| # taz.de -- Roman „Ein Hologramm für den König“: Die Fata Morgana des Hap… | |
| > Dave Eggers' „Ein Hologramm für den König“ ist eine endspielartige | |
| > Untergeher-Geschichte. Der Roman mischt geschickt Reales und Surreales. | |
| Bild: Dave Eggers' Held schlägt seine Zeit mit Wüstenfahrten tot. | |
| Ein Hologramm ist ein dreidimensionales Abbild, eine visuelle Täuschung, | |
| die uns einen Gegenstand oder eine Person im Raum lediglich vorgaukelt. Man | |
| könnte auch sagen: Es ist die reinste heiße Luft. | |
| Das ist ein schönes Bild für all das, womit wir es im neuen Roman des | |
| amerikanischen Starautors Dave Eggers zu tun bekommen. Inmitten der | |
| saudi-arabischen Wüste entsteht das King Abdullah Economic Center (KAEC), | |
| ein megalomanisches, modernes Dienstleistungszentrum, Ausweis der Größe des | |
| Königs und zugleich eine Vision des absolutistischen Landes. | |
| Dass der Bau dieser fantastischen Stadt stockt und man es noch eher mit | |
| einer Fata Morgana zu tun hat, irritiert Alan Clay zunächst wenig. Der | |
| leicht abgehalfterte amerikanische Geschäftsmann möchte dem König ein | |
| holografisches Telefonkonferenzsystem verkaufen, ein Millionengeschäft und | |
| der noch uneingelöste Scheck auf die Zukunft eines Mannes, an dem die Zeit | |
| schon ihre Kratzspuren hinterlassen hat. | |
| Der 54-jährige Alan Clay sitzt mit seinen drei halb so alten Assistenten in | |
| einem Zelt ohne WLAN-Empfang, versucht sich für die große Präsentation zu | |
| wappnen und wartet auf den König. Allein, Abdullah macht Staatsbesuche im | |
| Jemen oder sonst wo auf der Welt; und im KAEC soll er sich dem Vernehmen | |
| nach schon anderthalb Jahre nicht mehr blicken gelassen haben. Ob der | |
| feudale stadtplanerische Traum aus krisenfesteren Zeiten nach den | |
| weltweiten Turbulenzen der Finanzkrise noch verwirklicht werden kann, ist | |
| mehr und mehr zweifelhaft. | |
| ## Man schlägt Zeit tot | |
| So wird die Wüstenexpedition zum Geduldspiel. Nicht umsonst zitiert Eggers | |
| als Motto einen Satz aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“: „Uns braucht | |
| man nicht alle Tage.“ So schlägt man also die Zeit tot, nimmt an Partys | |
| anderer Ausländer und Botschaftsangehöriger teil. | |
| Clay freundet sich mit seinem saudi-arabischen Fahrer an, macht mit ihm | |
| eine Tour in die Berge, schreibt Briefe an seine Tochter, die er nicht | |
| abschicken wird; denkt zurück an einen Ausflug, den er einmal zusammen mit | |
| ihr nach Cape Canaveral unternommen hat, um einen der letzten Starts des | |
| Space Shuttle mitzuerleben – eine nostalgische Reise in eine Zeit, als der | |
| Weltraum für die Amerikaner keine Grenze darstellte, sondern eine neue | |
| Möglichkeit, die New Frontier noch ein Stück zu verschieben. | |
| Dave Eggers gelingt nach dem Tatsachenroman „Zeitoun“ mit dieser fiktiven | |
| Erzählung eines Scheiternden etwas Beeindruckendes: „Ein Hologramm für den | |
| König“ ist nicht nur eine Zustandsbeschreibung der globalisierten | |
| Wirtschaft, die sich zunehmend in Bereichen des Fantastischen abspielt und | |
| damit selbst zu einer Form von Literatur wird. | |
| ## Talent zum Selbstbetrug | |
| Der Roman ist auch eine klassische Untergeher-Geschichte. Man denkt an | |
| andere traurige, in Umbruchzeiten aufgeriebene Helden der amerikanischen | |
| Literatur wie Willy Loman. Alan Clay hat bei genauerer Betrachtung | |
