# taz.de -- Feministin zum Anti-Homo-Ehe-Protest: "Adoption für alle" | |
> Die Proteste in Frankreich sind nicht nur reaktionär, sie haben auch | |
> bedenkenswerte Elemente, sagt die feministische Romanistin Barbara | |
> Vinken. | |
Bild: „Der Zeugungsakt hängt an der sexuellen Differenz“ | |
taz: Frau Vinken, in Frankreich protestieren Hunderttausende gegen die | |
Einführung der Homo-Ehe. Verläuft hier eine zentrale Frontlinie zwischen | |
Konservativen und Liberalen? | |
Barbara Vinken: Bei den französischen Protesten gegen die „Ehe für alle“ | |
stehen nicht Liberale gegen Konservative. Es handelt sich eher um eine | |
Regenbogenkoalition. Die Trennlinie verläuft durch alle Lager: liberal – | |
konservativ, heterosexuell – homosexuell, jung – alt, säkular – religiö… | |
Ausnahmsweise sind sich die Religionen von den Juden über die Katholiken | |
bis zu den Muslimen in der Ablehnung der Homosexuellenehe einig. | |
Wie erklärt sich die bunte Mischung? | |
Es ist für die französische Debatte zentral – und das wird in den Medien | |
völlig übersehen –, dass in Frankreich die Ehe nicht so privilegiert ist | |
wie etwa in Deutschland. In Frankreich nimmt das Heiraten massiv ab, | |
wohingegen das „Pacsieren“ zunimmt. Immer mehr Leute, schließen sich in | |
einem sogenannten zivilen Solidaritätspakt zusammen. | |
Welche Rechte verschafft der „Pacs“? | |
Die nicht besonders weitreichenden Rechte der „concubinage“ sind durch den | |
Pacs ersetzt worden, der von homosexuellen und heterosexuellen Paaren | |
geschlossen wird. Die Steuerrechte sind zwischen Ehe und Pacs gleich, mit | |
der Witwenrente gibt es noch Probleme, die Erbrechte sind in der Ehe | |
weitgehender. Aber das kann ein „pacsiertes“ Paar durch ein Testament | |
regeln. Es geht also bei den Demonstrationen nicht um Diskriminierung | |
Homosexueller, wie sie gerade wieder in Russland auflebt. | |
Wenn Eheprivilegien nicht das Thema sind, warum gehen dann Hunderttausende | |
gegen das Gesetzesvorhaben von Hollande, die „Ehe für alle“ einzuführen, | |
auf die Straße? | |
Es geht um das Recht auf Adoption und das Recht auf medizinisch unterstütze | |
Fortpflanzung in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Der Streit | |
dreht sich nicht um die Legalisierung einer gleichgeschlechtlichen | |
Partnerschaft; dieser Schritt ist längst getan. Natürlich gibt es | |
Homophobe. Aber die sind nicht interessant. Interessant und, wie mir | |
scheint, bedenkenswert ist die Kritik, die sich auf die Kinderfrage | |
bezieht. | |
Den Slogan vieler Protestierenden, „Hoden haben keine Eizelle“, finden Sie | |
demnach gut? | |
Ich würde es so nicht formulieren. Aber am Ende: ja. Ein Kind wird von | |
einem Mann gezeugt, von einer Frau empfangen und geboren. Ich glaube nicht, | |
dass es so etwas wie ein Recht auf ein Kind gibt: Es ist gezeugt, nicht | |
geschaffen. Es ist ein Ereignis, dass einem zustößt; man beherrscht es | |
nicht, man erliegt ihm. Das anzunehmen, hat auch mit Demut zu tun. | |
Menschliches Leben entsteht nur, wenn ich jemanden begehre, der radikal | |
anders ist als ich. So muss der vielleicht Gravierendste aller | |
Unterschiede, die geschlechtliche Differenz als Mangel, als | |
Unvollständigkeit und eben nicht als spiegelbildliche narzisstische | |
Ergänzung ertragen und hingenommen werden, damit es Leben geben kann. | |
Eine recht biologistischer Ansatz. Dann dürften wir auch keine Organe | |
transplantieren, weil jeder massive medizinische Eingriff gegen die | |
biologische Ordnung verstößt. | |
Leben zeugen und Leben erhalten sind zwei verschiedene Dinge. Obwohl ich | |
mir sehnlichst wünsche, meinen Tod sterben zu dürfen und der Tortur der | |
künstlichen Lebenserhaltung zu entgehen. Auch auf medizinische | |
Unterstützung zurückzugreifen, wenn es für ein Paar im Prinzip möglich | |
wäre, ein Kind zu bekommen, ist etwas anderes, als in einer biologistischen | |
Übersprungshandlung als homosexuelles Paar Vater und Mutter sein zu wollen. | |
Der Kinderwunsch von Homosexuellen ist anmaßend? | |
