# taz.de -- Kolumne Berlin apart: Was tun, wenn die Stadt nervt? | |
> Alles in Berlin ist zu kalt, zu eng, zu immergleich. Dazu der Schnee. Da | |
> hilft nur eines: Last Exit Hasenheide. | |
Bild: Wann ist endlich wieder wirklich Zeit für Turnschuhe? | |
Ich kann mir nicht helfen, die Stadt nervt. Seit Wochen. Egal wo. Alles zu | |
kalt, zu eng, zu immergleich. Klar, der Winter war zu lang, fehlende | |
UV-Strahlung, fehlende Gute-Laune-Hormone im Körper. Trotzdem. Diese ewigen | |
Kaiser’s Supermärkte mit ihrem blöden Kaffeekannenlogo, diese Ikea-Lampen | |
in einfach jeder Wohnung, diese Stadtmagazine, denen außer „Die besten | |
Tiere der Stadt“ auch schon nix mehr einfällt. Und dann wieder dieser | |
Schnee. Diese dysfunktionalen BSR-Kehrmaschinen, die mit ihren Rotorbürsten | |
aus den Trottoirs Rutschbahnen machen. Plakate mit Carl Craig drauf, der | |
irgendwo auflegt. Wie alt ist der jetzt, siebzig? | |
## Wer kennt überhaupt noch Leute in Friedrichshain? | |
Die ewigen Easy-Jetsetter, die als Lieblinge der Sonntagszeitung laut | |
Sonntagszeitung immer noch jedes Wochenende in zehntausendfacher Stärke | |
einfallen. Um sich dann vor Berghain-Türsteher Sven Marquardt vor Lustangst | |
in die Hosen zu machen. Wer nicht reinkommt in den besten Club der Welt | |
(gähn), schleicht gedemütigt durch Friedrichshain. Wer kennt da eigentlich | |
noch Leute? Ich auf jeden Fall nicht, sind alle weggezogen. Das Ratespiel, | |
wohin, ist langweilig, deswegen sag ich’s gleich: nach Kreuzberg und | |
Neukölln. Woanders kenne ich überhaupt niemanden mehr, noch nicht mal in | |
anderen Städten Deutschlands oder der Welt. Nur meine Eltern leben nicht im | |
Umkreis von anderthalb Kilometern um meine Wohnung herum und werden | |
deswegen als exotisches Urlaubsziel immer attraktiver. Grauenvoll. | |
Und dann kommt man an so was vorbei wie diesem pseudonighthawkigen | |
Fresstempelchen Scheers Schnitzel unter den U-Bahnbögen Warschauer Straße, | |
der in Sachen Öffnungszeiten generös „bei Schnitzelpartys Ausnahmen“ mach… | |
Verelendete Kultur. Beim beleidigten Blick gen Himmel kommt der perverse | |
Riesenwerbemonitor in die Quere, der die nächsten Veranstaltungen in der O2 | |
World preist: Chris de Burgh, Roland Kaiser, Joe Cocker, Meat Loaf, James | |
Last, Mark Knopfler, Eros Ramazotti, Eric Clapton, Zucchero. Heilige | |
Scheiße. Ich wäre absolut d’accord, an die Stelle der unerträglichen | |
Altmännerhalle mit ihren hektargroßen Parkflächen – die uns mal als | |
lebendiges Quartier der Zukunft verkauft worden sind – zwanzig | |
Luxuswohntürme zu klatschen. Und dann ganz schnell die Brommy-Brücke | |
begehbar machen. Dann strömen die Luxuswohnenden mit ihren Diamanten | |
rasselnd allabendlich rüber in den Wrangelkiez und verschärfen die | |
Gentrifizierung mit derartiger Affengeschwindigkeit, dass | |
Anwohneraltbestände sich von einem Tag auf den anderen die Milch aus der | |
Gläsernen Molkerei nicht mehr leisten können. Traurig streichen sie dann | |
milchkaffeelos ihren Kindern über den Kopf, die neuerdings armutsbedingte | |
Einheitskluft tragen. Diese notorische blau-orange H&M-Winterjacke, bah. | |
## Der Dealer geht ans Handy und trabt vom Feld | |
Einzige Chance für bessere Laune: Hasenheide. Da kickt sonntags das | |
türkische Subproletariat gegen die schwarzen Dealer. Aus der | |
Dealermannschaft greift sich ständig einer mitten im Spiel in die | |
Hosentasche, zieht sein Handy raus und trabt vom Feld, über den Weg, in die | |
Begrünung. Ein anderer kommt aus der Gesetzlosigkeit der Büsche angerannt | |
und schaltet sich umstandslos ins Spiel ein. Diese Choreografie, die den | |
ganzen Park zum Spielfeld macht, ist schön. | |
17 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
Kirsten Riesselmann | |
## TAGS | |
Tierschutz | |
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