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# taz.de -- Kühn aber misslungen: Vom Wunder des Scheiterns
> Mahlers dritte Symphonie ist ein musikalischer Weltentwurf: Bremens
> Musiktheaterchef Benedikt von Peter hat versucht, ihn zu veropern.
Bild: Wie ein Film-Serienkiller hat Nadine Geyersbach im Komponierhäuschen den…
BREMEN taz | Oft ist Theater gerade im Scheitern seiner Erfüllung am
nächsten. Denn im Scheitern erobert es seine Würde als Wagnis zurück, die
ihm in einem wie am Schnürchen ablaufenden Bühnenerlebnis schon mal
abhanden zu kommen droht: Die Option des Scheiterns gehört zum Theater als
einer abenteuerlichen Suche nach dem, was es eigentlich soll, und nach dem,
was es kann. Geradezu notwendig landet, wer sie ernsthaft betreibt, auch an
Punkten, wo es nichts vermag. Und das ist in Bremen die Dritte Symphonie
von Gustav Mahler, die Opernchef Benedikt von Peter inszeniert hat.
## Gesellschaftliche Brisanz
Der ist eigentlich ein Held: Drängender als der Opernregisseur stellt in
Deutschland derzeit keiner diese Zentralfragen der performing arts. Und
sowohl seine zwei hannoverschen Inszenierungen – Luigi Nonos
Kommunismus-Vertonung „Intolleranza 1960“ und eine extremistische
„Traviata“ – als auch sein Bremer Debüt, „Mahagonny“, belegen, dass …
Fragen gesellschaftliche Brisanz gerade im Musiktheater entfalten kann.
In dieser Reihe steht der mit dem Bremer Generalmusikdirektor Markus
Poschner unternommene Versuch einer Veroperung jenes kompositorischen
Weltentwurfs von Mahlers Dritter. Ein kühner Versuch: So etwas gab’s noch
nie, Und er verdient Bewunderung.
Musikalisch allerdings bringt der Ansatz vor allem Nachteile. Dadurch, dass
das Werk, obwohl live aufgeführt, durch Lautsprecher gejagt wird, entsteht
ein indiskutabler Klang. Wer also nicht schon weiß, dass die Bremer
Philharmoniker die Qualität hätten, diese Monster-Symphonie achtbar zu
interpretieren, der kann es hier nicht erfahren:
Ein schlechter Abend für Mahler-Fans, der aber auch denen, die nicht nur
das Klimaanlagen-Gebläs, sondern bereits das komponierte Gefiedel und
Getöse als unangenehm empfinden, keine Lust verschafft.
Zumal die Performance dürftig bleibt: An Leinwände und ein aus Zeltplanen
konstruiertes „Komponierhäusel“ mitten im Zuschauerraum beamt der Hamburger
Videokünstler Timo Schierhorn thematisch sortierte Youtube-Clips:
Almabtriebe, die Mahler ebenso einkomponiert hat wie Schützenmärsche, aber
auch Nicht-Vertontes wie Sommerrodelbahnschussfahrten, Bombentests und dann
und wann ein arg gequältes Reh.
Die – mit grandioser Präsenz begabte – Schauspielerin Nadine Geyersbach
schleicht während der 110 Minuten-Show in einem Overall aus weißem Latex
mit altmodischem Fliegerkäppi durchs Parkett und über die Bühne, versinkt
im Boden, taucht wieder auf und filmt ZuschauerInnen, was umgehend auf die
Projektionsflächen übertragen wird. BühnenarbeiterInnen tragen künstliche
Birken durch den Raum und rascheln im Takt.
Der szenische Höhepunkt ist erreicht, als die textilen Wände des erwähnten
Komponierhäuschens ruppig abgetragen werden. In dem hat Geyersbach nach dem
Vorbild eines Hollywood-Serienkillers Fotos aller Ensemblemitglieder
aufgehängt und ihnen – per Zahnbürste – Löcher an die Stellen von Mund u…
Augen geschrubbt:
Zu ihr wird sich die dunkel gewandete Nadja Stefanoff gesellen, gemeinsam
blicken sie in den Spiegel, während die Altistin das Lied „O Mensch! Gib
acht“ singt, das ist der vierte Satz und vielleicht der einzige Moment, der
an einem dunklen Geheimnis, an der Gewalt dieser monströsen Komposition zu
rühren vermag.
Stoff genug also für eine knappe halbe Stunde. Aber da ist halt der erste
Satz noch nicht mal ganz vorbei. Und die recht pompöse
Inszenierungsbehauptung des Anfangs – die Zuschauer werden über die
Seiteneingänge zunächst auf die Hauptbühne, hinter den noch geschlossenen
Vorhang geführt, vorbei an – auch da schon! – Almabtriebs-Videos und
geschnitzten Kruzifixen, ins Dämmerdunkel mit leichter Benebelung – also
das Versprechen, etwas Ungesehenes, Nie-Erlebtes zu erfahren, hat sich
längst verläppert.
Es ist legitim, sich zu fragen, was denn der Scheiß solle: Denn kühn ist
die Idee, eine Symphonie zu veropern. Aber sie wirkt dabei doch immer wie
eine Kopfgeburt nach ausgedehntem Mindfuck: Dass man das mal tun müsse,
einfach weil noch niemand es tat, und überhaupt Mahler! und die Dritte…!!!