| allerdings keine große Ähnlichkeit mit dem noch fest in seinen moralischen | |
| Grundsätzen aufgehobenen Handlungsreisenden von Arthur Miller; daher ist | |
| Clays Talent zum Selbstbetrug nicht allzu groß. | |
| Er sieht relativ klar, dass er hier – um noch einmal Beckett zu zitieren – | |
| an einem Endspiel teilnimmt, auch wenn er noch immer an ein Happy End | |
| glauben möchte. Gleichwohl deutet alles auf seinen Niedergang. | |
| Das fängt schon damit an, dass Clay einmal in den guten alten Zeiten | |
| Fahrräder hergestellt hat und dafür verantwortlich war, dass die Produktion | |
| nach China verlegt wurde – er machte damit über kurz oder lang auch seinen | |
| eigenen Job überflüssig. Gegenüber seinen drei jüngeren Kollegen sieht er | |
| sich als alten Mann; und sie wiederum betrachten ihn als ein verstaubtes | |
| Relikt der Old Economy, von der sie nicht mehr den Hauch einer Idee haben. | |
| ## Clay schwindet die Manneskraft | |
| Wann immer sich ihm auf seiner Geschäftsreise die Gelegenheit zu einer | |
| Affäre bietet, schwindet Clay die Manneskraft. Mit seiner Potenz ist es | |
| nicht besser bestellt als mit jener der amerikanischen Wirtschaft. | |
| Und dann noch das: Eine Zyste, die an seinem Rückgrat angedockt hat und | |
| unübersehbare Ausmaße annimmt, gibt Alan Clay unmissverständlich das | |
| Gefühl, den Zenit längst überschritten zu haben und allein einem sehr | |
| unschönen Ende entgegenzustreben. Auch wenn eine junge saudische Ärztin das | |
| Geschwür entfernt und seine Gutartigkeit feststellt – etwas geschieht hier, | |
| und Mr Clay weiß nicht, was es ist. | |
| Eggers vermischt in seinem neuen Roman subtil Reales und Surreales. Sein | |
| Held findet sich in einer diffusen Szenerie wieder, einmal in einer | |
| geradezu kafkaesken Bürolandschaft, die mitten im Nichts wie eine | |
| Schaltzentrale von Außerirdischen wirkt. Er kann die Zeichen der Zeit nicht | |
| mehr recht deuten, bewegt sich in der Fremde zuweilen wie ein Blinder, dem | |
| aber doch immer wieder die Augen aufgehen – er staunt dann, was schöne, | |
| desillusionierende Effekte erzeugt. | |
| ## Halluzinatorische Schwerelosigkeit | |
| Manchmal knallt sich Clay mit Drogen in eine halluzinatorische | |
| Schwerelosigkeit, die ihn nach dem Rausch nur umso wuchtiger wieder auf dem | |
| Wüstenboden aufschlagen lässt. Eggers erzählt in bester amerikanischer | |
| Manier mit stilistischer Schnörkellosigkeit so, dass einem diese Farce wie | |
| eine Komödie und die Komödie wie eine bittere Parabel erscheint. | |
| Natürlich ist das auch in anderer Hinsicht ein sehr amerikanisches Buch. | |
| Man spürt darin die Angst einer Nation vor den fundamentalen Veränderungen, | |
| die seit einigen Jahren ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen. Die | |
| Supermacht ist angreifbar geworden, auf allen erdenklichen Ebenen. | |
| „Ein Hologramm für den König“ beschreibt das als Symptom: Während die | |
| lethargischen US-Dienstleister mit ihren Ideen noch brav auf ihre Kunden | |
| warten, haben die Chinesen längst schon den Deal klargemacht. Es muss | |
| eigentlich gar nicht mehr gesagt werden, dass Alan Clay und sein Team | |
| umsonst in der Wüste sitzen. Man braucht sie nicht alle Tage, womöglich gar | |
| nicht mehr. | |
| 19 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Rüdenauer | |
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