# taz.de -- Aufruf zu einer links-grünen Koalition: "Mit dieser SPD regieren g… | |
> Stefan Liebich von den Linken will nach der nächsten Wahl mit den Grünen | |
> koalieren - und so die erste SPD- und CDU-freie Regierung der Republik | |
> schaffen. | |
Bild: Stefan Liebich | |
taz: Herr Liebich, nach zehn Jahren an der Regierung ist die Berliner | |
Linkspartei seit über einem Jahr in der Opposition. Wie fühlt sich das an? | |
Stefan Liebich: Wir haben uns das ja nicht ausgesucht. Unsere Partei hat | |
zwei Wahlperioden regiert, und zumindest ich habe immer gern an dieser | |
Regierung mitgearbeitet. Aber der Wähler hat anders entschieden. Heute sage | |
ich: Wir können Regierung, aber wir können auch Opposition. Fraktion und | |
Landesverband machen ihre Sache gut. | |
Wie ist denn die Stimmung: Soll es bei der nächsten Wahl wieder eine | |
Koalition mit der SPD werden, in der die Linke als Vollstreckerin der Sozis | |
herhalten darf? | |
Das waren wir nie, und das werden wir auch nie sein. Wenn man sich die | |
gegenwärtige Senatspolitik anguckt, ist es ohnehin sehr schwer vorstellbar, | |
mit dieser SPD zu regieren. Inzwischen ist derlei auch von Bündnis 90/Die | |
Grünen zu hören. Der Senat kann keine Großprojekte. Im Kampf gegen rechts | |
versagt er. Eine Antwort auf das Energie-Volksbegehren hat er auch nicht. | |
Die Köpfe im Senat werden ständig ausgewechselt. Dass mittlerweile jemand | |
wie Finanzsenator Ulrich Nußbaum als beliebtester Politiker gilt – der sich | |
nicht mal entscheiden kann, in eine Partei einzutreten –, spricht ja Bände. | |
Das klingt nach Frust. | |
Nein, nicht Frust. Es spricht schlicht nichts dafür, noch einmal mit dieser | |
SPD zu regieren. Aber darauf kann unsere Antwort nicht sein, immer in der | |
Opposition zu bleiben. | |
Sondern? Einen anderen Partner werden Sie nicht finden. | |
Das ist nach der gängigen Farbenlehre richtig. Aber ich habe da eine | |
verwegene Idee. Ich würde gern unserer Partei und dem Landesverband von | |
Bündnis 90/Die Grünen vorschlagen, dass sie darum kämpfen, Deutschlands | |
erste Landesregierung ohne SPD und ohne CDU zu bilden. | |
Bitte?! Das klingt absurd. | |
Ich weiß. Aber ich denke, es gibt genau ein Bundesland, in dem so etwas | |
möglich ist – und das ist Berlin. Als Linke haben wir hier ein | |
Wählerpotenzial von etwa 20 Prozent. Die haben wir zwar momentan nicht in | |
den Umfragen, aber 2001 erzielten wir bei den Abgeordnetenhauswahlen 22 | |
Prozent; bei den Bundestagswahlen 2009 lagen wir mit 20 Prozent noch vor | |
der SPD. Und wenn man sich Bündnis 90/Die Grünen anschaut, dann haben die | |
im Moment in den Umfragen ebenfalls 20 Prozent. | |
Diese Zahlen lassen sich nicht seriös addieren. Die Grünen sind bei über 20 | |
Prozent, weil sie die linke Ecke verlassen haben und in die Mitte gerückt | |
sind. Wenn Sie sich mit denen zusammentun, verlieren Sie! | |
Das glaube ich nicht. Gemeinsam würden wir ein Spektrum in dieser Stadt | |
abbilden, das weit über das jeweils typische, sehr enge grüne und sehr enge | |
linke hinausgeht. Die Grünen sind in der Mitte der Stadt Volkspartei. Sie | |
erreichen bis weit in die CDU- und FDP-Wählerschaft das bürgerliche Lager, | |
mit einer Politik, die ich nicht nur super finde. Ihren Erfolg muss ich | |
aber zur Kenntnis nehmen. Die Linke wiederum ist unbestritten im Osten | |
