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# taz.de -- Shakespeare Company beendet Provisorium: Das Spiel vom bösen Ich
> Mit der Richard III.-Premiere feierte das Bremer Ensemble auch den Einzug
> in ein echtes Theater. Gebaut hat das die Stadt.
Bild: Richard III. in der Machtglanz-Dusche: Michael Meyer spielt den Schurken …
BREMEN taz | Kinder umbringen, ist fies, Brüder ermorden, eine Ursünde, und
wer dann die verwitwete Schwägerin poppt, der, also… – William Shakespeares
Richard III. ist der Inbegriff des Bösen. Und zwar doppelt, weil er nicht
zwanghaft alle dahinmeuchelt, sondern sich frei dafür entscheidet, als
hätte er Sartre gelesen oder Dostojewski. „Weil ich den Liebhaber nicht
spielen kann“, übersetzt Nachdichter Thomas Brasch den Eingangsmonolog,
„hab ich beschlossen, hier den Dreckskerl aufzuführen.“
So beginnt das Spiel vom bösen Selbstentwurf. Und so beginnt die Bremer
Shakespeare Company (BSC) das Spielen in ihrem ersten echten, also
nicht-provisorischen Theater. Freitag war Eröffnung und Premiere. Und als
Spielplan-Idee ist Richard III. da eine schräge Wahl:
Klar, sie hatten ihn noch nie gespielt. Aber weihevolle Feststimmung
entfaltet dieses Drama ja höchstens im Schlussgebet von Richmond, der als
Henri VII. Richards Königsnachfolger sein wird. Das aber hat Regisseurin
Ricarda Beilharz so klug wie radikal eingedampft. Und nun stellt
Richmond-Darsteller Frank Auerbach, statt lang zu lamentieren, bloß mit
soldatischer Brutalität den Sieg fest. Und Amen!
Auch dem Neuen wäre also nicht einfach blind zu vertrauen. Und so verfährt
auch die BSC. Es wird hier nicht einfach so drauflos gejubelt, selbst wenn
der Anlass dafür passend scheint. Selten bekommt ja ein freies Theater ein
eigenes Haus. Und das im verarmten Bremen: Zur clever mit Elementen der 20
Jahre als Spielstätte genutzten Schulaula verzahnten
Stahlträgerkonstruktion hat Mieterin BSC selbst 300.000 Euro beigesteuert.
Fast vier Millionen hat die Stadt investiert. Und diesmal sogar klug
investiert.
Denn das selbstverwaltete Ensemble wirbt seit der Gründung 1983 durch seine
spezifische Ästhetik – die in Überlegungen zum Volkstheater der Renaissance
wurzelt – und durch Gastspiele auch für Bremen. Im vergangenen Jahr durfte
die BSC sogar als der deutsche Beitrag zum kulturellen Rahmenprogramm der
Olympischen Spiele nach London fahren: ein Auftritt im Rose-Theatre, im
Heiligtum.
Andererseits verspricht sie auch eine bildungspolitische Rendite: Denn die
Gesamtschule am Leibnizplatz, auf deren Gelände man die Truppe nun noch
fester verankert hat, pflegt ein Theaterprofil. Die Zusammenarbeit ähnelt
im Ansatz der vielgelobten Partnerschaft zwischen der deutschen
Kammerphilharmonie und der Gesamtschule Ost.
Es sind also auch Forderungen in die Förderung eingewickelt. „Es ist ein
Einschnitt für uns“, hatte Ensemble und Geschäftsführungsmitglied Peter
Lüchinger den Einzug ins „eigene“ Haus genannt: Nach Ewigkeiten in diversen
Provisorien kann das nichts anderes sein. Und dass sich die um Äonen
verbesserte Bühnentechnik und das vervielfachte Bühnenvolumen aufs Spielen
auswirkt, ist klar.
Aber wie, das lässt sich wirklich „frühestens nach der zweiten
Inszenierung“ sagen, wie Lüchinger gesagt hatte: Ganz pünktlich fertig
geworden war der Bau nicht. Während der gerade mal drei Wochen Proben im
neuen Domizil waren immer auch noch die Handwerker da. Und mindestens die
Premiere stand teilweise noch unter Schock: Bei der Generalprobe gab’s
einen Stromausfall. Futsch waren danach auch sämtliche im Computer
gespeicherten Lichtstimmungen gewesen. Ein GAU in Beilharz’ Bühnenkonzept.
Denn, außer einer Art Machtglanz-Dusche aus LED-Schläuchen gestaltet sie
die Kulisse nur mit etwas Bühnennebel und zwei schmutzig-grünen Flächen,
einer schrägen Rampe, einer Rückwand. Und durchs Licht. Während der
Aufführung stimmen dann die Farbfilter auch – nach einer hektischen
Rekonstruktion bis zehn Minuten nach dem planmäßigen Beginn.
Das muss die SpielerInnen verunsichern. Bei manchen merkt man’s auch, und
das nimmt das Tempo, was die zu lange Länge einer dreistündigen
Spielfassung zusätzlich dehnt: Kein Regie-Einfall dürfte sein, dass
Company-Neuzugang Theresa Rose ihre Monologe so hölzern aufsagt. Sie spielt
Lady Anne, die erwähnte verwitwete Schwägerin und der
psychologisch-schwierige Wandel von der Rachegöttin zur Bettgefährtin
passiert im Text, ohne in ihr Sprechen zu finden. Dabei verleiht Michael
Meyer der Hauptfigur so viel quecksilberne Faszination und Macht-Erotik,
dass sie nur ein wenig mehr auf seinen Sound reagieren müsste, um
glaubwürdig zu begehren.
So wie das Stück den Unterschied von sozial-politischer und persönlicher
Sex-Beziehung verunklart, erodiert es die Differenz von Ich und
Gesellschaft, vom Einzelnen und seinem Clan. So legt Beilharz in diesem
Drama aus der Zeit der Erfindung des modernen Subjekts den Quellcode von
dessen postmodernen Krisen offen:
Das Zentrum verwaist und durch eine Vielzahl von Prätendenten, von Erben
und ambitionierten Witwen belagert, die Richard als erster unter ihnen
beseitigen und unterwerfen muss, um dann selbst besiegt zu werden. Das Ziel
der Geschichte, das erst Zusammenhang stiftet, fehlt. Das Innen ist das
Außen – noch. Und der als Makel empfundene Körper ist der böse Geist,
hässlich ist schön, und der Sinn prekär.
Beilharz hat für diese im Werden – und Scheitern – begriffene Identität,
dieses Mingle-Mangle aus sozio und psychologischer Personenkonzeption
deutliche Bilder gefunden. So zerquetscht sie Richard allmählich unter der
vorkippenden Rückwand, während der sich gegen die Niederlage stemmt, tobend
und schreiend, unangenehm schreiend, maßlos schreiend, schreiend bis zum
Kollaps. Heftig.
Den ergreifendsten Moment aber setzt doch die reine Poesie des
Anfangsmonologes. Beilharz hat ihn auf alle Spieler verteilt, mehrsprachig
und polyphon gesetzt wie eine Fuge. „Jetzt folgt dem Winter unserer Wut“,
so fängt’s an, „der Sommer unserer Macht, die Sonne Yorks“, im sich
lichtenden Nebel. Und als Zweiton-Signal quäkt dazwischen die zänkische
Selbst-Behauptung eines Ichs: „But I“, „But I“, „But I“. Und es kli…
eine Warnung.
## Nächste Aufführungen: 9., 23. und 30. 3., jeweils 19.30 Uhr, Theater am
Leibnizplatz
5 Mar 2013
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Theater
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