# taz.de -- Neuer Lesesaal der Staatsbibliothek: Das Spiel der Lichtmetaphorik | |
> Bibliotheken sind Kathedralen des Lichts. So auch der neue Lesesaal der | |
> Berliner Staatsbibliothek. Doch den Himmel wird man im Glaskasten nicht | |
> sehen. | |
Bild: Helligkeit wie im OP: Der neu gebaute Lesesaal der Staatsbibliothek wurde… | |
BERLIN taz | Licht ist seit alters her ein integraler Bestandteil von | |
Architektur. Die gotischen Kathedralen etwa waren im Grunde eine einzige | |
Hymne an das göttliche Licht, das die Kirchengehäuse erfüllte. Das Licht | |
machte die Heilsgeschichte in den großen Glasfenstern sichtbar, und das | |
Licht kündete von der strahlenden Stadt, dem Himmlischen Jerusalem am Ende | |
aller Tage. Die Dome der Gotik erreichten ein Maximum an Transparenz, was | |
man mit dem Material des Steins überhaupt erreichen konnte. | |
Erst die Moderne konnte mit Stahl und Glas die Architektur des Lichts noch | |
steigern. Trotz des inzwischen eher profanen Umgangs mit künstlichen | |
Leuchtmitteln zur Erhellung von Produktionshallen, Büros und Wohnzimmern | |
fungiert das Licht bis heute als universelle Metapher des Wissens. | |
Nicht umsonst beschreibt man die Verdrängung des Unwissens und des | |
Aberglaubens mit dem Wort Aufklärung. Dem entsprechend müssten Bibliotheken | |
eigentlich Kathedralen des Lichts sein. Denn hier wird altes Wissen | |
akkumuliert und werden neue Erkenntnisse generiert. | |
Der neu errichtete, allgemeine Lesesaal im Altbau der Staatsbibliothek | |
Preußischer Kulturbesitz in Berlin folgt dieser Lichtmetaphorik. Am Montag | |
erfolgte die symbolische Schlüsselübergabe. Die über 100.000 freihand | |
verfügbaren Bücher müssen allerdings erst noch einsortiert werden. Für das | |
Publikum zugänglich wird der neue Lesesaal erst ab März – zunächst über | |
einen provisorischen Treppenaufgang von der Rückseite des wilhelminischen | |
Prachtbaus. | |
## Der Weg zum Licht, zu Weisheit, Wissen und Erkenntnis | |
Erst nach Abschluss aller Bauarbeiten 2015/16 im umgebenden Altbau wird der | |
Besucher von der Straße Unter den Linden her kommend den Weg zum Licht, zu | |
Weisheit, Wissen und Erkenntnis emporsteigen können. | |
Hofbaumeister Ernst von Ihne hatte in seiner 1914 fertig gestellten | |
Bibliothek hier bereits einen achteckigen Lesesaal eingebaut. Der | |
monumentale Kuppelbau wurde im letzten Krieg zerstört und zu DDR-Zeiten | |
ganz abgerissen. Der neue Lesesaal steht jetzt an gleicher Stelle. Dort | |
angekommen, wird sich der zukünftige Besucher allerdings in einer | |
Kühlkammer wähnen. Und das liegt vor allem am Licht. | |
Mit der baulichen (Re-)Inszenierung der Lichtmetapher hatte der Architekt | |
HG (Hans Günter) Merz den Wettbewerb im Jahre 2000 gewonnen. Merz entwarf | |
einen Glaskubus. Die Leseplätze in den unteren zwei Etagen sind von | |
Bücherregalen gerahmt, darüber ist der Raum „transluzent“ zum Licht | |
geöffnet. | |
Doch den blauen Himmel wird man in diesem Glaskasten trotzdem nicht sehen. | |
Denn Wände und Decke sind mit Stoff verhangen. Ein Ausblick ins Freie ist | |
unmöglich. Stattdessen strahlen Leuchtstofflampen und tauchen den 36 x 35 x | |
30 Meter messenden Raum in eine kalte, technoide und schattenlose | |
Atmosphäre. | |
## Helligkeit wie in Gefängniszellen | |
Statt Licht gibt es Helligkeit, wie man sie in Operationssälen oder | |
Gefängniszellen einsetzt. Statt eines Lichts der Erkenntnis erlebt man hier | |
eine Helligkeitsfolter, die auch in den Fensterplätzen hinter den hölzernen | |
Regalen nicht viel erträglicher wird. Denn hier blickt man durch die leicht | |
welligen Glasscheiben ohnehin nur gegen die weiß-gekachelten Hinterhofwände | |
