# taz.de -- Messi bricht Gerd Müllers Torrekord: „Auf, roll reini!“ | |
> Lionel Messi hat einen Rekord von Gerd Müller gebrochen. Egal. Das | |
> deutsche Genie mit seinem kleinbürgerlichen Kunstsinn bleibt | |
> unerreichbar. | |
Bild: Jahundertstürmer Gerd Müller trifft im Jahrhundertspiel – Deutschland… | |
Nichts – keine Meldung, keine Personalie, kein sogenanntes Ereignis, sei es | |
politischer, kulturbetrieblicher oder gar, mit Robert Musil zu reden, | |
fußballindustrieller Art – könnte mich dazu bewegen, meinen Arbeitstag | |
umzukrempeln, alles, was erledigt werden will, beiseite zu schieben und | |
stattdessen einen Zeitungsartikel zusammenzubolzen, der in den Katarakten | |
der Informationsirrelevanzen genauso verdient absäuft wie – beispielsweise | |
– jedes Pixel auf dem sogenannten und Tag für Tag nichtiger fürbaß | |
walzenden Nachrichtenportal Spiegel Online. | |
Nein, nichts und abermals nichts – außer die Frage eines sehr geschätzten | |
Kollegen aus der Sportredaktion dieses Blattes, ob mir zu Gerd Müller ein | |
paar Zeilen einfielen, mir als „altem Roten“. Wie könnte ich da | |
protestantisch streng und schnöde Nein sagen – bei einem Fußballer, den ich | |
verehre wie keinen anderen aus diesem unterdessen äußerst merkwürdigen, ja | |
weitenteils unverschämten und perfiden Sport? | |
Ich möge, forderte mich Achim Greser, der eiserne Club-Fan, kürzlich auf, | |
dem Fußball jetzt doch mal final in den Arsch treten. Angesichts des | |
omnipräsenten Geplappers zumal über wöchentlich anberaumte | |
„Jahrhundertspiele“ müsse endlich Remedur geschaffen werden. Nö, nun wird | |
niedergekniet. | |
„Zwei Genies, genau zwei, hat der deutsche Fußball hervorgebracht: Gerd | |
Müller und Mehmet Scholl“, habe ich vor ein paar Jahren geschrieben. Dabei | |
bleibt es, und ich ergänze: nicht nur der deutsche, sondern der | |
Weltfußball, Garrincha, Pelé, Maradona, der „Jahrhundertspieler“ Messi und | |
wer auch immer. Wer anderes behauptet, frevelt. | |
## „Schlechte Unendlichkeit“ | |
Zahlen und Daten interessieren mich nicht (mehr), ich gucke mir keine | |
YouTube-Videos mit Gerd Müller an, ich möchte von all dem Fakten- und | |
Anekdotengehuber, das in „schlechter Unendlichkeit“ (Hegel) die stets | |
gleichen Geschichten von Zigarren, Suff und mit dem Hintern erzielten Toren | |
auftischt, nichts wissen. | |
Es ist die einfach nicht fahl werdende Erinnerung an diesen ungeheuer | |
sympathischen Mann, der schon damals aus der Welt der Geldscheinwedler und | |
Suppenkaiser herauspurzelte, nein: der in seiner ragenden Stille, seiner | |
zarten Größe in diesen Spezialkosmos der Eitelkeiten und brachialen | |
Durchstechereien nicht hineinpasste. | |
Das ist mein Bild von Gerd Müller: ein Fußballer, der die guten Leute | |
verkörperte, die es gab und immer noch gibt, von denen man in dieser | |
Wahnsinnswelt indes nie etwas hört. (Dass Uli Hoeneß Gerd Müller rettete, | |
als er am Leben zu zerbrechen drohte, vergesse ich dem Bayern-Magnaten | |
nie.) | |
## Wie er zur Seite kippte | |
Aber: zarte Größe? Gerd Müller, untersetzt, hatte Beine wie ein Elefant, | |
gewiss. Doch wie er sich bewegte, wie er zur Seite kippte, wie er hüpfte, | |
wie er den Körper verdrehte, wie er den Ball kaum einmal trat oder drosch, | |
sondern ihm meist mit einem, so stellte ich mir das bisweilen vor, | |
geflüsterten Satz („Auf, roll eini!“) den Weg ins Netz wies, das war von | |
ungesehen unprätentiöser Schönheit – ein bescheidener Kleinbürger mit ein… | |
höchstentwickelten Kunstsinn, einer, der von seiner singulären Begabung | |
womöglich nicht einmal etwas wusste. | |
Gerd Müllers tiefhumane Einfachheit, sie rührt mich bis heute, und das wird | |
sie weiter tun. Und es war neulich Wirt Apollo, der mir in meiner | |
Stammkneipe beisprang, als ich Gerd Müller als den Unerreichten und | |
Unerreichbaren des Weltfußballs verteidigte, gegen die ahnungslose, | |
gegenwartsversessene Eintracht-Jugend, die wen auf den Schild hob? Lionel | |
Messi. Wenn es sie glücklich macht, bitte. Ich danke Gerd Müller und | |
wünsche ihm alles erdenkliche Gute. | |
10 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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