| # taz.de -- Theaterleben: Frau Geyersbach isst eine Wurst | |
| > An mangelndem Mut und allzu gleichgesinnten Hausregisseuren scheitert die | |
| > Erstausgabe des Tischfestivals im Schauspielhaus. | |
| Bild: Wurst hat unerwartete theatrale Qualitäten. | |
| Letztlich ist es eine Enttäuschung. Was am suggestivstarken Titel, an der | |
| verheißungsvollen Formatbeschreibung liegen mag: Tischfestival, so hatte | |
| die Bremer Dramaturgie ihre Idee getauft, an einem Abend vor Publikum neue, | |
| ungespielte Schauspieltexte vorzustellen. Und sie zu diskutieren. Der Plan | |
| ist super und konkurrenzlos in Bremen. | |
| Aber: Die Texte sind keine Abenteuer, sondern Solides von Arrivierten. Und | |
| das Publikum besteht beim ersten Mal in vor allem aus SchauspielerInnen. | |
| Dass die großen Hunger auf Theater-Diskussionen haben, ist ja schön. Aber, | |
| dass die eine solche Veranstaltung brauchen, um ihn zu stillen, erschreckt: | |
| Wären die Zeiten, in denen Ensembles aus entmündigten Rollenempfänger | |
| bestehen, zurück? Am Ende des Abends wird den SpielerInnen mitgeteilt: „Ich | |
| freue mich, dass ihr jetzt auch mal erfahrt, was es heißt, Dramaturg zu | |
| sein“ – also selbstständig denken und das sagen zu dürfen. Und sich zu | |
| überlegen, wie man einen Stücktext zum richtigen Regisseur bringt. Denn von | |
| den drei Hausregisseuren ist es jeweils keiner, und dass sich das so | |
| unterschiedslos sagen lässt, liegt daran, dass sie einander ähneln, wie A, | |
| B und C-Besetzung: Männer plus minus 30 mit wenig Leben, | |
| Durchschnittsbildung und herausragendem Ego: „Ich interessiere mich nicht | |
| für Gegenwartstheater“, sagt der besonders herausragende Felix | |
| Rothenhäusler. „Ich lese das kaum“, schließlich könne er damit „nichts | |
| anfangen“. Klingt schlüssig: Niemand hätte jemals mit dem, was er nicht | |
| kennt, etwas anfangen können. | |
| So funktioniert der Abend als ein Versuchsaufbau, um zu beweisen, dass sich | |
| mit diesen dreien Varianz nur in Nuancen des Desinteresses herstellen | |
| lässt. Abweichende Reaktionen – bleiben aus, auch weil die Texte nicht | |
| zufällig, sondern sorgfältig und nach bestem Dramaturginnen-Wissen | |
| gefiltert und ausgewählt sind. Was fehlt ist der Mut zum Unfertigen. Und so | |
| hegt man das qualitative Gefälle auf solides Mittelmaß ein: Gelesen wird, | |
| was Rowohlts (Katarina Schmitt), Suhrkamps (Konstantin Küspert) oder | |
| Fischers (PeterLicht) Lektorate empfehlen: Keine Scheiße – kein Gold. | |
| Es wird, zweitens, nicht vom Blatt gelesen, sondern szenisch präsentiert, | |
| und es ist kein Zufall, dass drei nach Schmitts bewährter Masche – eine | |
| Person stellt einer beharrlich schweigenden Fragen – gestrickte Tableaus am | |
| meisten Zuspruch finden: Die Ursache wird in der Sprache vermutet. Doch die | |
| ist eher konfektioniert – und letztlich beeindrucken nur der Sinn für Tempo | |
| und das starke Bild, mit dem Nadine Geyersbach und Siegfried W. Maschek den | |
| Text vortragen: Sie sitzen nebeinander am Tisch, Siegfried W. Maschek trägt | |
| eine Strumpfmaske ohne Gesichtsaussparung unterm Motorradhelm. Und | |
| Geyersbach, links von ihm, isst eine Knackwurst, wundervoll-obszön, | |
| langsam, genusslos und anti-erotisch wie eine Pflichtübung. Das bleibt im | |
| Kopf, das bleibt haften – eine irre Konstellation, die mehr mit dem | |
| theatralen Gespür der Spieler zu tun hat, als mit der Kraft der Wörter. | |
| Diese, drittens, zu befragen, ja für oder vor allem gegen einen der Texte | |
| zu streiten – scheint tabu. Denn die Dramaturginnen übernehmen ja eine Art | |
| Patenschaft für die vorgestellten Szenen und deren AutorInnen. | |
| So was ist emotional stets heikel. Da haut man nicht drauf. Und das wäre | |
| wohl auch unerwünscht: Wie ein zusätzlicher Schutzwall dagegen wirkt, dass | |
| nach der jeweiligen Lesung nur von den gleichgesinnten Hausregisseure das | |
| Statement abgefragt wird. Daran können sich dann die SchauspielerInnen | |
| orientieren, wenn sie, später, ganz am Ende des Abends, zur Diskussion über | |
| die drei Exzerpte gebeten werden, und auch das Publikum. | |
| Spontan geht anders. Und spontan wäre wichtig, wenn das Tischfestival nicht | |
| nur die Neugier des Theaterbetriebs auf sich selbst befriedigen soll. Dazu | |
| wäre es nötig, das Andere, die Vielfalt der Stimmen zuzulassen und zu | |
| provozieren – statt sie auszufiltern. So bleibt’s ein zentralbeheizter | |
| Abend mit sehr schöner Lesung. | |
| 5 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Bertolt Brecht | |
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