# taz.de -- Call a Reporter: Die kleinen, schrägen Zufälle | |
> Mit einem Minibus voller Kunst aus Transsilvanien nach Treptow: Wie ein | |
> rumänisches Kollektiv die Peripherie erobert. | |
Bild: Kunst aus Transsilvanien in einer Halle in Treptow: hier ein kleiner Auss… | |
Die Fahrt von der transsilvanischen Stadt Cluj in Rumänien bis nach Berlin | |
dauert vierzehn zähe Stunden. Zsolt Berszán hat den Weg in den Westen in | |
einem Minibus zurückgelegt. Einsam vor sich hinpfeifend, wie er sagt, weil | |
einfach niemand mehr sonst reingepasst habe ins Auto. Denn Berszáns Wagen | |
war bis unters Dach vollgeladen mit Kunst. Dutzende Gemälde und Skulpturen | |
transportierte der 36-Jährige über die Grenzen hinweg, darunter seine | |
eigenen Arbeiten sowie die von Kollegen. Die Kunstwerke werden derzeit in | |
einer ehemaligen Fabrikhalle in Treptow ausgestellt, worauf uns ein Leser | |
aufmerksam machte. Rumänen, in der Kunstwelt eher nur peripher | |
wahrgenommen, schlägt also in der Peripherie von Berlin auf. | |
Was dabei herausgekommen ist, kann sich sehen lassen: Etwa die Porträts des | |
28-jährigen Malers István Betuker. Sie zeigen Menschengesichter in Öl, | |
durchpulst von dunklen Ahnungen und hellen Hoffnungen. Die Darstellung hat | |
nichts Maskenhaftes an sich, man ist darauf gefasst, die Porträtieren | |
gleich ausatmen zu hören. | |
Daneben hängen die großformatigen Gemälde von Szabolcs Veres, 29, den das | |
Groteske umtreibt. Was dazu führt, dass auf seinen Bildern zwei Meter große | |
Madenmonster wilde, bunte Gärten bevölkern. Zusammen mit Zsolt Berszán | |
bilden die jungen Maler das Kollektiv „Bazis“. Gemeinsam haben sie die | |
Schau in Treptow auf die Beine gestellt. Insgesamt zeigen 16 Künstler hier | |
ihre Arbeiten, eine Hälfte von ihnen lebt in Rumänien, die andere in | |
Berlin. Berszán freut sich über die Kooperation: „Berlin gilt in Rumänien | |
derzeit als wichtigste Kunststadt Europas“, sagt er. „Wir wollten uns aus | |
nächster Nähe anschauen, was das eigentlich heißt.“ | |
Nun erleben Berszán und seine Freunde einerseits eine Hauptstadt, in der | |
immer noch die schrägen, kleinen Zufälle das Schicksal bestimmen. Die | |
Fabrikhalle, in der sie ausstellen, fanden sie während eines Besuches im | |
Sommer, ohne groß danach zu suchen. „Über Freunde von Freunden“, erinnert | |
sich Berszán, „ganz unkompliziert.“ Die Halle stand bislang leer, der | |
Besitzer, ein mittelalter, kanadischer Skater, ließ sich sofort für die | |
Ausstellung begeistern. | |
Und gleichzeitig beobachtet das Kollektiv Bazis ein träges Berlin, das wie | |
die Karrikatur einer lebendigen Kunstmetropole anmutet. Erstaunlich viele | |
öde Arbeiten von durchschnittlicher Qualität seien ihnen bislang | |
untergekommen. „Es gibt zudem recht viele Wochenendkünstler hier“, bemerkt | |
Berszán. Auch bekannt als: „Kreativtouristen“. So zumindest bezeichnete die | |
New York Times kürzlich Künstler, die nach Berlin ziehen, mutwillig | |
versumpfen und sich dann darüber beschweren, dass die Stadt sie vom | |
Kreativsein abhalte. | |
Um Berszán und sein Kollektiv muss man sich in dieser Hinsicht keine Sorgen | |
machen. In ihrer Heimat, der Studentenstadt Cluj im Norden Rumäniens, | |
gelten sie als Pragmatiker. Sie halfen mit, eine ehemalige Pinselfabrik am | |
Stadtrand in ein Zentrum der Künste zu verwandeln. Maler, Musiker, Tänzer | |
und Regisseure nutzen den Ort seit nunmehr drei Jahren, um vor regem | |
Publikum ihre Arbeiten zu zeigen. | |
Mittlerweile hat sich die Erfolgsgeschichte um die „Fabrica de Pensule“ | |
herumgesprochen und internationale Künstler reisen für Kooperationen nach | |
Cluj. „Von diesem anderen, jungen Rumänien zu erzählen, auch darum geht es | |
uns mit der Ausstellung in Treptow“, sagt Berszán, der bald mit seinem | |
Kollektiv nach Cluj zurückkehren will. | |
Seine Werbemission für rumänische Kunst kann man sich derweil noch bis zum | |
10. Januar in Treptow in der Moosdorfstraße 7-9 anschauen. Feste | |
Öffnungszeiten gibt es nicht. „Einfach die Türklingel benutzen“, empfiehlt | |
Berszán. „Zur Not kommt der Hausmeister und schließt auf.“ | |
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21 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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