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# taz.de -- Programme gegen sexuelle Gewalt: Nicht viel Positives zu berichten
> Seit massenhaft Missbrauchsfälle aufgeflogen sind, wird viel Geld gegen
> sexuelle Übergriffe auf Kinder ausgegeben. Die Opfer spüren davon nichts.
Bild: Auf dem Rosenmontagsumzug 2013 in Düsseldorf thematisiert ein Karnevalsw…
BERLIN taz | Julia von Weiler wirft drei dicke Broschüren und zwei pralle
Papierstapel auf den Tisch. Berichte, Forschungsergebnisse, einen
Gesetzentwurf, alles zum Thema „sexueller Kindesmissbrauch“. Seit vor knapp
drei Jahren die massenhaften Übergriffe in kirchlichen Einrichtungen,
Schulen und Heimen öffentlich wurden, ist viel Papier vollgeschrieben
worden. „Aber passiert ist wenig“, sagt die Psychologin und Vorstandsfrau
des Vereins Innocence in Danger.
Der Verein hat sich dem Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch
verschrieben. Jedes Jahr werden 12.000 bis 16.000 Fälle angezeigt, die
Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. In der Familie sind hauptsächlich
Mädchen betroffen, in den Institutionen vor allem Jungen. Vielen werde noch
immer nicht geholfen, sagt von Weiler.
Wie kann das sein? Seit April 2010 gibt es den Runden Tisch Sexueller
Kindesmissbrauch der Ministerinnen Kristina Schröder, Annette Schavan
(beide CDU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Außerdem den
Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig. Es gibt den Gesetzentwurf,
mit dem Opfer ihre Rechte besser einklagen können, dazu einen
Entschädigungsfonds und bundesweit 363 Beratungsstellen.
„Aber das Beratungsnetz ist löchrig, ländliche Gegenden sind unterversorgt
und Angebote für Jungs und Männer sowie Menschen mit Behinderungen nach wie
vor rar“, sagt Julia von Weiler. Das belegt auch eine Untersuchung des
Sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsinstituts der Evangelischen
Hochschule Freiburg (SOFFI). So gelten Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen mit jeweils sechzig Anlaufstellen als „gut versorgt“.
Der Osten hingegen ist unterversorgt. In Brandenburg gibt es drei
Beratungsstellen, in Sachsen-Anhalt vier.
## Es fehlt an Beratungsangeboten
Seit zwei Jahren wird viel Geld gegen Missbrauch ausgegeben: 30 Millionen
Euro für Forschung, über 5 Millionen Euro für Kampagnen, Fernsehspots,
Theaterstücke. Aber bei den Opferprojekten und den Beratungsstellen kommt
kein Geld an, beklagen die BetreiberInnen.
Beispielsweise „Tauwetter“ in Berlin. Die Anlaufstelle für Jungen und
Männer bekommt lediglich Zuschüsse für Sachleistungen, auf der Website
werben die ehrenamtlichen Berater um Spenden. Geöffnet hat „Tauwetter“ an
zwei Tagen in der Woche für jeweils zwei Stunden.
Oder die psychotherapeutische Stelle „Warbede“ in Worms in Rheinland-Pfalz.
Die wird vom Bund und vom Land nicht gefördert, sondern abgewickelt. „Wir
haben zufällig erfahren, dass wir ab Januar keine Therapien mehr anbieten
können“, sagt Therapeutin Anja Lechleitner. Das Land entzog die 25.000 Euro
Förderung – wegen der Schuldenbremse, wie es offiziell heißt.
Durchschnittlich 15 von 19 Frauen in Lechleitners Therapie sind Opfer von
Kindesmissbrauch.
So geht das nicht, kritisiert der Missbrauchsbeauftragte Rörig. Donnerstag
will er die Bilanz seines ersten Amtsjahres ziehen. Was wird er sagen?
Vermutlich das, was er häufig sagt: „An adäquaten Hilfsangeboten für
Betroffene fehlt es.“
## Heimlich den Termin verschoben
Das hat Folgen: Die Opfer warten lange auf eine Therapie, mitunter
jahrelang, kritisiert die Psychotherapeutenkammer. Sie bekommen keine
Entschädigungen und vielfach zu geringe Renten, weil sie nicht mehr
arbeiten konnten.
Dagegen sind „Strategien erforderlich“, schlussfolgern die beiden
Psychologinnen Barbara Kavemann und Sibylle Rothkegel, die die
SOFFI-Bestandsaufnahme erstellt haben. Diese Strategien hatten die drei
Ministerinnen am runden Tisch vor zweieinhalb Jahren versprochen. Am 12.
Dezember wollten sie öffentlich verkünden, was daraus geworden ist. Jetzt
ist der Termin von der Website verschwunden, er wurde leise auf Mitte
Februar verschoben. Warum? An diesem Tag finde eine wichtige Debatte im
Bundestag statt, alle drei Ministerinnen müssten anwesend sein, erklärte
das Familienministerium.
Aber das glauben BeobachterInnen der Szene nicht. Vielmehr habe es wohl
damit zu tun, dass die Ministerinnen nicht viel Positives zu berichten
haben. So kann der Entschädigungsfonds mit 100.000 Euro, die jeweils zur
Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen werden sollen, nicht zahlen.
Grund: Die Länder haben ihren Anteil noch nicht zugesagt. Auch das
Opfergesetz ist noch nicht beschlossen. Und die Forschungen zu den
Abgründen des Missbrauchs und zum Täterverhalten liefern jetzt zwar
wissenschaftlich fundierte Zahlen – über bereits bekannte Sachverhalte.
## Richtigstellung
Ursprünglich war der Artikel „Nicht viel Positives zu berichten“ auf
[1][www.taz.de] vom 6.12.2012 mit einem Foto versehen, das die Unterzeile
trug: „Mahntafeln nahe der Odenwaldschule in Ober-Hambach. Die Gelder für
die Opfer sexueller Gewalt sind bis heute nicht geflossen.“ Das ist falsch.
Im Text geht es um eine Initiative des Bundesministeriums (da fließt Geld)
und um einen wesentlich bedeutenderen Hilfsfonds von Bund und Ländern (da
fließt noch kein Geld). Mit der Bildunterschrift wurde ein dritter
Zusammenhang hergestellt, der so im Text gar nicht auftaucht: Die
Entschädigungszahlungen der Odenwaldschule an ehemalige Schüler, die auch
Opfer von sexueller Gewalt an der Odenwaldschle geworden sind. Hier hat die
Odenwaldschule nach eigener Aussage bis zum 19. November 2012 bereits
300.000 Euro an Geldern gezahlt.
Die Redaktion
6 Dec 2012
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[1] /
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
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sexueller Missbrauch
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Kindesmissbrauch
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Bundesgerichtshof.
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Entschädigungsfonds eingerichtet hat. Auch ein Gesetz zur Stärkung der
Opferrechte müsse her.
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einzuklagen. Umdenken und Prävention sind aber kein Teil der Debatte.
Kommentar Missbrauchsbeauftragter: An der Seite der Betroffenen
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der Solidarität beginnt – eine, die den Grenzverletzer unterstützt.
Hilfsfonds für Missbrauchsopfer: Länder sollen 50 Millionen rausrücken
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Verzögerung zumuten. Am Donnerstag beraten die Ministerpräsidenten über den
Hilfsfonds.
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der Odenwaldschule zur Mediation. Zwischen Leitung, Trägerverein und
Betroffenen fehle das Vertrauen.
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