# taz.de -- Wohnen: Neubau nur für Reiche | |
> Auch private Investoren sollen mehr günstige Wohnungen bauen, fordert der | |
> Bausenator. In Friedrichshain zeigt sich nun, wie schwierig das ist. | |
Bild: Die Betonmischer werden bald in Friedrichshain anrücken. Fragt sich nur,… | |
Die ältere Dame hat einen Zeitungsausschnitt mitgebracht. Auch private | |
Bauherren, zitiert sie Berlins Bausenator Michael Müller (SPD), sollten | |
künftig bei ihren Projekten ein Drittel bezahlbare Wohnungen bauen. „Ich | |
frage mich“, wendet sich die Dame an Franz Schulz, den Bürgermeister von | |
Friedrichshain-Kreuzberg, „warum ein Bezirk, der von einem grünen | |
Bürgermeister regiert wird, nicht auch dreißig Prozent schafft?“ | |
Es herrscht wieder Wohnungskampf in Friedrichshain. Allerdings geht es | |
nicht um Sanierungen oder besetzte Häuser, sondern um das Thema Neubau. Auf | |
dem Freudenberg-Areal, einem 4,5 Hektar großen Grundstück zwischen | |
Boxhagener Straße und Weserstraße, will die Firma Bauwert 550 Wohnungen | |
errichten. Der Bürgerverein Traveplatz-Ostkreuz macht dagegen mobil. Auf | |
einer Kiezversammlung, bei der am Dienstagabend über zweihundert Anwohner | |
zusammengekommen waren, mussten Franz Schulz und Jürgen Leibfried von der | |
Bauwert Rede und Antwort stehen. | |
Statt einem Drittel sieht das aktuelle Konzept von Bezirk und Bauwert nur 6 | |
Prozent Wohnungen vor, die zu einer Nettokaltmiete von 5,50 Euro pro | |
Quadratmeter vergeben werden sollen. „Der Rest der Wohnungen“, sagt | |
Leibfried, „soll 9 bis 12 Euro pro Quadratmeter Miete kosten.“ Der | |
Kaufpreis für die Eigentumswohnungen beginnt bei 3.000 Euro pro | |
Quadratmeter. Nicht nur für die ältere Dame sind die 6 Prozent „ein | |
Almosen“, sondern auch für Carsten Joost vom Bürgerverein | |
Traveplatz-Ostkreuz. „Viele hier wurden schon verdrängt. Mit einem | |
Luxuswohnprojekt wird der Druck noch größer.“ | |
Das Freudenberg-Areal ist die letzte Brache im südlichen Friedrichshain. | |
Bis zum Umzug nach Adlershof 2011 arbeiteten hier 200 Beschäftigte in der | |
Herstellung von Dichtungen für die Autoindustrie. Nun sind die | |
Fabrikgebäude abgerissen. Auch ein alter Backsteinbau, den der Bezirk | |
erhalten wollte, musste weichen. Die Erde darunter war kontaminiert und | |
wurde abgetragen. | |
Ein erster Entwurf des Büros Beyer-Schubert für die Bebauung wurde bereits | |
2009 vorgestellt. Nach dem Abriss des Backsteinbaus musste er umgeplant | |
werden. Mit der neuen Planung, so die Kritik, würde die Fläche der beiden | |
Stadtplätze, die auf dem Freudenberg-Areal entstehen sollen, um die Hälfte | |
verringert. „Das stimmt nicht“, entgegnete Bauwert-Mann Leibfried am | |
Dienstag. „Einer der ursprünglichen Plätze war als Parkplatz geplant, jetzt | |
sind die Autos weg. Das ist ein Zugewinn von öffentlichem Raum.“ | |
Mehr Grün, mehr Spielplätze, mehr Kitaplätze, mehr günstige Wohnungen: Seit | |
dem Freudenberg-Umzug nach Adlershof ist die sandige Brache zum | |
Friedrichshainer Wünsch-dir-was geworden. Eines aber wollen die meisten im | |
Kiez nicht: teure Wohnungen, die die Preisspirale in den Altbauquartieren | |
der Umgebung weiter nach oben treiben. Was tun? | |
Bürgermeister Schulz setzt auf Gespräche mit dem Investor. Optimistisch ist | |
er aber nicht. „Wir könnten den Anteil der günstigen Wohnungen noch | |
geringfügig erhöhen“, sagt er. „Dann würde die Bauwert im Gegenzug aber | |
mehr Eigentumswohnungen bauen wollen.“ Das will der Bezirk nicht. Schulz | |
ist schon froh, dass die Bauwert ein Grundstück für den Bau einer Kita zur | |
Verfügung gestellt hat. Deshalb will er das Paket nun nicht mehr | |
aufschnüren. | |
Der älteren Dame, die ihn angegriffen hat, sagt Schulz: „Natürlich können | |
Sie ein Drittel bezahlbare Wohnungen fordern. Aber ohne ein neues | |
Förderprogramm ist das nicht realistisch.“ Das ist auch eine Erwiderung auf | |
die Forderung des Bausenators. „Hamburg verlangt von den Investoren dieses | |
Drittel Sozialwohnungen“, sagt Schulz. „Hamburg fördert das aber auch mit | |
zinsverbilligten Krediten an die privaten Bauherren.“ | |
Der neue Wohnungskampf in Friedrichshain ist auch ein Kampf um die Frage | |
geworden: Wer kann am meisten und am günstigsten bauen? Dass gebaut werden | |
muss, betonen inzwischen alle Parteien, auch die Grünen. 6.000 zusätzliche | |
Bewohner Menschen hat Friedrichshain-Kreuzberg 2011 bekommen. Nach Pankow | |
ist das der größte Wanderungsgewinn. Doch neue Wohnungen bauen vor allem | |
die Privaten. Die sechs landeseigenen Gesellschaften, die Bausenator Müller | |
in die Pflicht nehmen will, lassen sich Zeit. Und nicht selten wehren sich | |
Anwohner dagegen, wenn Degewo und Co. in ihrer Nachbarschaft „verdichten“ | |
wollen. | |
Der Bürgerverein Traveplatz-Ostkreuz setzt auf Dialog. Und auf ein | |
sogenanntes Werkstattverfahren. „Damit wollen wir verhindern, dass der | |
Bezirk und der Investor Fakten schaffen“, sagt Carsten Joost, der eine neue | |
Planung für das Gelände fordert. | |
Ein Ergebnis hat dieser Dialog schon gebracht. Dass die 40 günstigen | |
Wohnungen alle in einem Gebäude realisiert werden sollen, haben einige | |
Anwohner als „Gettoisierung“ kritisiert. Franz Schulz dagegen verriet, dass | |
diese Konzentration eine Forderung des Bezirks war. „Nur wenn zu diesem | |
Mietpreis auch kleine Wohnungen gebaut werden, kriegen wir | |
Hartz-IV-Empfänger unter.“ Große Wohnungen, die sonst geplant werden, | |
würden über die Bemessungsgrenze des Jobcenters fallen. | |
23 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Bebauung | |
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