# taz.de -- Berlin apart: Unterwegs mit der Gayrilla | |
> Was tun bei homophoben Mitmenschen? Sicher ist: Reden hilft nicht immer. | |
Bild: Alle werden gleich behandelt? Bis dahin geht's leider noch ein Weilchen. | |
Schwuchtel!“ Zack. Mit der Faust mitten ins Gesicht. „Man sollte euch | |
vergasen.“ Bum. Kopfnuss. „Eine Familie besteht aus Mutter, Vatter, Kind.“ | |
Bam. Ein Tritt in die Fresse. Nicht lange reden, nicht lange zögern. | |
L. und ich sind mit Freunden aus Paris im Silverfuture in der Neuköllner | |
Weserstraße. Die Musik nervt zwar, aber der Ort ist schön. Trotzdem | |
verlassen wir die Bar und wollen in eine traditionelle Berliner Eckkneipe | |
gehen. Wir stehen draußen, rauchen auf und sehen durchs Fenster in die | |
Kneipe. Ein Typ, so Mitte 20, steht neben uns und schaut uns an. Er zögert | |
nicht lange und züngelt die Fensterscheibe – dabei macht er Fickpositionen | |
nach. „Vielleicht sollten wir da doch nicht reingehen“, sagt L. Ich werde | |
wütend – nicht wegen L., sondern wegen dem Arschloch. | |
Dann kommt der Freund des Typen raus. Er sieht genauso scheiße aus wie sein | |
Kumpel, der immer noch mit der Zunge an der Fensterscheibe klebt, und | |
schreit: „Ihr Schwuchteln, was ist los? Kommt doch rein!“ Für einen | |
Augenblick denk ich: „Lauf zu ihm und brich ihm mit dem Kopf einfach die | |
Nase. Diskutieren hilft hier nicht!“ | |
Was mache ich stattdessen? Ich schau ihn an und sage: „Du Horst, lass dir | |
erst mal Schamhaare und einen Vollbart wachsen!“ Der Wichser schaut | |
verdutzt, und ich ärgere mich über meine Erziehung. Reden hilft ja | |
bekanntlich nicht immer. Eigentlich hätte er dermaßen ein paar auf die | |
Fresse verdient. | |
Mir geht diese Opferhaltung von Randgruppen auf die Nerven. Wir könnten uns | |
wehren, wollen uns aber lieber assimilieren. Bloß nicht auffallen. „Normal“ | |
sein. Geht’s noch? | |
2007 gab es eine Gruppe queerer Anarchos in Amerika namens „Bash Back“. Ihr | |
Statement: „Wir wollen die Meinung der Menschen nicht verändern, wir wollen | |
Heterosexuelle nicht so verbiegen, um uns Freiheit zu gewähren – wir | |
schlagen zurück.“ Gut, „Bash Back“ haben keine homophoben Menschen | |
verprügelt, aber die Botschaft war eindeutig. Ich wünsche mir stattdessen | |
eine Gruppe queerer Menschen, die mit neonpinken Mützen durch die Straßen | |
zieht und einfach Homophobe umnietet. L. hat auch schon einen Namen | |
gefunden: „Gayrilla“. | |
Ich rufe B. an und erzähle ihr von dieser (wie ich finde) großartigen Idee, | |
aber die ist auf Reisen. Auch F., die zufällig vorbeikommt, hat gerade | |
keinen Kopf dafür und sagt nur: „Das sehe ich nicht!“ Bis jetzt besteht | |
also die skurrile Neonmütze tragende Gruppe aus einer Person: mir. | |
L., die Pariser und ich stehen immer noch etwas perplex in der Weserstraße | |
rum. „Normal“ sehen wir offenbar nicht aus: Zwei bärtige Männer, einer mit | |
pinker, der andere mit einer hellblauen Pomponmütze, eine der Pariserin | |
sieht aus wie ein „Seapunk“, die andere ganz elegant – wie eine russische | |
Zarin. | |
Wir beschließen, ins „Ficken 3000“ in der Urbanstraße zu gehen. Als wir | |
klingeln und reinkommen, sitzen fünf ältere Herren am Tresen. Die drehen | |
sich um, winken uns zur Bar, und sofort fühlen wir uns zu Hause – trotz | |
oder gerade wegen der schlechten Pornofilme. Vielleicht, denke ich, will | |
sich hier einer der Herren meiner Bewegung anschließen. Die Mützen hätte | |
ich schon. | |
16 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
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