Volkspartei und im Westen zwar nicht auf dem Niveau, wie wir es uns | |
wünschen, aber auch sehr aktiv. Ich glaube, dass man damit eine Koalition | |
bilden könnte, die ein größeres Spektrum vertritt als zum Beispiel das | |
bürgerliche Lager aus CDU und FDP, das bei den letzten Wahlen gerade mal | |
ein Viertel der Stimmen bekam. | |
Die Grünen haben ihre Wähler im Westen und in der Innenstadt: die | |
bürgerlichen Gewinner. Die Linkspartei wird im Osten von den sozialen | |
Verlierern und den Rentnern gewählt. Wie sollen denn bitte diese Milieus | |
gemeinsam Politik machen? | |
Wenn es so wäre, wie Sie behaupten, würde es in solch einer Koalition | |
natürlich nur knallen. Ja, es gibt Punkte, da sind Linke und Grüne sehr | |
unterschiedlich. Aber es gibt auch Punkte, in denen sind wir uns sehr | |
ähnlich. Wenn man sich wichtige Themen anschaut wie die innere Liberalität, | |
den Kampf für mehr Demokratie, die Integrationspolitik – kurz: den Kampf | |
für ein liberales, weltoffenes und modernes Berlin – kriegt man das mit | |
Bündnis 90/Die Grünen eher hin als mit dieser SPD. | |
Wie wollen Sie die Idee Ihren Parteimitgliedern verkaufen? | |
Unsere Partei besteht keineswegs nur aus Verlierern der Wende. Da ändert | |
sich vieles. Wir haben viele neue Mitglieder, das können Sie an der | |
Fraktion im Abgeordnetenhaus sehen und im Landesverband, und das sehen Sie | |
auch an unserer Wählerschaft. Wären wir nur für ehemalige DDR-Bürger | |
attraktiv, würden unsere Wahlergebnisse immer geringer werden. Das aber | |
trifft nicht zu. Insofern kann ich nur sagen: Es gibt Kompatibilitäten mit | |
den Grünen. Aber es gibt auch Schwierigkeiten. | |
Haben Sie Ihre Idee schon den Berliner Grünen unterbreitet? | |
Links-Grün ist ganz sicher nicht der Masterplan bei den Grünen. Und ehrlich | |
gesagt: auch noch nicht bei uns. Aber man kann doch einen Vorschlag machen, | |
über den nachgedacht werden sollte. Und bei den Gesprächen, die ich | |
natürlich bereits geführt habe, treffe ich auf Leute, die sagen: „Ja, | |
darüber sollten wir reden, denn diese rot-schwarze Berliner Koalition | |
arbeitet einfach schlecht.“ Auch deshalb glaube ich, dass es lohnt, diesen | |
Kampf aufzunehmen, statt immer weiter darauf zu warten, wie sich die SPD | |
nach der nächsten Wahl entscheidet. | |
Also Links-Grün als Rache der Verschmähten an der SPD? | |
Rache ist nichts, womit man Politik machen sollte. Meine Strategie wäre das | |
nicht. Wir haben letztlich gar nicht so schlecht mit der SPD | |
zusammengearbeitet. Ich sage ja nicht umsonst „diese SPD“. Die hat sich | |
insbesondere im zurückliegenden Jahr ziemlich verändert. Manchmal habe ich | |
den Verdacht, dass sie wieder in den 90er Jahren angekommen ist. Damals | |
haben gab es heftige Flügelkämpfe. Das endete erst, als Klaus Wowereit und | |
Michael Müller an die Macht kamen. | |
Beide verlieren an Einfluss. | |
Die Berliner SPD kabbelt sich wieder wie früher. Sie ist seit dem Mauerfall | |
in der Regierung, und die denken dort, das sei normal. Aber ich denke, die | |
brauchen mal ’ne Pause. | |
Herr Liebich, wieso kommt dieser Vorschlag eigentlich von Ihnen? Das wäre | |
doch der Job von Landeschef Klaus Lederer. | |
In unserer Partei gibt es ja eine geteilte Begeisterung für das Regieren. | |
