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# taz.de -- Öffentlicher Nahverkehr in Berlin: Freie Bahn für Schwarzfahrer
> Wen die BVG ohne Fahrschein erwischt, der blecht. Denkt man. Unser Autor
> hat herausgefunden: Wer sich stur stellt, dem passiert – gar nichts.
Bild: Wer hier einsteigt, sollte einen Fahrschein haben – meistens.
Ein BVG-Kontrolleur hat mich ohne Fahrschein erwischt.
Es war an einem Abend im vorletzten Sommer, nach einer Abschiedsfeier auf
dem taz-Dachgarten. Die Luft war warm, die Stimmung heiter. Bevor ich zu
Fuß nach Hause ging, brachte ich zwei Kolleginnen zur U-Bahn. Der Bahnhof
Kochstraße war voller Uniformen: 20 bis 30 Kontrolleure und einige
Polizisten. Gerade fuhr eine Bahn ein – ein Kurzzug, der am anderen Ende
des Bahnsteigs hielt. Wir liefen los, um ihn zu erreichen. An der Tür
drückte ich meine Kolleginnen, sie stiegen ein, der Zug fuhr ab.
„Einmal den Fahrschein bitte“, sagt einer der Uniformierten zu mir. „Ich
bin nicht gefahren“, erwidere ich. Für ihn muss das nach einer schlechten
Ausrede klingen. Er hat nicht mitbekommen, dass ich gerade erst auf den
Bahnsteig gelaufen bin. Und er ist Teil einer „Schwerpunktkontrolle“. Dabei
steigen Kontrolleure in jeden Waggon, auch alle Aussteigenden werden
abfangen.
Der Kontrolleur besteht darauf, meine Personalien aufzunehmen. Ich erkläre
ihm, ich würde nicht zahlen. Weil ich ja nicht gefahren sei. Dann werde das
eben vor Gericht geklärt, sagt er, notiert meine Daten und gibt mir einen
Zettel. Dort steht, ich soll ich innerhalb von zwei Wochen 40 Euro an die
Inkassofirma Infoscore zahlen. Sonst werde es noch teurer.
## „Man wird nur hingehalten“
Im Internet suche ich nach der Firma und finde Horrorgeschichten in Blogs
und Foren. „Alle Schreiben meinerseits wurden ignoriert“, heißt es da.
Jemand anderes schreibt: „Wenn man da anruft, wird man nur hingehalten, und
keiner hat Ahnung von irgendwas.“
Ich rufe den Rechtsanwalt Marian Härtel an. Er kann diese Erfahrungen
bestätigen: „Bei Infoscore gibt es keine Einzelfälle. Da laufen tausende
Verfahren. Wer denen schreibt, bekommt eine Standardantwort, in der oft
genug gar nicht auf den konkreten Fall eingegangen wird.“ Offenbar macht es
wenig Sinn, den Sachverhalt mit Infoscore klären zu wollen. Ich beweise
meine Unschuld lieber vor einem unabhängigen Richter. Am nächsten Tag
schreibe ich daher ein Gedächtnisprotokoll. Außerdem bitte ich meine
Kolleginnen um eidesstattliche Versicherungen, dass ich nicht mit der Bahn
gefahren bin. Und für den Bahnsteig, das bestätigt mir der Verkehrsverbund
Berlin-Brandenburg, braucht man kein Ticket.
Infoscore schickt nun alle paar Wochen einen Brief mit der Aufforderung,
das Geld endlich zu zahlen. Die Kosten werden immer höher, die Drohungen
immer drohender: „Sollte die Frist ungenutzt verstreichen, werden wir, wie
bereits angekündigt, die Klage begründen.“ Ich antworte auf keinen dieser
Briefe.
Dann steckt ein Schreiben vom Amtsgericht Wedding im Briefkasten. Infoscore
hat den Fall an eine Rechtsanwaltsgesellschaft Rainer Haas und Kollegen
abgegeben, und die hat einen Mahnbescheid gegen mich beantragt. Ich lege
Widerspruch ein. Jetzt müssten sie Klage erheben, damit es zum Verfahren
kommt. Endlich. Immerhin unterstellt man mir seit einem halben Jahr,
schwarzgefahren zu sein. Die Forderung ist von 40 auf 129,23 Euro
gestiegen: Gebühren, deren Höhe das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz regelt.
## Dann kommt nichts mehr
Meine Kolleginnen fragen immer wieder, wann sie denn nun als Zeuginnen
auftreten. Ich kann sie nur vertrösten. Denn auf einmal kommt nichts mehr.
Irgendwann frage ich noch mal bei der Rechtsanwaltsgesellschaft nach, wann
ich mit der Klage rechnen kann. Eine Hotline-Mitarbeiterin sagt mir, man
werde darauf verzichten. Warum? „Weil man bei dieser geringen Forderung
kein Klageverfahren einleitet.“
Seltsam. Die BVG ist ja davon überzeugt, sie habe mich beim Schwarzfahren
erwischt. Wie es wirklich war, kann die BVG nicht wissen. Meine Beweise
wollte ich erst vor Gericht vorlegen.
Und wieder habe ich etwas dazugelernt: Wer sich weigert, zahlt am Ende –
nichts.
Dieser Text ist Teil des Themenschwerpunkts in der Wochenendausgabe der
taz.berlin. Dort außerdem: Warum die Piraten den öffentlichen Nahverkehr
kostenlos machen wollen und was das kostet. Im Briefkasten oder am Kiosk.
9 Feb 2013
## AUTOREN
Sebastian Heiser
Sebastian Heiser
## TAGS
Fahren ohne Fahrschein
Öffentlicher Nahverkehr
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