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# taz.de -- Wie umgehen mit wilden Tieren?: "Der Wolf ist ein Opportunist"
> Wölfe werden sich in Branden ausbreiten. Einzelne Tiere könnten auch
> durch die Außenbezirke Berlins streifen, sagt Tierexperte Derk Ehlert.
Bild: Es schaut gut aus für den Wolf.
taz: Herr Ehlert, in Brandenburg wird am Donnerstag der Wolfsmanagementplan
des Landes vorgestellt. Was versteht man darunter?
Derk Ehlert: Flächenstaaten wie Brandenburg wissen um den Wolf, der seit
2000 nach über 100 Jahren Pause endlich wieder bei uns in Deutschland ist.
Man will frühzeitig präventiv tätig werden, die Bevölkerung darauf
vorbereiten, wie man mit ihm umgeht. Der Wolf ist ein großes Wildtier, das
sich als Opportunist unter anderem das holt, was er als Beute am
leichtesten bekommt: Nutztiere, also beispielsweise ein Schaf.
Im Vorfeld gab es Streit, etwa über mögliche Entschädigungen. Der Schaden
durch von einem Wolf gerissenes Vieh lässt sich leicht beziffern. Der
Naturschutz lässt sich schwerer bewerten.
Nach dem Gut oder der Sinnhaftigkeit einer Art kann man schwer fragen, weil
sie nicht in geldwerten Vorteilen zu beziffern ist. Das ist eine
Grundsatzfrage. Der Wolf hat im Gesamtökosystem eine Aufgabe, sonst gäbe es
ihn nicht. Wir Menschen haben die Aufgaben aber teilweise übernommen, durch
Jäger den Artenbestand zu pflegen. Das will sich der Wolf nun zurückholen.
Berlin ist davon nur am Rande betroffen. Aber wir können auch nicht
ausschließen, dass er irgendwann auch bei uns auftaucht. Wenn er nachts
hundert Kilometer läuft und Berlin auf seinem Weg liegt, dann streift er
eben auch den Stadtrand.
Von Wildtieren in der Großstadt heißt es, dass sie die Scheu vor Menschen
und Umgebungsgeräuschen ablegen. Der Wolf gilt als sehr scheues Tier. Macht
das seinen Zuzug in die Stadt unwahrscheinlicher?
Eine spannende Frage. Wenn man nach Südosteuropa schaut, gibt es durchaus
Wölfe, die in vorstädtischen Gebieten vorkommen. Natürlich kommen sie dann
auch in Menschennähe. Dass sie in Prenzlauer Berg auftauchen, ist eher
unwahrscheinlich. Aber in Köpenick oder in Spandau kann man das nicht
ausschließen.
Gibt es unabhängig vom Wolf auch in Berlin ein Management für bestimmte
Wildtierarten?
Ja, für fast alle Wildtiere gibt es ein Management. In Berlin stehen
besonders die „Big Five“ im Vordergrund: Wildschweine, Steinmarder,
Wildkaninchen, Waschbären und Füchse.
Ist es für Wildtiere in der Stadt typisch, nachts rauszukommen, um dem
Trubel am Tag zu entgehen?
Grundsätzlich sind viele der Arten, die wir heute als nachtaktiv kennen,
ursprünglich nicht nachtaktiv gewesen. Sie haben sich allerdings in die
Nacht zurückgezogen, weil es sicherer ist, sich zu bewegen. Sie haben dann
mehr Ruhe und müssen uns Menschen nicht so sehr fürchten. Für uns ist es
zwar interessant, ein Wildtier in der Stadt zu sehen. Aber dass ein Fuchs
hier lebt, ist schon normal.
Wie viele Füchse gibt es denn?
Wir haben etwa fünfmal mehr Füchse im Stadtgebiet als auf der gleichen
Fläche im Wald. Sie scheinen sich als Opportunisten besser zurechtzufinden,
bessere Nahrungsbedingungen zu finden als im Wald. Wir schätzen, dass pro
Quadratkilometer ein Fuchspaar lebt. Die Lebensräume und Reviere sind in
der Stadt kleiner, die Nahrungsgrundlagen besser, und die Füchse müssen
weniger laufen.
