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# taz.de -- Die Wahrheit: Chilischarfe Sicht
> Schwabinger Krawall Extra: Wie Herrn Hammler an Fasching die Brille ins
> Klo fiel und was dann geschah.
Bild: Ohne Brille geht es nicht. Oder doch?
Seit Herrn Hammler an Fasching die Brille in ein Klo gefallen ist, von dem
er hinterher nicht mehr gewusst hat, wo es war, ist er in seinem Kontakt
zur Welt stark eingeschränkt. Weil eine neue Brille teurer käme, hat er
zunächst beschlossen, dass es auch ohne das Ding geht, weil schließlich
sein Onkel Ferdinand noch mit siebenundneunzig ohne Brille sein
Kreuzworträtsel habe lösen können. So etwas, hat er zu seiner Frau gesagt,
sei genetisch vorprogrammiert, und seine Augen würden durch das Training
sicherlich in kürzester Zeit wieder richtig gut.
Nachdem er jedoch den Briefkastenschlüssel abgebrochen, seinen Pullover
verkehrt herum angezogen, das Altpapier in die Biomülltonne geleert, drei
Bilder von der Wand gerissen und den Wohnzimmertisch umgerannt hat, mit
seinem Radl gegen einen Parkautomaten gefahren ist, sich dabei an Knie und
Armen verletzt, beim Versuch, seinen Arzt zu erreichen, mit siebzehn
wildfremden Menschen telefoniert und sich darüber so aufgeregt hat, dass er
in den Flurspiegel gelaufen ist, hat ihm seine Frau geraten, sich
Kontaktlinsen zu kaufen, weil er sich sonst noch umbringt und sie
wahnsinnig wird.
Die Linsen erwiesen sich dann als verhältnismäßig preisgünstig. Dem Rat, er
müsse sie, da sie aus weichem Kunststoff bestünden, alle paar Monate durch
neue ersetzen, widerspricht Herr Hammler mit dem Hinweis, er schreibe immer
noch mit seinem Füller aus der dritten Klasse, gehe generell sorgsam mit
seinen Sachen um und müsse deshalb überhaupt gar nichts ersetzen.
Am dritten Tag als wieder sehender Mensch ist Herrn Hammler beim
Kaffeekochen die Linse aus dem rechten Auge gefallen. Wie er zwischen den
Gasflammen am Herd am Suchen war, hat er nur am Knistern und Geruch seiner
verbrannten Haare gemerkt, dass er vergessen hat, das Gas abzudrehen, und
geschimpft, dass es ihm schon wieder reiche mit dem neumodischen Klimbim.
Ein Friseurbesuch, hat seine Frau gesagt und ihm ohne großes Suchen die
Linse überreicht, sei auf jeden Fall billiger als eine Brille.
Beim Friseur springt Herrn Hammler die linke Linse ins Kopfwaschbecken. Der
Friseur muss den Siphon abschrauben, flucht dabei ziemlich und sagt, als er
die Linse aus dem grauen Schlamm gewühlt hat, da habe er ja noch ein Glück,
dass der Abfluss schon seit Allerheiligen nicht mehr gescheit abfließe.
Weil Herr Hammler die Linse erst reinigen möchte, steckt er sie in die
Hosentasche, schmeißt die Hose vor seinem Mittagsschlaf in die Wäsche und
denkt erst wieder dran, als seine Frau nach dem Waschen fragt, warum in
seiner Hose ein angelutschter Weingummi war. Da ist die Linse schon im
Abfalleimer, wo sie Herr Hammler wieder herauszieht und feststellt, dass
sie trotz Kochwäsche und Fleckensalz noch einigermaßen passt, was sich als
Irrtum erweist, als er plötzlich rote Augen kriegt und nichts mehr sieht.
Seine Frau diagnostiziert, dass das Sehwerkzeug halb hinter dem Auge steckt
und sie sich da nicht herantraut, also schickt sie ihn zum Arzt, der das
Ding mit einer Pinzette stückweise hervorzieht, Augentropfen verschreibt
und empfiehlt, sich die nächsten Tage erst einmal mit einer Brille zu
behelfen. Wenn er eine solche hätte, brüllt Herr Hammler, täte er sich nie
im Leben diese vermaledeiten Fischschuppen ins Auge kleben, und seinetwegen
werde er in Zukunft eben eine Blindenarmbinde tragen, wenn die moderne
Medizin partout zu blöd sei für alles, was über ein Aspirin hinausgehe.
Als die Sprechstundenhilfe ihn hinauskomplimentiert hat, wird sein Heimweg
von einem Polizisten unterbrochen, der ihn anhält und fragt, wieso er am
helllichten Tag mit einem zugekniffenen Auge Schlangenlinien radelt. Herr
Hammler bläst in das Alkoholmessgerät, wird für zulässig erklärt und will
daheim außer seiner Ruhe und einem Bier gar nichts mehr.
Ausgerechnet an diesem Abend aber erinnert ihn seine Frau mit einem
Schmollen an den zweiundvierzigsten Hochzeitstag und dass sie doch schon so
lange einmal mexikanisch essen gehen wollten. Um nicht neben dem Augenlicht
auch noch den Haussegen zu riskieren, gibt er nach, bestellt in dem
Restaurant etwas harmlos Klingendes, beißt dann allerdings auf eine
mörderische Chilischote, löscht den Brand mit drei Litern Bier und gräbt
mit bloßen Fingern drei weitere Schoten aus seinem Teller, wobei ihm das
verbliebene Sehwerkzeug aus dem Auge fällt, er es aber reaktionsschnell
auffangen kann, vor dem Toilettenspiegel wieder einsetzt und dann erst
bemerkt, dass er sich zuvor lieber die chiliverseuchten Hände gewaschen
hätte.
Blind, tränenüberströmt und weitgehend fertig mit der Welt rennt Herr
Hammler aus dem Lokal hinaus und genau in die Arme des bereits bekannten
Polizisten, dessen Atemmessung diesmal erfolgreich verläuft, was aber
mangels Fahrrad keine weiteren Konsequenzen hat, als dass Herr Hammler und
seine Frau von dem mitfühlenden Beamten nach Hause gefahren werden, wo Herr
Hammler alle Schränke durchwühlt, bis er endlich die Brille seiner 1975
verstorbenen Großtante Walburga findet, die zwar dreimal so viele Dioptrien
hat wie seine und bei deren Anblick seine Frau zu Tode erschrickt, die er
aber die nächsten Wochen tapfer trägt, bis endlich seine neue fertig und
bezahlt ist und er auf die Frage seiner Frau, wo eigentlich die verbliebene
Linse hingekommen sei, antwortet, die stecke wahrscheinlich im Siphon
dieser mexikanischen Teufelsküche und das sei ihm aber so was von
scheißegal.
8 Mar 2013
## AUTOREN
Michael Sailer
## TAGS
Brille
München
Discounter
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