# taz.de -- Ski-Abfahrtstrecke „Streif“: The Risky Horror Picture Show | |
> 85 Prozent Gefälle, 70-Meter-Sprünge: Die legendäre Abfahrtspiste von | |
> Kitzbühel fasziniert gerade wegen der vielen kapitalen Stürze. | |
Bild: Auf so Fotos kann man ja gar nicht erkennen, WIE steil diese Piste ist. | |
Das Hahnenkammrennen auf der Streif in Kitzbühel ist wohl die | |
spektakulärste Abfahrt im alpinen Wintersportzirkus. Es gehört zu den | |
technisch schwierigsten und gefährlichsten Rennen im Weltcup. Der Schweizer | |
Didier Cuche, der fünfmal in Kitzbühel gewann und 2012 seine Karriere | |
beendete, sagte vor zwei Jahren: „Nahezu jedes Jahr gab es einen schweren | |
Sturz. Da muss jeder seine harte Schale auspacken und die Erinnerung | |
beiseiteschieben.“ Wenn man weiche Knie habe, sei es kaum sinnvoll, in | |
Kitzbühel an den Start zu gehen. | |
Von 0 auf 100 Sachen beschleunigen die Abfahrer in fünf Sekunden, | |
überwinden 85 Prozent Gefälle in der steilen „Mausefalle“-Passage, spring… | |
teilweise über 70 Meter weit und rasen mit fast 150 km/h über den Zielhang. | |
Wenn alles gut geht, brauchen die besten Abfahrer für die 3.300 Meter nicht | |
mal 2 Minuten. Alljährlich pilgern Zigtausende zu diesem Ereignis, | |
Millionen verfolgen das grenzwertige Spektakel im Fernsehen. | |
„In Kitz ist Schluss mit lustig“, sagt der Österreicher Romed Baumann. | |
„Kein Rennläufer scherzt vor dem Start. Mir geht immer alles durch den | |
Kopf, auch die Bilder von den wilden Stürzen der Vergangenheit.“ Respekt | |
vor der künstlich vereisten Piste sei überlebenswichtig, Angst aber kein | |
Faktor, um auf die vorderen Plätze zu fahren. | |
Österreichs derzeit bester Abfahrer, Klaus Kröll, hatte beim ersten | |
Trainingslauf am Dienstag getobt wegen der schlechten Sichtverhältnisse. | |
Nach dem Sprung über die berüchtigte Hausbergkante brach Kröll den Lauf ab: | |
„Ich habe nichts mehr gesehen und nicht gewusst, wo ich lande.“ | |
## Mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus | |
Für diesen gefährlichen Blindflug-Trainingslauf hatte sich Renndirektor und | |
Juryvorsitzender Günter Hujara später entschuldigt. Für den mit 34 Jahren | |
erfahrenen Slowenen Andrej Jerman (Bormio-Sieger 2010) kam das indes zu | |
spät. Nach seinem Sturz rappelte er sich wieder auf, brach aber kurz darauf | |
zusammen. Per Helikopter wurde er ins Krankenhaus gebracht, wo man eine | |
Gehirnerschütterung feststellte. | |
Die Liste der Abfahrer, die trotz vielfältigster sicherheitstechnischer | |
Verbesserungen auch in Kitzbühel selbst in den letzten Jahren schwer | |
verunglückten, ist lang. Der deutsche Klaus Gattermann stürzte 1985 an der | |
„Hausbergkante“, er erlitt Wirbelverletzungen, eine Gehirnerschütterung und | |
einen Nasenbeinbruch. 1999 erwischte es den Österreicher Patrick Ortlieb, | |
Olympiasieger von 1992, an der gleichen Stelle. Die Diagnose danach: | |
Trümmerbruch des rechten Oberschenkels, Knochenabsplitterungen in der | |
Hüfte, Seitenbandriss, Lungenquetschung. | |
Vielen dürfte der Horrorsturz des Amerikaners Scott Macartney 2008 in | |
Erinnerung geblieben sein, der an seinem 30. Geburtstag im Zielsprung | |
ausgehoben wurde, unkontrolliert durch die Luft flog und auf den Rücken | |
krachte. Bewusstlos rutschte er über die Ziellinie. | |
2009 hob es den Schweizer Kombinationsweltmeister Daniel Albrecht beim | |
Abschlusstraining an gleicher Stelle aus. Mit schweren Kopf- und | |
Lungenverletzungen wurde Albrecht mit dem Hubschrauber in die Klinik nach | |
St. Johann geflogen. Dreieinhalb Wochen lag er im künstlichen Koma. | |
Fis-Renndirektor Hujara sagte damals: „Wenn einem Läufer so etwas passiert, | |
dann können wir nichts machen. Wenn wir so etwas verhindern wollen, darf es | |
keine Abfahrten mehr geben.“ | |
## Sekundenbruchteile können entscheiden | |
Jeder kleinste Fahrfehler kann auf der Streif schlimme Folgen haben. Wenn | |