Der Fuchs ist ein Einzelgänger. Haben die es in der Innenstadt einfacher
als ein Wolfsrudel?
Es ist interessant, dass wir Wölfe immer mit großen Rudeln verbinden. Aber
Wölfe sind auch Einzeltiere. Was wir als beängstigende Rudel mit
Alphatieren im Kopf haben, ist Quatsch. Das gibt es in der Natur nicht.
Diese Vorstellung vom Rudel stammt von Wildgehegen, aus denen kommen
übrigens auch Beißnachweise. Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen
Nachweis, dass jemals Wölfe, die in Freiheit lebten und nicht krank waren,
Menschen angegriffen haben.
Woher kommt dann sein blutrünstiges Image?
Wenn der Wolf vor 150 Jahren das Schaf wegnahm, bedeutete das für uns den
Tod. Heute heißt es, dass wir zu Reichelt, zu Aldi, zu Lidl gehen und ein
neues „Schaf“ kaufen. Also hatte es damals eine andere Wichtigkeit, gegen
die Wölfe vorzugehen. Die Wölfe waren zu jener Zeit auch anfällig für
Tollwut. Dann können Tiere angreifen. Aber auch eine kranke Ameise greift
mich an – und wird deshalb nicht gleich ausgerottet.
Welche Probleme treten beim Zusammenleben von Mensch und Wildtier auf?
Unwissenheit. Menschen melden sich, weil sie denken, ein Fuchs in der Stadt
muss krank sein. Tollwut oder den Fuchsbandwurm haben wir in Berlin aber
seit 20 Jahren nicht mehr nachgewiesen. Viele haben die Vorstellung, dass
Tiere im Wald leben müssen. Der Lebensraum eines Fuchses, eines
Wildschweins, eines Rehs ist nicht mehr unbedingt das, was uns im Lehrbuch
vermittelt wurde. Oft denken die Leute, die Tiere hätten sich verirrt, und
füttern sie. Dann kann ein Tier beißen.
Mit welchen Anliegen melden sich Anrufer beim Wildtiertelefon?
Mit allem, was ihnen nicht passt: der Fuchs, der über den Spielplatz läuft;
das Wildschwein, das nachts den Garten umwühlt. Wir informieren, was man
machen darf – und was nicht.
Beim Wildtiertelefon gehen täglich 40, 50 Anrufe ein. Da gibt es doch
sicher auch skurrile Geschichten.
Jeden Tag. Vor ein paar Tagen saß in der Nähe der Torstraße ein Fuchs an
einer Bushaltestelle, und die Leute hatten Angst, dass er in den Bus
steigt. Das wollte er sicher nicht: Wir haben Januar, der Fuchs ist in
Ranz, also gerade verliebt. Da ist er unaufmerksam. Das ist dort auch
gerade eine heiß umworbene Ecke, da sind sechs Füchse an zwei Fähen dran.
Geben Sie doch abschließend bitte noch einige Tipps zum Überleben im
Großstadtdschungel: Wie verhalte ich mich richtig, wenn ich auf ein
Wildschwein treffe?
Einfach stehen bleiben und abwarten. Es klingt komisch, ist aber ernst
gemeint: Fangen Sie an, laut zu sprechen. Wildschweine sind es gewohnt,
dass wir permanent laut sind. Wildschweine kennen keine leisen Menschen.
Und wenn eines Tages doch ein Wolf in die Innenstadt vordringt?
Es wird fast jede Woche ein Wolf gemeldet. Doch bislang haben sich alle
Fälle ausnahmslos als Hunde erwiesen. Selbst Wolfsforscher haben in ihrem
Leben nur wenige Sekunden lang Wölfe gesehen. Also, wenn Sie einen sehen:
Genießen Sie diese Sekunden bitte.
5 Jan 2013
## AUTOREN
Torsten Landsberg
Torsten Landsberg
## TAGS
Wildschweine
Brandenburg
Tierschutz
Hai
Brandenburg
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