Da hat Klaus Lederer einen harten Job. Er hat die Koalition mit der SPD | |
verantwortlich geführt. Und er hat es seit den letzten Wahlen mit einem | |
Landesverband zu tun, in dem Einige vor allem gern Diskussionen führen, was | |
wir in der Regierung alles falsch gemacht haben. Ich glaube, so mancher | |
Genosse wäre nicht besonders glücklich, wenn Klaus Lederer jetzt mit einem | |
Vorschlag käme, wie man wieder in die Regierung kommt. | |
Warum können Sie sich das leisten? | |
Weil ich nicht Landesvorsitzender bin. | |
Klar. Aber Sie scheinen sich selbst einen großen Einfluss im Landesverband | |
zuzurechnen. | |
Ich kann diesen Vorschlag aus einer gewissen Unabhängigkeit heraus machen. | |
Aber mir ist auch klar: So etwas würde nur funktionieren, wenn sich die | |
Partei dafür begeistern ließe – und auch nur, wenn die Grünen dafür offen | |
sind. Dort gibt es ja starke Leute, die das Heil der Partei in der Flucht | |
zur CDU suchen. Wohin die Reise da geht, ist noch nicht entschieden. | |
Schwarz-Grün ist ja auch in den Ländern nichts Neues mehr. | |
Hier in Berlin stimmen aber die Koordinaten nicht. Da hoffen etliche auf | |
eine reformierte Großstadt-CDU, die es aber einfach mal nicht gibt. Was ich | |
sehe, ist immer noch die alte Westberliner Kiez-CDU. Ich finde, da können | |
wir als Linke ruhig Alternativen entwickeln, statt immer nur zu sagen, das | |
geht nicht. Vor einem Jahr hätte auch niemand geglaubt, dass in | |
Baden-Württemberg ein Grüner Ministerpräsident wird. Und vor wenigen Jahren | |
hätten die Leute sich totgelacht, wenn jemand erklärt hätte, dass die | |
Grünen mit der CDU eine Landesregierung stellen. All das ist aber passiert. | |
Warum also nicht mal Linkspartei und Grüne zusammendenken? | |
Stefan Liebich als Visionär, auf dass alle Beteiligten seine Idee bis zur | |
nächsten Abgeordnetenhauswahl bedenken können? | |
Es wäre schon gut, wenn darüber in den Parteien mal diskutiert würde. Wenn | |
auf die wirklich schlechte Politik dieses Senats mehr Reaktionen kämen, als | |
immer nur zu sagen, was man falsch findet. Es gibt doch längst inhaltliche | |
Alternativvorschläge. Aber man muss auch den Mut haben zu sagen, wer die | |
umsetzen soll. | |
Und das wäre dann Links-Grün? | |
Womöglich, ja. | |
In neun Monaten wird bekanntlich im Bund gewählt. Sie haben beim letzten | |
Mal den Wahlkreis von Wolfgang Thierse direkt gewonnen. Meinen Sie, Sie | |
schaffen das erneut? | |
Ich werde auf jeden Fall alles dafür tun. Ich möchte den Wahlkreis | |
verteidigen, klar. Aber die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Mir | |
hilft natürlich, dass ich vier Jahre vor Ort Wahlkreisarbeit gemacht habe. | |
Da bin ich selbstbewusst genug zu sagen, dass mir das auch ganz gut gelang. | |
Was mir nicht so hilft, ist die Lage unserer Bundespartei. Zwar haben wir | |
die Grabenkriege eingestellt, aber 2009 hatten wir bundesweit ein | |
phantastisches Ergebnis von zwölf Prozent erzielt. Davon sind wir momentan | |
in den Umfragen weit entfernt. Und das wirkt sich natürlich in den | |
Wahlkreisen aus. Aber ich werde kämpfen. | |
Und was, wenn es nicht klappt? | |
Dann mache ich was anderes. | |
2 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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Flughafeneröffnung | |
Berlin | |
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