| # taz.de -- Pierre Bourdieu: Das Monopol der Politiker | |
| > Eine neu erschienene Textauswahl zeigt den französischen Kultursoziologen | |
| > Pierre Bourdieu als scharfen Analytiker des Politischen. | |
| Bild: Wer von der Politik leben will, muss für sie leben: Pierre Bourdieu. | |
| Pierre Bourdieu als bekannten Theoretiker vorzustellen, wäre noch | |
| untertrieben. Um die Jahrtausendwende war kaum ein europäischer | |
| Intellektueller so prägend wie der französische Soziologe. Und auch elf | |
| Jahre nach seinem Tod bleibt er ein über die Grenzen seines Faches hinaus | |
| einflussreicher Wissenschaftler. Pädagogen, Philosophen oder Soziologen | |
| stützen sich auf seine Konzepte, von ihm geprägte Begriffe wie der Habitus | |
| haben längst Eingang in die Alltagssprache gefunden. Bourdieu zählt zu den | |
| weltweit am meisten zitierten Autoren. | |
| Als politischen Theoretiker gilt es ihn allerdings noch zu entdecken. | |
| Während in Frankreich vergangenes Jahr eine voluminöse Sammlung seiner | |
| Vorlesungen über den Staat erschien, reduziert man den politischen Bourdieu | |
| hierzulande oft auf sein intellektuelles Engagement, für das er wahlweise | |
| gerühmt oder geschmäht wird. | |
| Seine wissenschaftliche Arbeit gilt eher als implizit politisch, etwa wenn | |
| sie schonungslos die Elitenreproduktion im Bildungswesen beschreibt. | |
| Tatsächlich aber hat sich der oft als Kultursoziologe etikettierte Bourdieu | |
| auch in analytischer Absicht wiederholt der Politik gewidmet. Eine Auswahl | |
| dieser Texte liegt nun im Suhrkamp Verlag vor. Sie besticht durch eine | |
| sinnvolle Zusammenstellung, bei der die verstreut erschienenen Aufsätze | |
| einander bestens ergänzen. | |
| ## Politik hat ihre eigenen Regeln | |
| Bourdieu begreift die Politik als Feld und damit als Sphäre innerhalb der | |
| Gesellschaft, die ähnlich wie die Kunstwelt oder die Republik der | |
| Intellektuellen ihren eigenen, oft ungeschriebenen Regeln gehorcht. Sie | |
| gründet darauf, dass die Bürger ihre Macht an eine professionelle Schicht | |
| delegieren, die in ihrem Namen entscheidet. Diesen scheinbar | |
| selbstverständlichen Akt der politischen Repräsentation untersucht Bourdieu | |
| in seinen Texten genauer. Seine stark verdichteten und hoch abstrakten | |
| Aufsätze legen die unhinterfragten Voraussetzungen der alltäglichen | |
| Normalität des politischen Betriebes offen. | |
| So erkennt Bourdieu in der Delegation an die Politprofis eine Enteignung. | |
| Mit seinem Kreuz auf dem Stimmzettel überlässt der Bürger ihnen alle Macht. | |
| Verweigern kann er dies nur durch Enthaltung oder Nichtwahl. Das wiegt umso | |
| schwerer, je weniger die Einzelnen selbst in die Politik eingreifen können. | |
| Gerade den Unterklassen fehlen dafür meist die Ressourcen. Ihnen bleibe | |
| nur, „zu schweigen oder andere für sich sprechen zu lassen“. Schweigen sie | |
| jedoch, gelten sie schnell als apathisch oder inkompetent. Zu Unrecht, | |
| argumentiert Bourdieu, eher sei die Nichtwahl ein „Protest gegen das | |
| Monopol der Politiker“. | |
| Der Soziologe stimmt allerdings nicht in jene Klage ein, die hinter der | |
| Herausbildung einer politischen Klasse primär Korruption vermutet oder die | |
| Politiker ohnehin für bloße Erfüllungsgehilfen der Unternehmer hält. Für | |
| ihn ergibt sich die Abschottung der Parlamentarier schlichtweg aus der | |
| Logik des Feldes. Wer von der Politik leben will, muss für sie leben, | |
| sprich: die gängige Redeweise oder das entsprechende Auftreten annehmen und | |
| so Zugehörigkeit signalisieren. | |
| ## Verbundenheit unter Eingeweihten | |
| So entsteht unter Abgeordneten, Hauptstadtjournalisten und | |
| Politikwissenschaftlern eine Verbundenheit unter Eingeweihten. Neue werden | |
| kritisch beäugt, weil sie die Regeln des Spiels infrage zu stellen drohen. | |
| Der Konsens liegt daher im Interesse jener, die mit dem Status quo gut | |
| leben können. Sie bemühen sich, den politischen Charakter von | |
| Entscheidungen zu leugnen, um sie so der Diskussion zu entziehen. | |
| Jegliche Veränderung beginnt mit Debatte und Widerspruch: „Politische | |
| Subversion setzt kognitive Subversion voraus.“ Auch an dieser Stelle | |
| erweisen sich Bourdieus Texte als bemerkenswert aktuell. Seine Kritik des | |
| entpolitisierten Diskurses, der die Alternativlosigkeit der | |
| gesellschaftlichen Verhältnisse betont, stammt von 1981. In Frankreich | |
| regierte seinerzeit François Mitterrand mit einer Koalition aus Sozialisten | |
| und Kommunisten, in den USA und Großbritannien hatte die neoliberale Wende | |
| gerade erst begonnen. | |
| Dennoch liest sich vieles bei Bourdieu wie eine Beschreibung unserer | |
| Gegenwart: eine Lektüre, die den Blick schärft, nicht nur in Wahljahren. | |
| ## Pierre Bourdieu: „Politik. Schriften zur Politischen Ökonomie 2“. | |
| Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 374 Seiten, 17 Euro | |
| 1 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Steffen Vogel | |
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