# taz.de -- Wie der Punk nach Hannover kam (II): Date mit Dussel | |
> Nicht lange nach dem ersten Pogotanz beschließt der Held, Punk zu werden. | |
> Doch die Entscheidung hat unvorhergesehene Konsequenzen. | |
Bild: 1979: Dussel, Sängerin von Blitzkrieg, der ersten Straßenpunkband Hanno… | |
Was bisher geschah: Die Sex Pistols sind noch nicht in Hannover angekommen. | |
Und so langweilt sich der Held beim lokalen Moped-Rowdyclub "Eagles", bis | |
eines Tages in der Disko eine bis dahin unbekannte Musik aufgelegt wird: | |
„Ça Plane Pour Moi“ von Plastic Bertrand. | |
Über Punk hatte ich zum ersten Mal in der TV-Zeitschrift Hörzu gelesen, in | |
einem Programmhinweis zu irgendeinem Kulturmagazin, das dem neuen Phänomen | |
aus England einen Beitrag widmete. Es gab ein Bild: ein Kinosaal | |
vollbesetzt mit Leuten, die alle rote, grüne oder schwarze Haare trugen, | |
schwarze Jacketts und 3D-Brillen. Unter dem Foto stand: „Neue | |
Jugendbewegung aus England. Es sind Punks. Sie lachen nie.“ Das Problem: | |
Auf dem Foto lachten alle. Wirklich alle. | |
Ich lernte auf Schaufenstergestalter und jobbte nachts in einer Kneipe | |
namens Waldhäuschen. Für den Auftritt als Auszubildender bei Wertheim hatte | |
ich mir einige Hemden zugelegt, die tagsüber schick neutral und nachts bloß | |
schick waren. Die Feincordhose in Bordeaux gab es noch immer, auch wenn sie | |
inzwischen ziemlich abgetragen war. Zwei schwarze Exemplare waren | |
dazugekommen. Eine Levi’s 501 gab es auch schon. Beim Schuhwerk wechselte | |
ich nach Anlass und Laune zwischen Turnschuhen (Puma), Stiefeletten | |
(ochsenblutfarben mit Messingbeschlägen) und Combat Boots (schwarz). | |
Die Entscheidung, Punk zu werden, traf ich in einer persönlichen Krise. | |
Meine erste Freundin – Marina – hatte mich wegen eines Typen von den | |
"Eagles" verlassen, der eine Honda Dax fuhr. Ich sah die beiden jeden Tag, | |
sie hatten Lehrstellen in derselben Firma im Viertel, gleich gegenüber vom | |
Waldhäuschen, wohin sich die Spielplatz- und Kioskszene inzwischen | |
verlagert hatte. | |
Der Übergang war einfach. Ich erklärte ganz sachlich, dass ich nunmehr ein | |
Punk sein würde. Für 50 Mark kaufte ich mir von einer Arbeitskollegin eine | |
schwarzgrüne, hüftlange Lederjacke, die ihr Freund als zu altmodisch | |
empfand. Diese Jacke versah ich mit Sicherheitsnadeln und Messingketten vom | |
Eisenwarenhändler. Sie würde in den nächsten zwei Jahren mein wichtigster | |
Besitz sein. Auch die bordeauxfarbenen Feincordhosen wurden jetzt richtig | |
hergenommen und mit selbstgemachten „Bondage“- Applikationen ausgestattet. | |
Nur eine Woche später datete ich bereits ein Mädchen, das sich Dussel | |
nannte, die Sängerin der Hannoveraner Punkband Blitzkrieg. | |
Der Wechsel der Szene, der ja Zweck der Übung gewesen war, brachte | |
Konsequenzen mit sich, die ich nicht bedacht hatte. Mein neues Outfit und | |
Gebaren waren nicht wirklich zu vereinbaren mit den Anforderungen, die an | |
einen jungen Dekorateur gestellt wurden. Meine Kollegen trugen Seidenschals | |
zu Rollkragenpullovern und Cordsakkos mit Lederflecken an den Ärmeln. Sie | |
waren Fans von Rattanmöbeln und orientalischem Zeugs, das man da | |
draufstellen konnte. | |
Ich war zwar immer noch an den Präsentations- und handwerklichen Techniken | |
interessiert, jedoch tödlich gelangweilt von den Dingen, die da präsentiert | |
wurden. Dire Straits konnte ich auch nicht mehr hören. Folgerichtig schmiss | |
ich die Lehre. | |
In der lokalen Szene wurden diejenigen, die man als Poser ansah, auch | |
„Diskopunks“ genannt, was mich zunächst irritierte. Es ging dabei jedoch | |
nicht um die Herkunft des Einzelnen aus der Diskoszene, sondern darum, was | |
für Klamotten er trug, ob diese gekauft waren, es sich also um Punkmode | |
handelte, oder ob er abgewetzte oder selbstgemachte Klamotten trug (6). | |
Wobei diese Kategorie nur auf Jungs angewendet wurde. Punkmädchen wurde das | |
Aufhübschen zugestanden, es wurde sogar erwartet. Je runterer, je ranziger | |
der Typ, desto spektakulärer die Alte (7). | |
(6) Es gab schon recht früh auch in Hannover einen Ausstatter, der sich – | |
wie überall üblich in diesem Segment – an McLarens und Westwoods Londoner | |
Boutique SEX orientierte, also zunächst Teddyboy-, anschließend Lack-, | |
Leder-, Punk- und New-Wave-Klamotten und schließlich alles zusammen anbot, | |
zu selbstverständlich exorbitanten Preisen. | |
(7) Im Rückblick zeigt sich, wie konform die scheinbare Vielfalt zum | |
Beispiel der Mädelsfrisuren tatsächlich war. Alles war blassblond, | |
blassgrün, blassrot und im Einheitslook Catstyle frisiert. Wer das einmal | |
nachsehen möchte, der klicke sich durch die Alben der frühen | |
Hannover-Jahrgänge das Punkfoto-Archivs auf [1][karlnagel.de]. | |
26 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.karlnagel.de | |
## AUTOREN | |
Heinrich Dubel | |
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Punk | |
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