# taz.de -- Film „Brownian Movement“: Obsessives Verlangen nach Lust | |
> Eine verheiratete Frau holt sich in „Brownian Movement“ Befriedigung bei | |
> hässlichen Männern – eine provokante und außergewöhnlich gute | |
> Beziehungsgeschichte. | |
Bild: Charlotte (Sandra Hüller) trifft sich in einem eigens gemieteten Zimmer … | |
Ein Raum, darin ein großes Bett, darüber eine Kaschmirdecke, darauf eine | |
halbnackte Frau: Charlotte, verheiratet und Mutter eines Sohnes, rafft ihr | |
Negligé, um die Decke an ihrem nackten Unterleib zu spüren. Etwas später | |
wird sie in diesem Raum, auf diesem Bett mit einem fremden Mann schlafen, | |
den sie bei der Arbeit – sie ist Ärztin und Forscherin – als Patienten | |
kennengelernt hat. Er ist dick und extrem behaart. Den dunklen, fleischigen | |
Rücken und die schmale, glatte Blondine hat die niederländische Regisseurin | |
Nanouk Leopold wie ein Stillleben inszeniert, wie eine Musterkollektion aus | |
verschiedenen Körpern. | |
In Leopolds 2010 entstandenen Film „Brownian Movement“ geht es um das | |
Erfühlen von Oberflächen und gleichzeitig um das Erraten dessen, was | |
darunter lauert. Leopold gibt nur sparsam Informationen über ihre Heldin | |
preis: Charlottes Mann, der Architekt Max, ist hübsch, dunkel und | |
zurückhaltend, als Dozentin wirkt Charlotte gelöst und humorvoll, als | |
Mutter aufmerksam und zufrieden. | |
Wieso hat sie also dieses Liebesnest angemietet, wieso trifft sie dort | |
einen Patienten nach dem anderen, einer – im landläufigen Sinne – | |
abstoßender als der andere? Nach dem Haarigen kommt ein Glatzenträger mit | |
Pigmentstörungen, danach ein noch Dickerer, dann ein sehr alter, faltiger | |
Mann, den man schwer und rasselnd atmen hört, bevor er sich vor Charlottes | |
geöffnete Beine kniet. | |
## Keine Erklärungen, sondern Konsequenzen | |
Auch als Charlottes Arrangement auffliegt, weil sie einen ihrer Liebhaber | |
zufällig auf der Baustelle ihres Mannes wiedertrifft, zeigt Leopold keine | |
Erklärungen, sondern Konsequenzen: Charlotte bekommt eine | |
Gesprächstherapie, in der sie lächelnd sagt, dass sie sehr gern mit Max | |
schläft und lieber nicht über die Liebhaber reden möchte, und verliert | |
danach – aufgrund des therapeutischen Gutachtens – ihre ärztliche | |
Zulassung. Die Familie ist im dritten Teil des Films nach Indien gezogen, | |
hat Zwillinge bekommen und versucht einen Neuanfang. Doch für Charlottes | |
Mann scheint die Vertrauensbasis irreparabel zerstört zu sein. | |
Neben der bis an die Schmerzgrenze gehenden formalen Strenge ihres Films | |
ist es Leopolds große Stärke, mit Charlotte eine sexuell außergewöhnliche | |
und undurchschaubare Frauenfigur erschaffen zu haben. Faszinierte | |
ZuschauerInnen müssen selbst entscheiden oder verstehen, was die | |
Protagonistin zu ihren anscheinend irrationalen Handlungen treibt: Gibt es | |
eine Fetischisierung des allgemein als hässlich Betrachteten? Kann es | |
Frauen geben, die einem solchen Fetisch anhängen? Geht es um Masochismus? | |
Was kann Charlottes Obsessionen vorangegangen sein, sie ausgelöst haben? | |
## Viele Aussagen stecken in den Räumen | |
Das Drehbuch des Films passt, zumindest was die Dialoge betrifft, auf eine | |
Seite – man sieht der Regisseurin ihre frühere Beschäftigung mit | |
Monumentalkunst und Architektur an, denn viele der Aussagen stecken in den | |
Räumen, die Leopold statisch aufnimmt. Oft stehen die Einstellungen so | |
lange, dass man es gerade noch aushält, und jeden Schnitt begrüßt. | |
So wird das helle, kleine Zimmer, in dem Charlotte ihre Liebhaber trifft, | |
später im Bild des beeindruckend großen Therapieraums zitiert, und noch | |
später in dem modernen indischen Traumhaus, in dem Charlotte in einer Szene | |
mit ihrem Sohn ein musikalisches Zwiegespräch am Klavier klimpert, das | |
keinen Zweifel an ihrer Zuneigung lässt. | |
Der auf der Berlinale 2011 uraufgeführte Film, den 3sat im Rahmen einer | |
Erstausstrahlungsreihe namens „Amour fou“ zeigt, trägt Teile seines Motivs | |
im Titel: „Brown’sche Bewegung“ hat der gleichnamige Wissenschaftler einst | |
die wärmeabhängige zufällige Bewegung von Teilchen in Flüssigkeiten und | |
Gasen genannt. Die Wissenschaftlerin Charlotte lässt vielleicht einfach nur | |
ihre Triebe treiben. | |
„Brownian Movement“: Dienstag, 15. Januar, 22.25 Uhr, 3sat | |
15 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Film | |
Beziehung | |
Sex | |
Fetisch | |
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