die Fliehkräfte zu groß werden und der Körperschwerpunkt über den Skiern | |
nicht passt, nützen auch die stark verbesserten | |
Sicherheits-Dreifachfangzäune und Schutzmatten nur bedingt etwas. In | |
Sekundenbruchteilen müssen die Athleten reagieren, die Kompressionen | |
abfangen, Bodenwellen ausgleichen, Eisplatten meistern. Gerade kurz vor dem | |
Ziel, wo die meisten Fahrer völlig ausgepumpt sind, müssen sie ihre letzten | |
Reserven mobilisieren, um den finalen Sprung zu drücken und nach der | |
Ziellinie sofort den Bremsvorgang einzuleiten. | |
Der Österreicher Hans Grugger stürzte 2011 auf der Streif im Training | |
schwer, er verdrehte bei einem Sprung in der extrem steilen „Mausefalle“ | |
den Körper und schlug rücklings auf die Eispiste, wo er bewusstlos liegen | |
blieb. Bei solch immenser Aufprallenergie kann auch ein Rückenprotektor, | |
den die Abfahrer unter dem Rennanzug tragen, seine beabsichtigte | |
Schutzfunktion kaum noch erfüllen. | |
Grugger wurde durch eine mehrstündige Notoperation gerettet. Die seelischen | |
Verletzungen bleiben. „Nach einem so schweren Schädel-Hirn-Trauma ist man | |
nie der, der man vorher war“, sagte der Neurologe Leopold Saltuari; er | |
hatte Grugger behandelt. Gruggers Bein war infolge neurologischer Störungen | |
wochenlang wie gelähmt. Im April 2012 musste Grugger wegen der | |
Nachwirkungen des Sturzes seinen Rücktritt erklären. | |
Viele der Abfahrer, die so schwer verunglückten, schaffen es mental nicht | |
mehr, an frühere Leistungen anzuknüpfen. Dieser Tage kehrte Grugger zum | |
ersten Mal an den Ort des tragischen Geschehens zurück, wo er gemeinsam mit | |
seiner Lebensgefährtin per Ski die Streif langsam herunterfuhr. Dies sei | |
ein weiterer Schritt zur Verarbeitung des Unfalls, meinte Grugger. | |
Im Hahnenkammrennen 2011 brach sich der Südtiroler Siegmar Klotz nach einem | |
Sturz das Handgelenk, erlitt eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen. Das | |
Fernsehen liefert nur Sekunden später die Zeitlupenwiederholung. | |
Die tobende Masse und auch die in Pelzmäntel und teure Skijacken gehüllte | |
Bussi-Bussi- und Adabei-Gesellschaft im Ziel von Kitzbühel – darunter | |
Arnold Schwarzenegger, Franz Beckenbauer, Niki Lauda und Bernie Ecclestone, | |
deutsche Topmanager wie Martin Winterkorn und Wolfgang Reitzle –, geben | |
sich nach einem Sturz kurz betroffen. Sobald der Verletzte abtransportiert | |
ist, geht die Ski-Show mit Aperol Spritz und satten Bässen aber munter | |
weiter. | |
26 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Purschke | |
## TAGS | |
Ski Alpin | |
Bernie Ecclestone | |
Österreich | |
Schladming | |
Ski Alpin | |
Ski Alpin | |
Ski Alpin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anklage gegen Formel-1-Chef: Ecclestone muss vor Gericht | |
Er herrscht über den Rennzirkus wie niemand vor ihm. Aber brach Bernie | |
Ecclestone auch das Gesetz, um ihn nach seinem Gutdünken zu gestalten? | |
Alpinbusiness in Österreich: Das Wintermärchengeschäft | |
Peter Schröcksnadel ist Boss des österreichischen Skiverbands. Den hat er | |
zu einem rentablen Monopolunternehmen geformt. | |
Ski-WM der Geschäfte: Das Silber der Alpen | |
In Schladming herrscht geschäftiges Treiben. Fragen nach den Kosten des | |
alpinen Events gehen im patriotischen Taumel unter. | |
Tiroler Fotograf über die Alpine Ski-WM: „Die Herrschaft der Mittelmäßigke… | |
Fotograf Lois Hechenblaikner über die Verunstaltung der Berge, „alpine | |
Metastasen“ im WM-Ort Schladming und Anfeindungen von seinen Landsleuten. | |
Ski-Alpin-Fahrerin Lindsay Vonn: Gefangen in der Show | |
Die Rückkehr von Lindsey Vonn ist das große Thema an diesem Wochenende. | |
Nach durchwachsenen Ergebnissen wird gerätselt, wie es ihr wirklich geht. | |
Saisonauftakt Ski Alpin: Bisschen mau | |
Beim Weltcup macht Maria Höfl-Riesch vor allem durch ihr Outfit von sich | |
reden – und ihre Konkurrentin Lindsay Vonn, weil sie mit Männern Schuss | |
fahren will. |