Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ilse Aigner: Die Nachfolgerin
> Die CSU-Politikerin Ilse Aigner treibt die Pflicht an, jemanden beerben
> zu müssen. Einst ihren Vater und heute Horst Seehofer.
Bild: „Über den roten Teppich zu stöckeln, also mir macht das unglaublich S…
Auf dem Weg zum Bahnhof bin ich dabei, meine Gesprächseindrücke zu
sortieren, als das Handy klingelt. „Er ist mir wieder eingefallen“, sagt
Ilse Aigner mit einem Lachen in der Stimme: ihr Lieblingswitz, nach dem ich
am Schluss des Interviews gefragt hatte.
Also: Ein Mann befreit aus Zufall einen lange eingeschlossenen
Flaschengeist, der ihm, glücklich über die wiedergewonnene Freiheit, die
Verwirklichung eines Wunsches gewährt. „Ich hätte gerne eine Brücke von
hier nach Amerika, damit ich nicht immer fliegen muss.“ Schwierig, sagt der
Geist: Irre Entfernung, komplizierte technische Probleme; ob er nicht einen
anderen Wunsch hätte. „Ja, ich möchte die Frauen verstehen.“ Darauf der
Geist: „Wie viele Spuren soll die Brücke haben?“
Ein klassischer analytischer Schluss wäre, dass sie mir damit eine Nase
dreht: „Ätsch, mich kannst du eh nicht verstehen, auch wenn du noch so
geschickt fragst.“ Aber das wäre weniger als die halbe Wahrheit: Die
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner ist keine „Ätsch-Type“. So handfest
sie erscheint und sosehr ich ihr in Konfliktsituationen durchaus robustes
Vorgehen zutraue: Schadenfreude und Hinterfotzigkeit passen nicht in mein
Bild von ihrem Verhaltensrepertoire.
Wohl aber, wie sie selbst eingesteht, ein überaus gutes Gedächtnis für
Kränkungen. Als ich das alte Bild vom rachsüchtigen Elefanten bemühe, dem
man vor Jahren eine Erdnuss weggenommen hat, bricht sie in helles Gelächter
aus: Erdnüsse sind ihre Droge. In ihrem Wagen liegt immer eine Reservetüte
bereit. Wobei helles Gelächter nur als Metapher stimmt: Ihre Tonlage, ob
sie redet, lacht, schmeichelt oder schimpft, ist Alt, nicht Sopran. Sie
passt zur ungebrochen bayerischen Dialektfärbung.
## Eine Aura von Ruhe
Mein erster Eindruck ist ein Paradox. Mitten im umtriebig lauten Münchener
Schickimicki-Café verbreitet Aigner in Windeseile eine Aura von Ruhe,
beinahe Gemütlichkeit: Tatsächlich, ein Stück Oberbayern inmitten des
urbanen Treibens. Es ist noch paradoxer, als es klingt, denn die Zeit ist
knapp, der Flieger nach Brüssel wartet auch auf die Ministerin nicht. Der
affektive Auftritt von Aigner beschert das Gefühl, alles ist okay, alles
händelbar – besonders gut, wenn es zügig geht.
Wir kommen schnell in Kontakt, sie hat erkennbar Lust am Reden und
Erzählen, ich am Zuhören. So sehr, dass ich eine Zeit brauche, um das
andere Gefühl zuzulassen, das sich untergründig eingestellt hat. Das Gefühl
ist: Ich höre jemandem zu, der mit sich ringt. Mitten im munteren Parlieren
vernehme ich einen Unterton, der nicht ins blumige Bild des großen Okay
passt, mit dem mich Frau Aigner so gekonnt konfrontiert.
Für einen Moment verliere ich den Faden. Das Musische, so erklärt sie mir
gerade, sei ihre Sache nicht, dafür „alles, was technisch ist“. Das
Musische, das sei das Feld ihrer Mutter, der guten Klavierspielerin und
Tochter eines Dirigenten; zwei ihrer Schwestern hätten es geerbt. Ilse ist
die Jüngste, die vierte Tochter eines konservativ bayerisch-katholischen
Elternpaares.
