# taz.de -- Was Alkohol alles bewirkt: Die Konferenz der Biere | |
> In einer Neuköllner Bar trifft man sich sechs Tage lang zur | |
> "Sterni-Konferenz": Es geht um Alkohol und die Gesellschaft. | |
Bild: Ich und drei Bier: das macht vier! | |
Das Konterbier am Tag nach dem Exzess: auch so ein alkoholischer Mythos. | |
Während ich das hier am Sonntagnachmittag schreibe, brauen sie sich in der | |
Tristeza Bar ihr Katerbier gerade selbst – im Rahmen eines Workshops zum | |
Bierbrauen mithilfe einer Kaffeemaschine. | |
Ein Konterbier können die Damen und Herren dort sicher gut gebrauchen: Denn | |
im Tristeza, einer linken Kneipe in Nord-Neukölln, widmet man sich noch bis | |
zum heutigen Montag in einer „Export_innen-Tagung“ voll und ganz dem | |
Alkohol – nicht nur praktisch, auch theoretisch. In 16 Vorträgen, Workshops | |
und Filmvorführungen setzen sich Experten und Besucher mit Themen zu | |
Alkohol und Gesellschaft auseinander. | |
Vom Alkoholismus in der linken Szene über die Berliner Brauereigeschichte | |
bis zu Abstinenten-Bewegungen in Vergangenheit und Gegenwart wird in der | |
„Sterni-Konferenz“ – so der Titel mit Bezug auf eine angesagte | |
Billigbiermarke – alles alkoholisch Relevante verhandelt. Bei der Planung | |
der Konferenz habe der eigene Konsum eine Rolle gespielt: „Es war eine | |
Schnapsidee“, sagt Pita, Mitglied des Kollektivs, das die Tristeza | |
betreibt. | |
Was amüsant hätte werden können, verlor sich aber bisweilen in zähen, | |
ironiefreien Diskussionen darüber, ob der Alkoholkonsum nicht „der | |
Bewegung“ oder „der Linken“ schade und wie wenig darüber doch reflektiert | |
werde. Und die halbstündigen Diskussionen nach den Veranstaltungen glichen | |
einer besseren Hypnosesitzung. Spannend hingegen waren einige | |
Besonderheiten zum Alkoholkonsum in Berlin sowie die historischen Fakten | |
zum Alkoholkonsum in der Arbeiterschaft. | |
Den Anfang macht am Samstag der Politikwissenschaftler Ralf Hoffrogge, | |
Autor des Buchs „Sozialismus und Arbeiterbewegung“. Er referiert zum | |
Alkoholkonsum in der Arbeiterschaft. So sei der exzessive Schnapskonsum | |
Anfang des 19. Jahrhunderts während der Arbeit sogar gewünscht gewesen. | |
„Die Arbeitsbedingungen waren zum Teil auch so scheiße, dass sie nüchtern | |
gar nicht zu ertragen waren“, sagt Hoffrogge. Seiner Einschätzung nach war | |
der Alkohol zu dieser Zeit wichtiges „Schmiermittel zur Durchführung der | |
industriellen Revolution“: Die Unternehmer und Arbeitgeber sahen ihre | |
Untergebenen lieber besoffen arbeitend als nüchtern resignierend oder | |
revoltierend. | |
Danach geht es um die Kneipe als bedeutsamen politischen und subkulturellen | |
Ort. Dort konnten die Arbeiter sich über die Arbeitsbedingungen | |
austauschen, auch Gewerkschafts- und Parteitreffen fanden gegen Ende des | |
19. Jahrhunderts ausschließlich in Kneipen statt – andere Versammlungsorte | |
gab es schlicht nicht. In Berlin sei die Kneipe oft Ersatzwohnzimmer | |
gewesen: In den kleinen Wohnungen hätten die Familien zu eng | |
aufeinandergehockt. So nahm die Anzahl typischer Eckkneipen mit Beginn der | |
industriellen Revolution schlagartig zu. Allerdings seien die Kneipen | |
absolute Männerdomäne gewesen. | |
Die Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten: Der | |
Arbeiter-Abstinenten-Bund bildet sich 1903 in Berlin, um dem alkoholischen | |
Treiben beim Schaffen Einhalt zu gebieten. Aus gesundheitlichen Gründen, | |
aber auch aus politischen: Nicht saufende Proletarier taugen eher für die | |
Revolution, glaubte man. | |
Während auf meinem Tisch die nächste polnische Molle landet, liefern die | |
Referenten auf dem Podium Fakten zum aktuellen Bierkonsum in Berlin. Der | |
sei zu 50 Prozent von der Radeberger Gruppe abgedeckt, weiß Peter Rogalski, | |
bei der Flensburger Brauerei für den Berliner Markt zuständig. Die | |
Besonderheiten des Berliner Markts? „Es ist ein absoluter 0,5er-Markt.“ In | |
keiner anderen Großstadt würden so viele Halbe-Liter-Flaschen verkauft wie | |
hier. | |
Nun kommen auch die wichtigen Fragen auf den Tisch: Verursacht Billigbier | |
wirklich mehr Kopfschmerz? Von gefährlichen beigemischten Fuselölen spricht | |
Rogalski, deren Klang schon Kopfschmerz verursacht, ohne dass jemand genau | |
erklären kann, was es mit diesen Ölen auf sich hat. Vor diesen Ölen muss | |
man auf der Hut sein, weiß man am Ende des Abends immerhin. Sonst reicht | |
wohl selbst ein Konterbier nicht aus. | |
9 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Kochen | |
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