an einer Hauswand mit
einem kleinen verwilderten Rasenstück. Eine Frau wollte das Wort
„liebenswürdigewiese“ hinhängen.
Ich sagte ihr, dass da schon das Huhn ist. Sie sagte, dass das Huhn
runtergefallen sei und nun in ihrem Fenster hänge. Jetzt kann sie auf die
„liebenswürdigewiese“ schauen. Es passiert auch oft, dass ich in Wohnungen
komme, wo ich Wortschilder finde, die ich definitiv nicht verschenkt habe.
Da werden die Wörter zu Sammelobjekten.
Wie finden Sie es, wenn Wörter geklaut werden?
Für mich gehört das zu dem Projekt dazu. Viele finden das aber ärgerlich.
Ich sage dann: Es ist ein öffentlicher und temporärer Raum, und da passiert
das schon mal. Aber mir ist auch aufgefallen: Wie so oft bei Kunst im
öffentlichen Raum werden nur ganz wenige Schilder tatsächlich zerstört.
Was muss man machen, um das Wortfindungsamt in den eigenen Stadtteil zu
holen?
Ein Sponsor oder ein Kunstförderer muss mich einladen. Anfragen für einen
oder zwei Tage reichen aber nicht, um den Stadtraum wirklich mit Wörtern zu
bestücken. Das Wortfindungsamt sollte sich für 8 bis 14 Tage in den
Stadtraum integrieren. Das muss nicht immer der Bauwagen sein, ein leer
stehendes Gebäude geht auch.
Mit welchen Wörtern umgeben Sie sich in Ihren vier Wänden?
„Synapsenpflege“ – ein Wort, das ich mir selbst ausgedacht habe. Gemeint
ist, immer mal wieder kurz runterzukommen und an nichts zu denken.
„heiterweiter“ ist auch ein Lieblingswort, das seinen Platz in meiner
Wohnung hat.
5 Dec 2012
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
## TAGS
Turner-Prize
Kunst
Sexismus
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