Man muss, denke ich, zwischen dem Kinderkriegen und dem Kindererziehen | |
unterscheiden. Natürlich sollen homosexuelle Paare genau wie Alleinstehende | |
Kinder erziehen können. Ich bin für eine Adoptionsmöglichkeit für alle, die | |
in Liebe Kinder großziehen wollen und können. Das Adoptionsrecht und mehr | |
noch die Adoptionspraxis sollten reformiert werden. Dass heterosexuelle | |
Paare im zeugungsfähigen Alter bei der Adoption von Kindern bevorzugt | |
werden und so die biologische Konstellation nachgestellt wird, ist genauso | |
eine biologistische Übersprungshandlung wie der Wunsch eines homosexuellen | |
Paars, Kinder zu bekommen. | |
Adoption ist aber nicht das Thema bei den Protesten, sondern die Ehe. | |
Ja, aber eben die Institution Ehe, die man in der Absicht eingeht, eine | |
Familie zu gründen, Kinder zu zeugen. Das gehört in Frankreich noch | |
zusammen, in Deutschland ja schon lange nicht mehr. Die Ehe ist die | |
Institution, die übrigens gerade nicht biologisch Natur in Kultur | |
überführt. Ganz egal nämlich, wer der biologische Vater ist, sind die | |
Kinder, die eine Frau in der Ehe gebiert, die Kinder ihres Ehemanns und | |
treten automatisch in diese Rechte ein. Die Ehe überführt Natur in Kultur: | |
Inzestverbot etc. Wenn es eine solche Natur nun gar nicht gibt – wie im | |
Falle eines homosexuellen Paars – ist diese Institution schlicht | |
überflüssig. | |
Sie selbst sind aber verheiratet, also im Besitz der damit verbundenen | |
Privilegien. | |
Ich persönlich nehme keine Eheprivilegien, wie Steuererleichterung etc. in | |
Anspruch. Aber: Die Ehe ist heute fast bis zur Bedeutungslosigkeit | |
ausgehöhlt. Die Frau kann ihren Namen behalten und diesen auch an ihre | |
Kinder weitergeben. Man kann sich jederzeit scheiden lassen, es gibt | |
biologische Vaterschaftstest etc. Mir ist diese Sehnsucht nach der Ehe, der | |
Kampf für das Recht auf Heirat, für die sich im Moment nur noch die | |
Homosexuellen zu interessieren scheinen, unerklärlich. Ich verstehe dieses | |
Begehren nach einer Mimikry an die heile Kleinfamilie, Vater, Mutter, Kind, | |
nicht. Ich wäre dafür, die mit der Ehe noch verbundenen Privilegien wie | |
Steuererleichterungen abzuschaffen und einfach ein Haushaltssplitting | |
einzuführen. Man sollte die Adoption für alle einführen, aber gleichzeitig | |
akzeptieren, dass in dieser unvollkommenen Welt der Zeugungsakt an der | |
sexuellen Differenz hängt. | |
27 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Homo-Ehe | |
Adoptionsrecht | |
Homo-Ehe | |
Adoptionsrecht | |
Frankreich | |
Frankreich | |
Frankreich | |
Homo-Ehe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Homo-Ehe in Großbritannien: Ohrfeige für den Premier | |
In Großbritannien sollen Homosexuelle den Bund der Ehe eingehen dürfen – | |
auch mit kirchlichem Segen. Ein Schlag ins Gesicht für die konservativen | |
Tories. | |
Homo-Ehe in Frankreich: Mit großer Mehrheit | |
Wichtiger Teil des Gesetzes zur Homo-Ehe in Frankreich gebilligt: Die | |
Nationalversammlung in Paris verabschiedet den Paragraf 1. | |
Franzosen demonstrieren für Homo-Ehe: „Jesus hatte auch zwei Papas“ | |
Mehrere tausend Franzosen gingen in Lyon und Montpellier auf die Straße, um | |
die geplante Einführung der Homo-Ehe zu unterstützen. Am Sonntag ist eine | |
Großkundgebung in Paris geplant. | |
Gegen die Homoehe in Frankreich: „Frigide Barjot“ - rechte Galionsfigur | |
Mit schrillem Auftreten sorgt Virginie Merle für den telegenen Glamour der | |
erzkonservativen Bewegung gegen die Homo-Ehe. Zuvor war sie als | |
Klatschtante unterwegs. | |
Demos in Frankreich gegen Homoehe: Der Kulturkampf eskaliert | |
Gegner der Homoehe wollen erneut in Paris demonstrieren. Längst geht es | |
beiden Seiten um mehr als das Recht auf die Ehe für alle. | |
Streitthema Homo-Ehe bei der CDU: Merkel stellt sich quer | |
Die Gleichstellung der Homo-Ehe sorgt weiterhin für Zündstoff beim | |
CDU-Parteitag. Angela Merkel äußerte sich bisher verhalten zu dem Thema. |