## Sie übernimmt die Rolle des Sohns
CSU, keine Frage. Unwillkürlich stelle ich mir den Vater vor, der als Chef
eines mittelständischen Betriebs der Elektrobranche sich unter den Kindern
wohl insgeheim einen Sohn als Nachfolger gewünscht haben dürfte. Als junges
Mädchen beschließt sie, diese Rolle zu übernehmen. Die intelligente
Vorzugsschülerin verzichtet darauf, das Abitur zu machen, und beginnt nach
der mittleren Reife eine Lehre, die sie zur Nachfolge im väterlichen
Geschäft qualifiziert.
In dieser Zeit wird sie schwer krank. Mit 16, 17 Jahren durchlebt sie einen
Albtraum: zwei Jahre lang unsägliche Schmerzen, Krankenhausaufenthalte,
ungeklärte Krankheitsursache, unklar, ob sie, die begabte Sportlerin und
oberbayerische Vizemeisterin im Rennradfahren, jemals wieder normal wird
gehen können – und schließlich eine riskante Operation an einem
Rückenmarkstumor.
Sie magert, 1,82 groß, auf 49 Kilo ab. Eine massive Lebenskrise. „Es hat
mich sehr geprägt“, sagt sie – und ich meine in diesem Augenblick „das
Andere“, das Ringen in ihrem Gesicht besser zu verstehen. Aufgrund dieser
Erfahrung sei sie viel gelassener als andere Menschen.
## „Das alles hat doch mit Politik nix zu tun“
Es liegt nahe, die Koinzidenz der gravierenden Entscheidung, in die
Fußstapfen des Vaters zu treten, mit der rätselhaften Krankheit in
Zusammenhang zu bringen. Auch Ilse Aigner erkennt ja durchaus an, dass
diese traumatische Zeit eine biografische Weichenstellung bedeutet. Ohne
den Plan der Betriebsübernahme hätte sie Mathematik und Physik studiert. Es
wäre ein völlig anderes Leben geworden. Aber, sagt sie plötzlich, als
wollte sie das gerade Gesagte aus unserem Gespräch verbannen und es wieder
auf den richtigen Kurs bringen, „das alles hat doch mit Politik nix zu
tun“.
Meinen Widerspruch nimmt sie dunkel lächelnd. In ihrer Familie hätten sich
alle, auch die Schwestern, sozial und politisch engagiert. Und warum sie
dann der Politstar wurde? Die kleine Falte über der Nasenwurzel wird
schnell durch ein neues Lächeln geglättet. Erstens hätten die anderen
geheiratet und zweitens habe sie den Mut gehabt, für den Gemeinderat zu
kandidieren.
Mit 25. Als Nachfolgerin des Vaters, der das politische Amt aufgab. Mit 27
beschließt sie, Bürgermeisterin ihrer Gemeinde zu werden – und verpasst die
parteiinterne Kandidatur nur knapp. Die Gründe ihrer Niederlage tun noch
heute weh: „Ungeklärte Familienverhältnisse“ war das Stichwort, sprich: S…
war nicht verheiratet.
## Die Heimat: persönliches Gravitationszentrum
Natürlich kann ich mir einen kleinen Seitenhieb auf Oberbayern und die CSU
nicht verkneifen, aber auch das wird energisch weggelächelt: Tempi passati,
die Partei sei mittlerweile sehr frauenfreundlich. Und ihr persönliches
emotionales Gravitationszentrum sei unverrückbar die Heimat. „Ich bin in
dem Ort, in dem ich wohne, geboren, getauft, gefirmt, zur Schule gegangen.“
Alle ihre wirklichen Freunde stammten daher: die Vertrauten der frühen
Jahre, die sie nicht als Politikerin taxieren, sondern „als Mensch
schätzen“. So gesehen, habe sie „ihren Ursprung nie verlassen“. Sie lach…
Trotzdem werde sie Berlin vermissen, wenn sie demnächst das Ministeramt
aufgeben und zurück nach Bayern gehen wird. „Das Leben in zwei Welten hat
schon seinen totalen Reiz.“ Es ist schön, mit alten Freunden in den Bergen
zu wandern, aber auch „mit Kofi Annan ein Schwätzchen zu halten“.
Sie weiß die Glamourseite ihres Jobs zu schätzen: „Über den roten Teppich
zu stöckeln, also mir macht das unglaublich Spaß.“ Es klingt wie ihr
Lebensmotto, wenn sie sagt: „Nicht in eine Schublade passen – das ist das
Wichtigste.“
## DJane im Dirndl?
Ilse Aigner ist eine Frau mit sehr unterschiedlichen Seiten. Ihre Liebe,
Gegensätze zusammenzubringen, macht sie so schillernd wie ungreifbar. Was
ist sie wirklich, frage ich mich – und was möchte sie sein? Was ist ihr
Selbstentwurf? Die weibliche Version von Laptop und Lederhose: DJane im
Dirndl? Eine Spagatkünstlerin zwischen unterschiedlichen Welten?
