| # taz.de -- Wie der Punk nach Hannover kam (IV): Face der Coole | |
| > Style-mäßig bilden sich in der Szene drei Hauptrichtungen heraus. Unser | |
| > Autor bevorzugt ein besonders hartes, verwahrlostes Outfit. | |
| Bild: Bärbel, der Schlagzeuger von Blitzkrieg, kurz vor seiner Fake Psychobill… | |
| Was bisher geschah: Der Autor führt das Leben eines Punk. Er schläft im | |
| Freien oder bei Freunden, deren Eltern nicht da sind, greift Lebensmittel | |
| ab und provoziert Passanten. | |
| Wir kamen immer mehr runter. Je weiter das ging, desto mehr Spaß hatten | |
| wir. Ein Typ namens Face war der Coolste. Er war ein echter Dandy, obwohl – | |
| damals wusste ich nicht mal, was das ist. Er hatte fast niemals Geld. Wenn | |
| doch, gab er es für Dinge aus wie englische Orangenmarmelade und anderes | |
| Zeugs aus dem Feinkosthandel, wo man nicht klauen konnte. Solange er | |
| konnte, kaufte er nur das Beste und Teuerste. Anschließend klaute er das | |
| Beste und Teuerste, wo und wie es eben ging. | |
| Face hieß so, weil er ein extrem feines, schön geschnittenes Gesicht hatte, | |
| aristokratisch irgendwie, obwohl er so runtergekommen war. Sein Style | |
| unterschied sich. Er trug niemals den typischen Schmuck wie | |
| Sicherheitsnadeln, Nietenarmbänder oder Ketten. Er hatte ständig – sommers | |
| wie winters – einen langen grauen Mantel an, der einstmals sicher ziemlich | |
| edel gewesen und jetzt nur noch betonschmuddelfarben war. Darunter trug er | |
| Anzüge, die er aus Kleidersammlungen zog, und Rollkragenpullover, alles | |
| fast immer in grau, selten schwarz, niemals eine andere Farbe. Eigentlich | |
| war er ein Obdachloser, aber einer, der Bass in einer Band spielte. | |
| Bei den Jungs entwickelte sich der Stil – selbstverständlich mit Myriaden | |
| feinster Unterschiede im Detail und mannigfaltigen Überschneidungen – | |
| generell in drei Richtungen: Es gab die „normalen“, heute klassischen | |
| Hardcore-Punks, die mit einem A-im-Kreis und „Schieß doch Bulle“ auf der | |
| Motorradlederjacke explizit politisch sein wollten und dazu aufwändige | |
| Stachelhaare in Grün und Rot trugen. Dann gab es die Anzugjackenträger. | |
| Auch die bemalten ihre Klamotten und behängten sie mit Ketten und Buttons. | |
| Die Haare trugen sie kurz und spitz aufgestellt wie Johnny Rotten(12). | |
| Und es gab eine kleinere Gruppe, die inzwischen auf Schmuck, Gadgets und | |
| Aufschriften verzichtete, gerade weil diese Dinge bei den anderen so | |
| beliebt waren. Zu dieser Gruppe gehörte ich. Es war ein letztlich dunkler, | |
| ganz verkommener Style, hart, kaputt, nur selten gab es farbige Highlights | |
| wie die rote Motorradjacke eines Typen namens Wixer („In der ist schon mal | |
| einer gestorben.“). Prätentiöse Verwahrlosung war auch so ein Begriff, den | |
| ich noch nicht kannte. | |
| Daneben gab es noch eine kleine Szene von Intellektuellen und Musikern, die | |
| vom Punk zwar beeinflusst waren, sich aber nicht zugehörig fühlten, autonom | |
| bleiben wollten, sich sogar distanzierten, ohne wirklich ganz davon | |
| wegzukommen in einem so übersichtlichen Gemeinwesen wie Hannover. Die | |
| hatten allerdings auch ein konkretes Vorwissen über den Situationismus oder | |
| Lou Reed oder Krautrock. Sie kleideten sich betont neutral, unauffällig, | |
| fast bürgerlich, unter allergeringster Verwendung von Gadgets und Schmuck, | |
| der häufig weniger New Wave war als vielmehr generell Counterculture (13). | |
| (12) Tatsächlich lassen sich Typifizierungen innerhalb der Entwicklung der | |
| scheinbar unkonventionellen Bekleidungshabits jener Jahre erkennen, die | |
| später zu Standards und noch später zu Karikaturen werden würden. Mir kam | |
| während der Niederschrift dieses Textes der Gedanke, dass es sich bei den | |
| Lederjacken-Punks um unbewusste Wiedergänger der englischen Rocker der | |
| 1960er gehandelt haben mag, während die Anzugjackenträger eher auf | |
| Teddyboys oder Mods pingten. Anfang der 1980er modelten sich tatsächlich | |
| viele Punks zu diesen Styles beziehungsweise Bewegungen hin um. Krasses | |
| Beispiel war Bärbel, der sich noch als Schlagzeuger bei Blitzkrieg von | |
| einer Woche auf die andere in eine Art Rockabilly verwandelte, indem er | |
| sich eine selbst genähte Südstaatenfahne auf den Rücken einer Jeansjacke | |
| (einer Jeansjacke!) applizierte und die Haare zu Tolle, Entenschwanz und | |
| Sideburns formte. Wie gesagt: eine Art Rockabilly. Es war ein Statement | |
| gegen die Verspießerung der Szene und das Punk-Fashion-Diktat, das einige | |
| der später Dazugekommenen als Ausdruck der reinen Lehre propagierten. Weder | |
| wollte Bärbel ein echter Billy sein, das wäre lächerlich gewesen, noch | |
| reichte es ihm aus, weiter nur Punk zu sein, was ihm inzwischen bereits | |
| lächerlich geworden war. Damit erfand er - zumindest für diese Breitengrade | |
| - Punkabilly. | |
| (13) Ich spreche hier selbstverständlich von den genialen 39 Clocks und | |
| Konsorten, etwa Alice Dee, der mir erstmals Blondie vorspielte und mit dem | |
| ich dann die Band Rosa machen sollte, nach der ich fortan Rosa heißen | |
| werden würde. | |
| 5 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Heinrich Dubel | |
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