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# taz.de -- Berlin apart: Pappmaché und Plastik
> Der Potsdamer Platz ist ein trauriger Fall - selbst zu Berlinale-Zeiten,
> wenn hier Promis am laufenden Band antanzen.
Bild: Sieht aus wie eine billige Kulisse: der Potsdamer Platz samt Berlinale-B�…
Nächste Woche rücken sie an, die Catherine Deneuves, Jude Laws, Isabelle
Hupperts, vielleicht sogar George Clooneys. JedeR BewohnerIn Berlins wird
sich wieder die bange Frage stellen: Wird unsere liebe gute Stadt von
wahren Weltenbürgern für voll genommen? Die Antwort lautet relativ sicher:
Nein.
Denn das, was ein Berlinalebesucher von Berlin zu sehen kriegt, ist der
Potsdamer Platz. Und der ist ein trauriger Fall. Da kann die Potsdamer
Platz Management GmbH (PPMG) einen Plastikweihnachtsbaum mit noch so
positiver Ökobilanz auf den Marlene-Dietrich-Platz und eine noch so grüne
Elektro-Smart-Mietwagenflotte inklusive acht Stromzapfsäulen in eine
Seitengasse stellen: Das Quartier ist und bleibt ein Ort für sämtliche
anproletarisierten Kulturpraktiken der Jetztzeit (3-D-Filme gucken,
Fleischkäsbrötchen essen, Spielkasinos besuchen, in Malls shoppen, Musicals
ansehen, Coffee-to-go-Becher mit sich rumschleppen, fotografierender
Tourist sein).
Vor dem Scandic-Hotel steht ein Bronzeelch, der laut Gästeinfo Lasse
Reinström heißt (letzthin in der Grundschule kursierte noch der Witz mit
dem schwedischen Sexualminister Lasse Samenström, hihi). Auf dem
Programmplakat des Pappmachéclubs Adagio wimmelt es vor Lady’s Nights, bei
denen Damen je ein gratis Prosecco kredenzt wird, Gentlemen aber nur im
Foyer willkommen sind. Ob die Herren dort spätnachts Spalier stehen, in der
Hoffnung, dass eine Perlweinbetörte sich nach Beschallung durch DJ Size und
DJ Abuze auf dem Nachhauseweg zu einem Gnadenakt herablässt? Einer von
ihnen hat direkt vor dem Club, also dem baldigen Berlinale-Palast, eine
Zigarrenbauchbinde fallen lassen. Und die ist – bitte, so was darf die
Hautevolee nicht zu sehen bekommen! – angekokelt.
## Furunkel falschen Seins
Krönung dieser atmosphärischen No-gos waren ganze sechs Jahre lang die
goldenen Bälle, die zwischen Weihnachten und Berlinale auf der Alten
Potsdamer Straße an den Laternenmasten hingen. Kugeln aus zunehmend grau
sich färbendem Flittertand, dick und doof, am wertigen Auftritt wahrer
Kapitalen parasitierende Furunkel des falschen Scheins. In diesem Winter
sind sie nicht mehr da. Die Management GmbH und der Lichtdesigner Andreas
Boehlke, der ein unheimliches Monopol auf die winterliche
Berlinillumination hält, fanden, nicht ganz zu Unrecht, es sei Zeit für
eine neue Dekoidee. Jetzt wimmelt es in den Bäumen vor Eiskristallen aus
von innen beleuchteten Plastikschläuchen und Stäben, durch die
LED-Lichtpunkte wie Schneeflocken respektive den Schwanz durchwandernde
Gallensteine hinabtropfen. In den Seitenstraßen hat es auch die Laternen
wieder getroffen: In Spiralen winden sich rote Aluschnipsel um die Masten,
vom Management zärtlich Schillerlocken getauft, bei Tageslicht betrachtet
stark an Hobbykeller erinnernd.
Mitreden darf die Berlinale bei der Straßendeko übrigens nicht: Als
Gastgeber für die Berlinale, die Mieter ist beim privaten
Quartiersmanagement, unterstütze man das Event natürlich und gestalte den
Platz zu diesem Anlass noch eleganter und schillernder, kommt es von der
PPMG – die zu diesem Zweck den ganzen Weihnachtsgrauenkram einfach bis
Mitte Februar hängen lässt. Für die nächsten sechs Jahre. Die Stars werden
mild lächelnd den Großmeister des Bling-bling zitieren: Arm, aber tja.
3 Feb 2013
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
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