des Altbaus. | |
Zum Licht gehört notwendig der Schatten. In den Abschattungen werden die | |
Dinge erst plastisch. Deshalb wirkt die Lichtregie im Merz-Bau durch und | |
durch unnatürlich und künstlich. Damit konterkariert man im Grunde das | |
taktile Element, die Stofflich- und Begreifbarkeit des Buches als Ding und | |
macht aus ihm optisch wieder nur eine zweidimensionale Oberfläche wie am | |
Bildschirm. War es aus buchkonservatorischen Gründen nötig, diese | |
historische Forschungsbibliothek für die Literatur bis 1945 in eine derart | |
klinische Atmosphäre zu tauchen? | |
Immerhin sind die 250 Arbeitsplätze im allgemeinen Lesesaal wie die 48 im | |
darunter liegenden Rara-Lesesaal großzügig breit dimensioniert. Trotz des | |
Einsatzes von Pappelholz für Tische und Regale bleibt allerdings überall | |
ein frostiger Eindruck zurück. Allein die verbliebenen ionischen Säulen aus | |
dem Altbau im Rara-Lesesaal erinnern an so etwas wie Gemütlichkeit und | |
gediegenes Handwerk aus vergangenen Tagen. | |
## Glattgeschmirgelte Betonwände ohne Dekor | |
Im Neubau gibt es keinerlei Ornament, in denen eine Aura sich einnisten | |
könnte. Die glattgeschmirgelten Betonwände sind ohne Dekor, die eigentlich | |
schreienden Rot- und Orangetöne von Teppichboden, Sesseln und | |
Schreibunterlagen wirken wegen der eingesetzten Lichtregie wie erstickt. | |
Auch die Kunst am Bau von Olaf Metzel – ein überdimensionaler, unter der | |
Decke zusammengeknüllter Batzen von Druckseiten – kann der Kälte nicht | |
wirklich entgegenwirken. | |
Mit gefüllten Bücherregalen und eingedimmter Beleuchtung wird die | |
Atmosphäre sich ab März hoffentlich wenigstens etwas erwärmen. Denn | |
Lesesäle und die darin versammelten Bücher bleiben auch im digitalen | |
Zeitalter unverzichtbar. Die Festredner bei der Schlüsselübergabe wurden | |
nicht müde, diesen Umstand zu betonen. | |
Das gilt nun zumal für die vielen kostbaren Schätze der Staatsbibliothek. | |
Unter ihren 11 Millionen Objekten finden sich Handschriften, Wiegendrucke, | |
Notenblättern, Atlanten, Globen oder Autografen – etwa von Beethoven, Bach | |
oder Mozart. Derlei Blätter in der Hand zu halten, wird wohl jeden die Aura | |
des Originals spüren lassen. | |
Für die neuen Lesesäle und die Grundinstandsetzung des Altbaus wird das | |
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung nach 10-jähriger Bauzeit bis 2015 | |
über 400 Millionen Euro ausgegeben haben. Doch diese Ausgabe lohnt. | |
Bibliotheken sind und bleiben Kathedralen des Wissens. | |
## Heiratsmarkt und Forscherklause | |
Als größte Universalbibliothek Deutschlands zusammen mit dem 1978 | |
eröffneten Neubau von Hans Scharoun an der Potsdamer Straße ist die Stabi, | |
wie sie liebevoll von ihren Benutzern genannt wird, auch das Gedächtnis der | |
Nation. Und, wie der extreme Publikumszuspruch im Scharoun-Bau zeigt, | |
fungieren Lesesäle – wenn es gut geht – als Kontakthof, Heiratsmarkt und | |
Forscherklause in einem. Gleiches wäre dem neuen Lesesaal im Stammhaus | |
Unter den Linden zu wünschen. | |
Für die nötige Atmosphäre ist die richtige Lichtästhetik allerdings | |
unabdingbar. Wie wichtig den Menschen die richtige Stimmung des Lichts ist, | |
sieht man vergleichbar auch bei den Protesten gegen die Abschaffung der | |
Glühbirne oder das Verschwinden des Gaslichts im Stadtbild. Ganz offenbar | |
aber hat man dieses Atmosphärische des Lichts im Merz-Bau gegenüber einer | |
falsch verstandenen Funktionalität völlig vergessen. | |
12 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
## TAGS | |
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