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# taz.de -- Urvater der Reportage: „Ach Gott, die Regierung“
> Bauernsohn und einer der Urväter der Reportage: Johann Gottfried Seume
> wurde vor 250 Jahren geboren. Ein Auszug aus „Der Spaziergang nach
> Syrakus im Jahre 1802“.
Bild: „Die Stadt muß aber bei dem allen prächtig genug gewesen sein.“ Joh…
SALERNO/POMPEIJ | Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit, zwei sehr
ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen.
Ich wurde einige Meilen von Salerno an der Straße angehalten, und ein
Offizier nicht der besten Physiognomie setzte sich gerade zu mir in die
Karriole, ohne eine Silbe Apologie über ein solches Betragen zu machen, und
wir fuhren weiter.
Ich hörte, daß mein Fuhrmann vorher entschuldigend sagte: „E un signore
inglese“. Das half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er
Posten gefaßt hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen Rede
abgewinnen. Seine Grobheit hatte mich aber so verblüfft, daß ich keine
Silbe vorbrachte.
Vor der Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das
ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen Militärs hier und
da gegen die so genannten Philister, die doch auch zuweilen systematisch
ungezogen genug ist.
Als ich gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein zweiter
an: „Sie sind ein Engländer?“ – „Nein.“ – „Aber ein Russe?“ �…
„Doch ein Pole?“ – „Auch nicht.“ – „Was sind Sie denn für ein La…
„Ich bin ein Deutscher.“ – „Tut nichts. Sie sind ein Fremder und erlaub…
mir, daß ich Sie etwas begleite.“ – „Sehr gerne, es wird mir angenehm
sein.“ Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich, ob ich in
ein Kaffeehaus gehen wollte. „Wenn man dort Eis hat“, war meine Antwort.
Das war zu haben. Er führte mich, und ich aß tüchtig, in der Voraussetzung,
ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal
der Fall zu sein.
Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirtin, es sei alles schon
berichtigt. Das war ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwei
Stunden. Er begleitete mich noch in verschiedenen Partien der Stadt,
besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten
über den ganzen Meerbusen von Salerno hat.
## „Dieser Menschen hat vierzig umgebracht“
Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen artigen Manne das schlimme
Betragen seines Kameraden zu erzählen. „Ich bin nicht gesonnen“, sagte ich,
„mich in der Fremde in Händel einzulassen. Aber wenn ich den Namen des
Offiziers wüßte und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht
seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disziplin gutheiße.“
Der junge Mann fing nun eine große, lange Klage über viele Dinge an, die
ich ihm sehr gerne glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbei,
aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. „Dieser Mensch hat
vierzig umgebracht“, sagte der Offizier, als wir weitergingen. Ich sah ihn
an. „Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden“, erwiderte ich. „Doch,
doch. Für wenigstens die Hälfte könnte der Beweis völlig durchgeführt
werden.“
Mich überlief ein kalter Schauder. „Und die Regierung“, fragte ich. „Ach
Gott, die Regierung“, sagte er ganz leise – „braucht ihn.“ Hier faßte …
mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört. Jetzt sollte
ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in
Versuchung, aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem
Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem
Leben ihrer Bürger umgeht. Kann man sich eine größere Summe von
Abscheulichkeiten denken?
„Jetzt wird er doch hoffentlich seine Strafe bekommen“, sagte ich zu meinem
unbekannten Freunde. „Ach nein“, antwortete er, „jetzt sitzt er wegen ein…
kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh kommt er los.“
## Amnestie des Königs
Wieder ein hübsches Stück von der Vergebung der Sünde. Die Amnestie des
Königs hat die Armee und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt.
Er nahm die Banditen auf, sie waren brav, wie der Name sagt, er belohnte
sie königlich, gab ihnen Ämter und Ehrenstellungen, und jetzt treiben sie
ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der
Residenz erzählt, auf den Straßen und in Provinzialstädten, und es werden
mit Abscheu Personen und Orte und Umstände dabei genannt.
Ich lief eine Stunde in Pompeji herum und sah, was die anderen auch gesehen
hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und die zutage geförderten
Häuser hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muß
aber bei dem allen prächtig genug gewesen sein, und man kann sich nichts
netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo fast alles von
schönem Marmor ist und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem
Proszenium ist, als ob sie nur vor wenigen Jahren genacht wäre.
Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen Teil ans Licht gefördert
und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum
kommt. Jeder Kommissar scheint zu nehmen, was ihm am nächsten liegt, und
die Regierung schweigt wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist
etwas mehr als unartig, daß die alten, schönen Wände so durchaus mit Namen
bekleckst sind.
Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht
sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabei einige französische Generäle,
von denen man dieses hier hätte nicht erwarten sollen.
2 Feb 2013
## AUTOREN
Johann Gottfried Seume
## TAGS
Reportage
Reisen
Reportage
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Johann Gottfried Seume: Das Brack der Blindlinge
Seume steht für Freiheit und Gerechtigkeit. Sein herrschaftsfreier Blick
auf die Gesellschaft machte ihn auch für manche 68er zum Aufklärer.
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