Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Türkischer Premier gegen Sultan-Soap: Erdogan der Prächtige
> Millionen Türken schauen die TV-Serie über Süleyman den Prächtigen.
> Trotzdem möchte Premier Erdogan diese verbieten.
Bild: Der Serien-Sultan mit Eiern beworfen: Werbeplakat für die Serie „The M…
Liebe, Hass und Intrigen sind der Mix, mit dem die Serie „Muhtesem Yüzyil“,
das „Wunderbare Jahrhundert“, nun schon in 78. Folge seit bald zwei Jahren
das türkische Publikum verzaubert. Ein schöner Sultan, sein nicht minder
smarter Großwesir, vor allem aber die Frauen, Geliebten und sonstige
Konkurrentinnen um die Gunst des Sultans sind die Hauptakteure der
historischen Soap Opera.
Die Serie, die einmal pro Woche mittwochs fast drei Stunden lang über den
Bildschirm flimmert, bezieht sich in ihrem Titel auf die Zeit von 1520 bis
fast zum Ende des 16. Jahrhunderts, eben der Zeit, während der Süleyman der
Prächtige das Osmanische Reich regierte und dem Imperium zu seiner größten
Ausdehnung verhalf. Es ist die große Zeit der Osmanen und deshalb passt der
Film perfekt zu der seit längerem betriebenen glorifizierenden Rückschau
auf die erfolgreichen Vorväter – Neo-Osmanismus als das Gebot der Stunde.
Trotzdem laufen gerade die konservativen und religiösen Kreise Sturm gegen
die bislang erfolgreichste türkische Soap Opera. Der Hauptgrund dafür ist
wohl, dass die tragende Figur der Serie nicht der Sultan selbst ist,
sondern seine Hauptfrau Hürrem Sultan, die in der europäischen Literatur
unter dem Namen Roxelane bekannt wurde. Das berühmte „Wunderbare
Jahrhundert“ wird deshalb nicht aus der Perspektive des erfolgreichen
Feldherrn, sondern aus der Sicht des Harems vorgeführt. Die Serie
porträtiert eine der bemerkenswertesten Frauen der osmanischen Geschichte,
die es schaffte, durch Intelligenz, Rücksichtslosigkeit und einem
erfolgreichen Auftritt im Bett des Sultans von einer Haremssklavin zur
geehelichten Hauptfrau des Sultans zu werden.
Inszeniert ist das Ganze eher wie ein Theaterstück und damit weit entfernt
von anderen als Action-Kino verfilmten Historiendramen. Schwert und Degen
kommen kaum vor, große Schlachtenszenen werden höchstens einmal angedeutet,
die Handlung spielt überwiegend innerhalb des Palastes und auch dort
weniger im Divan, wo der Sultan Hof hält, sondern vor allem im Harem, wo um
die Gunst des Sultans gerungen wird. Die rothaarige Sklavin vom Balkan
wickelt ihren Süleyman um den kleinen Finger. Da Süleyman 46 Jahre regierte
und Roxelane zunächst viele Konkurrentinnen besiegen musste, um dann später
darum Sorge zu tragen, dass einer ihrer Söhne in der Thronfolge an erster
Stelle kommt, gibt es genug Stoff für fast unendlich viele Folgen, die sich
über die eingeblendete Werbung bestens vermarkten lassen.
Darüber hinaus wird die Serie auch im Ausland mit großem Erfolg verkauft.
Zufall oder nicht, just in den ehemaligen Grenzen des Osmanischen Reichs
bricht „Muhtesem Yüzyil“ alle Rekorde. Wie schon bei anderen türkischen
Serien sind arabische Frauen von der erfolgreichen Sultansfrau begeistert,
aber auch auf dem Balkan ist Hürrem Sultan zu einem Straßenfeger geworden.
Von Kroatien bis Mazedonien sind alle dabei, in Bosnien konnte das Publikum
gerade in einem Wettbewerb Frauen und Männer aussuchen, die der Sultana und
dem Sultan besonders ähnlichen sehen. Das Gewinnerpaar reist über Silvester
nun nach Istanbul und trifft hier die Originalschauspieler.
Nachdem die wütenden Kritiken der Konservativen zum Auftakt der Serie
angesichts des enormen Publikumserfolgs allmählich verstummten, hat vor
knapp vier Wochen sich jetzt erstmals Ministerpräsident Tayyip Erdogan zu
Wort gemeldet. Und zwar gleich mit großem Aplomb. Die Serie, schimpfte
Erdogan, sei eine unerträgliche Verunglimpfung der großartigen osmanischen
Geschichte. Die Macher sollten wegen Volksverhetzung angeklagt werden, er
hoffe, dass sich die Staatsanwaltschaft bald damit beschäftigen würde. Wenn
Erdogan in solcher Weise vom Leder zieht, bleibt das in aller Regel nicht
folgenlos. Den Produzenten, vor allem aber dem Besitzer von „Star“, Ferit
Sahenk, dem TV-Kanal, auf dem die Serie ausgestrahlt wird, muss der Atem
gestockt haben.
Erdogan, der sich mittlerweile offenbar schon mehr in der Rolle eines
Sultans als der eines auf Zeit gewählten Politikers sieht, will nicht
länger hinnehmen, dass sein erfolgreichstes Vorbild Sultan Süleyman
„historisch völlig inkorrekt“, wie er meint, als Wachs in den Händen einer
Frau gezeigt wird und statt der Weisheit des Sultans Mord und Totschlag am
Hofe dominierten. Das hat natürlich sämtliche Kommentatoren des Landes auf
den Plan gerufen, die sich nun zum einen mit der historischen Wahrheit zur
Zeit der Osmanen beschäftigen und/oder gleichzeitig die Zensurversuche des
Ministerpräsidenten kritisieren.
Die heftige Reaktion auf Erdogan hat zwar bislang verhindert, dass
tatsächlich ein Staatsanwalt gegen die Macher der Serie Ermittlungen
aufgenommen hat, gänzlich verschont blieb „Muhtesem Yüzyil“ dennoch nicht.
In einem Akt vorauseilender Selbstzensur hat der Sender angekündigt, er
würde die Serie früher beenden als ursprünglich geplant.
Außerdem wurden einige Szenen mit sexuellen Andeutungen auf Verlangen der
staatlichen Film- und Fernsehaufsicht RTÜK gestrichen, und Hürrem soll nun
häufiger ein Kopftuch tragen als bislang. Richtigen Ärger bekamen die
Macher des „Wunderbaren Jahrhunderts“ jetzt aber im Iran. Vor wenigen Tagen
ließ die islamische Justiz des Landes alle SynchronsprecherInnen verhaften.
26 Dec 2012
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Soap
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Islamismus
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Raketenstationierung in der Türkei: Patriots in drei Provinzen
Jetzt ist es offiziell: Die Einsatzorte aller Patriot-Batterien in der
Türkei stehen fest. Für bis zu 400 Bundeswehrssoldaten geht es nach
Kahramanmaras.
Kommentar Patriots für die Türkei: Ein Mandat mit Zukunft
Bevor das Raketenabwehrsystem Patriot an der Südostflanke der Nato
einsatzbereit ist, könnte der Krieg in Syrien vorbei sein. Und dann?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.