Von ihrer Lebensgeschichte her betrachtet, ist Aigner vor allem eines: die
geborene Nachfolgerin. Im Ministeramt hat sie Horst Seehofer – wie vorher
den Vater – beerbt. Bald wird sie ihm wohl als Ministerpräsidentin in
Bayern nachfolgen. Und, das wird, je länger sie redet, immer fühlbarer: es
ist keineswegs nur Triumph, sondern etwas Auferlegtes, Belastendes – an der
Grenze der Unfreiwilligkeit.
In der Pflicht zur Nachfolge steckt ihr gut verborgener depressiver Anteil.
Als das Ministerangebot kam, sei sie auf den Berg gegangen – und habe
Atemnot bekommen. Wieder spüre ich etwas von ihrer „anderen Seite“, vom
Ringen um einen Lebensentwurf, der doch auf den ersten Blick so klar und
schnittig scheint.
Ich verstehe besser, warum ihr Bild in der Öffentlichkeit so gespalten ist:
Die einen sehen den schönen heimatverbundenen Traditionalismus. Die anderen
verbinden, speziell seit sie als mögliche Ministerpräsidentin gehandelt
wird, mit diesem Machtwechsel zu einer für altbayerische Verhältnisse
„ungewöhnlich“ lebenden Frau die Hoffnung auf Erneuerung.
## Nachfolge und Erneuerung
Es ist, je länger man hinschaut, ein komplexes, ja, ein widersprüchliches
Bild. Nachfolge und Erneuerung: Wo liegen die Loyalitäten, wie kommen die
beiden Seiten zusammen?
Ilse Aigner vertraut dabei, so scheint es mir, auf ihren „Ingenieursgeist“:
Irgendwie kann man schließlich alles zusammenschrauben. Und was partout
nicht passen will, lässt sich mit ihrem Charme wenigstens gut verpacken.
Dabei liegt ihr eigentliches Potenzial in dem abgewehrten, eher
depressiven, nachdenklichen Bereich. Vielleicht liegt ja die Pointe ihres
Lieblingswitzes bei ihr selbst: Im Zweifel würde sie lieber darangehen, die
unmögliche Brücke zu bauen, als die Tiefen, ja die Abgründe einer – ihrer …
Frauenseele zu verstehen. Aber vielleicht ist die Brücke ja nur ein Umweg.
27 Jan 2013
## AUTOREN
Christian Schneider
## TAGS
Ilse Aigner
Ministerin
Landwirtschaft
Verbraucherschutz
CSU
Portrait
CSU
Landwirtschaft
CSU
Ilse Aigner
Zoophilie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Eine Ministerpräsidentin für Bayern: Ilse, die Tiefwurzlerin
Ilse Aigner will Horst Seehofers Thronfolgerin in Bayern werden –
irgendwann nach der Landtagswahl. Doch es gibt Konkurrenz.
Aigner torpediert EU-Agrarpolitik: Subventionen ja, Bäume nein
Die EU-Kommission will mehr Hecken oder Tümpel auf den Bauernhöfen. Doch
die deutsche Agrarministerin versucht, den Vorschlag abzuschießen.
Peter Gauweiler über CSU-Chef Seehofer: „Der scheißt sich um wenig“
In Wildbad Kreuth geht es um das „Zammrucka“ der CSU, sagt Peter Gauweiler.
Die Stimmung sei gut und Horst Seehofer ein erfolgreicher Parteichef.
Ilse Aigner: Die Aufsteigerin
Die Verbraucherschutzministerin erhält den „Dinosaurier des Jahres“. In
Bayern aber scheinen ihr alle Türen offen zu stehen – bis hinauf zur
Vorsitzenden der CSU.
Kommentar Tierschutzgesetz: Aigners Ablenkungsmanöver
Das Sex-Verbot mit Tieren ist nur Symbolpolitik. Dafür knickt die
Landwirtschaftsministerin bei der Agrarlobby ein. In der Tierproduktion
darf die Quälerei weitergehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.