Die Schwachpunkte sind mehr als offensichtlich: Da ist das Fehlen einer
bühnentauglichen Handlung oder auch nur szenischen Aktion, zweitens das
Fehlen einer bestimmbaren Bildsprache und drittens die absolute Dominanz
der Musik – also letztlich, dass in der Symphonie genau das Begehren „nach
ganzer Musik“ bereits gestillt ist, die zu wecken doch die Arbeit der Oper
ist.
## Im Komponierhäuschen
So hat das Friedrich Nietzsche in „Die fröhliche Wissenschaft“ (1882)
formuliert. Die ist hier von Belang, weil Mahler während der Arbeit an der
Dritten einem Freund angekündigt hatte, er werde das ganze „Meine fröhliche
Wissenschaft“ nennen.
Dazu passt, wenn auch allzu biografisch, dass er die Symphonie ja genau
während seiner Sommerurlaube im Komponierhäuschen am Attersee schreibt, im
Fluchtort vor den immer mehr belastenden Diensten an der Hamburger Oper,
deren Chefdirigent er damals ist.
So gedacht, ist Mahlers Dritte mehr noch als jede andere Symphonie ein
Gegenstück zur Oper, gerade weil sie deren Erfüllung bedeutet. Sie ist eine
Oper, die aus der Unvollkommenheit von Wort, Bühnentechnik und
Sängerschauspielerei befreit wurde, zum Ton und Klang erlöst: „Wenn man die
Musik von Mahler hört, denkt man sofort an Oper“, hat von Peter
festgestellt. Und er hat ja so recht.
Bloß: Gläubige, die Jesus sehen, denken auch an den Menschen, obwohl sie
doch Gott vor Augen haben. Und während Tanz der Übersymphonie eine weitere
Dimension eröffnen kann, indem er sich ihrer Musik anschmiegt, ihre
Rhythmen aufgreift und ihre Melodien und Gedanken verräumlicht – so wie es
John Peter Neumeier in seinem ewigen, noch 40 Jahre nach der Uraufführung
elektrisierenden Hamburger Mahler III-Ballett tut – bleibt dem Musiktheater
nur der Weg der Gegenrede:
Das Projekt, Mahlers Symphonie zu inszenieren, steht im Widerspruch zur
kompositorischen Intention. Denkbar wäre es deshalb nur als
rabiat-ironische Profanierung, als boshaftes Unterfangen. Sie müsste den
Untergang der Übersymphonie inszenieren, ihr Pathos verwandeln und
vielleicht zermalmen – durch ihre unausweichliche Wiederkunft als Oper.
Eine perfide Parodie, die etwas sehr Mahlerisches gehabt hätte.
Aber dafür hat der experimentelle Furor nicht gereicht – abgesehen
vielleicht von der gehässigen Pointe, dass das Orchester oben auf der Bühne
sitzt, wo doch der Komponist einer der wichtigsten Propagandisten des
Orchestergrabens war.
Zu blass bleiben auch solche destruktiven Ansätze wie die klanglichen
Interventionen durch ein merkwürdig verhuschtes elektronisches Sounddesign
von Tamer Özgonnencs: Akustische Gegenwucht entfaltet allenfalls ein
kratzend-quälendes ins Mikro gespieltes Geräusch in einer Generalpause,
meist aber sind die klanglichen Interventionen kaum von den Störgeräuschen
der bühnentechnischen Anlagen zu unterscheiden.
## Ein echter Denkfehler
Das ist kein Zufall, sondern entspricht der Entscheidung, sich Mahlers
Suada zu unterwerfen und dem absurden Wunsch, ihre Effekte „hörbarer“
machen zu wollen: „Wir verstärken sozusagen die Anführungszeichen Mahlers
für heutige Hörer“, so beschreibt von Peter seinen Ansatz, mit dem sich ein
Volkshochschulseminar gestalten ließe. Aber keine Musiktheater-Revolution.
Ja, für die Bühne ist es sogar ein echter Denkfehler: Der dienstbare
Habitus des Respekts, den der Regisseur vor einer Komposition einnimmt, die
von Inszenierung nicht das mindeste wissen will, verdammt seine
inszenatorischen Bemühungen dazu, sich selbst zum Verschwinden zu bringen.
„Wir haben noch viel zu viel“, hatte der Regisseur noch in der Woche vor
der Aufführung im Bezug aufs szenische Material gesagt, „wir müssen sehen,
was wir noch streichen können“: Wie tugendhaft! Wie maßvoll! Noch zwei
Wochen Arbeit, und er wäre beim klassischen Konzert gelandet, ganz
unverrauscht und frei von allem mimischen Gehampel. Was zweifellos ein
gelungenerer Abend geworden wäre – nur künstlerisch noch unerheblicher.
So aber, im Scheitern, bleibt wenigstens die Hoffnung, dass die Suche
fortlebt, die Lust am Fragen bleibt. Denn so niederschmetternd darf’s nicht
enden.
13 Feb 2013
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Oper
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